Nr. 159. Die verwiesene Wirtin vom Klausthal.

[146] Eine Wirtin auf dem Klausthal hatte mancherlei Schlechtigkeiten ausgeübet und besonders die Milch, welche sie den armen Leuten verkaufte, mit Buttermilch verdünnet. Darum konnte sie sich nach ihrem Tode nicht zur Ruhe geben und vollführete einen großen Lärm in ihrem Hause. Nun ist ein Soldat gewesen,[146] der ist mit einem andern Soldaten auf Urlaub nach dem Klausthale gekommen. Hier hat seine Braut in jenem Wirtshause gedienet, wo die Wirtin gestorben ist. In dies Wirtshaus ist der Soldat immer hingegangen und die Magd hat ihm allerlei Speisen in ein kleines Hinterstübchen gebracht. Eines abends ist der Soldat durchs Fenster in diese Stube gestiegen, da kömmt die Hausfrau im weißen Gewand herein und gehet walten. Sie hält dabei den Kopf in der Hand, wie er auch gethan hat, und siehet ihn groß an. Er resolvieret sich kurz, ziehet den Hirschfänger heraus und sticht zu, so daß der Hirschfänger in der Wand stecket. Da bekömmt er eine Ohrfeige an der rechten Backe und die Dienstmagd, die eben hereintritt, erhält eine an der linken. Damit ist das Gespenst verschwunden. – Dieser nämliche Soldat hat dann auch die Frauensperson verweisen sehen. Er sitzet mit dem andern Soldaten, den er von nun an aus Furcht immer mitnahm, in der kleinen Stube. Da gehet die Thüre auf, kömmt der Gastwirt herein, hat einen kleinen Tisch, darauf deckt er eine weiße Serviette. Auch leget er auf den Tisch ein großes Buch. Der Wirt saget, sie möchten nur sitzen bleiben; so bleiben sie sitzen. Es dauert nicht lange, so kömmt eine Kutsche gerattert, darinnen sitzet ein Pater, der hat sie sollen verweisen, und ist noch hinter Osnabrück hergekommen. Schon vorher waren zwei Pater nacheinander vergeblich herbeigeholet. Die Wirtin hatte nämlich dem einen vorgehalten, daß er Möhren gestohlen, dem anderen, daß er ein Nähnadelbesteck entwendet habe. Dadurch verloren sie die Macht über sie, mußten das Klausthal unverrichteter Sache verlassen und sogar die Reisekosten selbst tragen. Wie nun dieser dritte Pater eintritt, so stehen die beiden Soldaten auf. Der Pater aber sagt: bitte, sie möchten nur sitzen bleiben, aber ja sich nicht regen, so könnten sie dies mit anschauen. Natürlicherweise hat der Wirt sogleich einen Stuhl parat gestellet, wo der Pater sich darauf setzet. Nun nimmet er das dicke Buch, das der Wirt auf den Tisch geleget hat, lieset rückwärts darinnen und citieret dadurch die Wirtin. So klopfet etwas an und der Wirt rufet herein. Dies ist nun die Wirtin gewesen: doch hat sie vor diesem Pater sogleich Furcht gehabt und wollte anfangs nicht zu ihm aufs Stübchen. Nun[147] hält aber der Pater sein weißes Taschentuch zur Thüre hinaus, daran fasset die Frau an und daran zieht er sie nun mit Gewalt herein. Dann stellet er sie in einen Kreis, den er neben seinem Tische gezogen hat. Nun erzählen einige, sie habe auch diesem Pater verschiedenes vorgehalten, zum Exempel: er habe da und da einen Pfenning weggenommen. Dafür habe er sich eine Schreibfeder gekauft, habe der Pater gesagt, und da habe sie ihn deshalb nicht verwerfen können. Andere sagen, daß dieser Pater noch nie das geringste entwendet gehabt hätte. Kurzum, die Wirtin kann dem Pater nichts anhaben. Weil sie nun siehet, daß der Pater Macht hat, sie zu verweisen, so bittet sie ihn, er möge sie doch unter die Dachspitze verweisen. Er spricht aber: kein Pardon; darauf bittet sie, er möge sie unter die Hausschwelle verweisen. Er bleibet aber dabei: kein Pardon, und verweiset sie ins Rote Meer. Da sie heulend sagte, daß sie den Weg nicht wisse, schrieb er ihr vor den Weg die goslarsche Straße herunter, über das Zellerfeld, den Auerhahn und dann zunächst nach Goslar. Auch sagte er ihr, daß er in seiner Kutsche, die er vor dem Hause stehen hätte, ihr nachfolgen und in Goslar noch einmal mit ihr zusammentreffen würde. Darauf aber kommandierte er, wie die Soldaten nachher berichteten: Marsch fort ins Rote Meer. Da machte er die Thüre auf und sagte zu den Soldaten, sie möchten einmal hinter ihr her sehen. Da fährt sie die Straße herunter wie ein glühendes Feuerrad. Auch der alte Meister eines Schuhmachers, welcher seinem Lehrlinge die Sache verzählte, hatte noch das Geschrei und Windbrausen vernommen, als die verwiesene Frau sich auf den Weg nach dem Roten Meere machte. Auch hat er den Pater in die Kutsche einsteigen und ihr wirklich nachfahren sehen, nachdem er sich zuvor von dem Wirte das Geld hatte auszahlen lassen. Ob der Pater sich nur in Goslar noch einmal mit der Verwiesenen besprochen hat, oder ob er mit ihr bis ins Rote Meer gereiset ist und sich selbst überzeuget hat, daß sie sein Gebot erfüllete, wußte der Meister nicht zu sagen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 146-148.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Harzsagen
Harzsagen - Sagen des Oberharzes 1859 - Band 1 (von 2)
Harzsagen - Sagen des Unterharzes 1859 - Band 2 (von 2)