Nr. 172. Frau Holle, die schwarze Kathrine und die Waldfrau in St.-Andreasberg.

[171] Alle Nacht von elf bis zwölf kommt die Frau Holle nach den Drei-Brotsteinen im Walde bei Andreasberg, setzet sich darauf und weinet. Diese Steine sehen wie drei aufeinandergeschichtete Brote aus, sind von der Erde an wohl drei Lachter hoch. Sie liegen auf einer Höhe, zu deren beiden Seiten Thäler sind, in deren jedem Wasser fließen, von denen das eine Dreibrotenwasser heißet. Wenn da im Sommer an einem bestimmten Tage jemand durchgekommen ist, so ist die Frau Holle ihm auf den Rücken gesprungen und er hat sie etwa sieben Minuten, bis vors Wasser, tragen müssen. Wer die Steine, die früher Bröte gewesen sind, wieder in solche verwandeln kann, erlöset die Frau Holle.

Einige sagen auch, die schwarze Kathrine sei in die Dreibroten verwiesen.

Früherhin sagte man in Andreasberg den Kindern, um sie zu schrecken: »Wir rufen die Frau Holle herein!« Sich in sie zu verkleiden, wie an anderen Orten geschieht, hätte dort niemand gewagt.

Einstmals ging eine Mutter mit ihrem Kinde ins Holz und kamen nach dem Berge, welcher jetzt: Sieh-dich-im (Sieh-dich-um) heißet und im Löwengrunde lieget. Da ging das Kind, das ein Mädchen gewesen ist, von der Seite ihrer Mutter fort, in die Hecke (Gebüsch), hörete auch nicht auf das Rufen der Mutter. Da erschien vor dem Mädchen eine schwarze Frau mit zwei Eimern ohne Boden in der Hand, welches die Frau Holle gewesen ist, drehete dem Mädchen den Kopf um und sprach: Sieh dich im. Seit der Zeit heißt der Berg: Sieh-dich-im.

Auf Andreasberg gehet auch ein Hund, der einen Korb in der Schnauze hat, worinnen ein Bund Schlüssel ist. Er tauchet bei dem Mühlenborner Puchwerke auf und gehet ganz im Sperrlutterthale herunter, wo er verschwindet.

Wer den Sonntag geboren ist, von dem sagt man, daß[171] er die Waldfrau in einem weißen Laken sehen könne. Einst rupfte eine Frau im Walde Brennnesseln, da ging die Waldfrau immer hinter ihr und rupfte wie sie.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 171-172.
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