Nr. 255. Entstehen des Räders-See.

[240] Eine und eine halbe Stunde von Stolberg, eine halbe Stunde von dem Dorfe Stempeda, oder wie es dort gewöhnlich genannt wird Stempe, soll vor Zeiten ein Hüttenwerk gestanden haben, jetzt stehet daselbst ein großer Teich, genannt die Räders-See. Sein Wasser ist grün, die Fische darin sind ganz mit Moos bewachsen. Von dem Entstehen der See wird folgendes erzählet: Ein Werkführer in dem Hüttenwerke legete breite Silberplatten zurück und verbarg sie unter die Dielen, so daß er sie ordentlich einlegete. Das that er nur, um das Silber wieder für den Grafen emporzuholen, wenn keins mehr vorhanden wäre. Aber die Magd bemerkte es und verriet es. Wenn damals ein Bergmann nur weniges gestohlen hatte, mußte er sterben, und darum wurde der Werkführer in Stolberg auf dem Markte vor dem späteren Johnschen Gasthofe gerichtet. Dabei nahm er eine Semmel in die Hand und sagte: so rein und unschuldig als die Semmel[240] wäre auch er, und so gewiß er unschuldig gerichtet würde, so gewiß würde das Hüttenwerk in dem Augenblicke untergehen, wo sein Kopf vom Rumpfe flöge, und nicht eher wieder zum Vorscheine kommen, als bis drei Grafen geboren wären, von denen jeder der beiden ersten gewisse körperliche Eigenheiten hätte, und der dritte eine Haselrute fände, die in einem Schusse sieben Fuß hoch gewachsen wäre. Alsdann müßte eine Wanne Goldes angewandt werden, ehe das Hüttenwerk wieder in Gang käme. In dem Augenblicke, wo des Werkführers Kopf fiel, soll in der Hütte ein Mann (welches die Erscheinung des Werkführers war) gestanden und das Triebrad mit einer Hand eingehalten haben. Danach ging das ganze Werk unter Wasser, wie es noch jetzt zu sehen ist, und soll von dem versunkenen Räderwerke die Räder-See heißen. Ein Hallore und noch ein anderer Mann sollen hinein getauchet und auf ein Gebäude gestoßen sein, der Hallore soll auch einen Ring von einem Eimer mit emporgebracht haben, aber selbst für tausend Thaler wollte keiner zum zweiten male hinein, denn sie waren unten von Geistern gepeiniget. Der Hallore brachte eine Kachel mit herauf. Was die Rute anlanget, so soll sie im alten Stolberge von Graf Josef gefunden, eine Hagedornrute sein und in der Rüstkammer stehen. Er brauchte nur damit auf das Wasser zu schlagen und alles hätte in alter Pracht wieder da gestanden.

Der Schäfer von Stempeda erzählete, der Werkführer habe einen hohlen Zahn gehabt, den habe er jeden Tag mit Gold gefüllet und mit dem so angesammelten Golde habe er dem Hüttenherrn ein Geschenk machen wollen. Ehe er indessen das Gold dem Hüttenherrn übergeben konnte, ward entdeckt, was er that, und er selbst gerichtet.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 240-241.
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