Nr. 124. Die Wöchnerin.

[90] In Goslar stellt ein verwiesener Pastor in einem Hause den Wöchnerinnen nach und ist auch sonst an den Stuben, worin sich Wöchnerinnen befinden, ein Hängel, sodaß sie von innen zugehänget werden. Das Hängel ist aber ein Kreuz, oder es ist wenigstens vor Zeiten ein Kreuz gewesen, und das Kreuz bewirket, daß kein Gespenst und kein Geist an der Wöchnerin Macht hat. Da hat nun auch einmal eine Wöchnerin, die in jenem Hause gewohnet, das Hängel vorgehänget hat und mit ihren Kindern allein in der sichern Stube gewesen ist, draußen ein gewaltiges Rumoren gehöret. Als ihr Mann, der ein Bergmann war, nach Hause kam, sagte sie ihm noch nichts davon; allein als es spät abends war, hörte der ein furchtbares Rumoren im Ofen, und weil er meinete, eine alte Frau, die mit im Hause gewohnet und manchmal eine Pfeife gerauchet hat, liege so spät noch im Ofen und suche nach einer Kohle, so rief er ihr zu: sie solle nur herein kommen, er wolle ihr schon Feuer geben. Da ist der Lärm noch ärger geworden, der Bergmann aber faltete darauf die Hände und sprach:


Ihr Höhlengeister, packet euch,

Ihr habt hier nichts zu schaffen;

Dies Haus das steht in Jesus Reich,

Laßt es ganz ruhig schlafen.


Hiernach ist es im Hause still geworden, auf dem Hofe aber ist ein Holzstoß gewesen, da hat eine Glucke oder Bruthenne mit ihren Küken gesessen, die hat während des Lärmens[90] immerfort gerufen Kakedak und hat geplustert, als suchte sie ihre Brut mit den Flügeln zu schützen. Am andern Morgen aber hat die Glucke mit ihren Küken tot auf dem Hofe gelegen und das Gespenst, weil es der Wöchnerin mit ihrem Kinde nichts hat anhaben können, hat der Glucke mit ihren Küken den Hals umgedreht. Die Wöchnerin ist nun sehr besorgt geworden und als sie am Tage einmal auf den Hof gegangen ist, hat sie ihren Sohn, ein Schulkind, mitgenommen. Wie sie nun aber so auf dem Hofe stand, rief der Knabe alsbald hoch erschrocken: »Mutter, da kommt der Pastor!« In dem Augenblicke sah sie ihn auch, wie er mit ausgebreiteten Armen auf sie zukam. Doch entfloh sie glücklich in die Stube, und getrauete sich erst den Abend in Begleitung ihres Mannes wieder auf den Hof. Der Knabe ist ihnen auch gefolget, und der rief alsbald wieder: »Mutter, da kommt der Pastor.« Da sahen sie ihn alle, die Wöchnerin aber erreichte auch diesmal glücklich die Stube und der Mann ging sogleich zur Geistlichkeit und fragte, wie er sich zu verhalten habe. Die Geistlichkeit sagte, am andern Tage solle die Wöchnerin zur Kirche gehen und sich einsegnen lassen; dann aber dürfe sie nicht in das alte Haus zurückkehren, sondern er solle eine neue Wohnung mieten, und da müsse sie sogleich von der Kirche aus hingehen; in das alte Haus sei früher einmal ein Pfarrer verwiesen, der stelle den Wöchnerinnen nach. Und so ist es auch gewesen. Vor einer Kammer in dem alten Hause hat ein mächtiges Schloß gehangen, und auf der Kammer hat der verwiesene Pfarrer gesessen. Der Bergmann aber hat mit seiner Frau gethan, wie ihm geheißen war.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 90-91.
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