Zweiter Akt.

[112] KILIAN tritt auf, in tiefem Nachdenken.

»O Eros, Eros, Allbeherrscher« – Also jüngst,

Da ich an einem Opernhaus vorüberging,

Mit mächtigem Trillern einen Hämmling hört' ich krähn.

Doch meine Seele fühlte nichts bei seinem Lied,

Im leeren Magen ungehört verhallt' es mir.

Was ist's denn jetzt, daß unaufhörlich mich umschwirrt,

Sirenenhaft, und wispert rechts und wispert links,

Im Traume selbst, die süße Hämmlingsmelodie?

Schon aber mir im Herzen etwas reget sich

Und brodelt und kocht, wie Butter in der Pfanne thut,

Und durch die Glieder, leise krappelnd, rieselt es,

Nun hier, nun dort: und meinen Magen wärmt es mir.

Das aber ist's! Der Doctor hat mir wahr gesagt

Und falsch zugleich, am eignen Beispiel merk' ich es.

Wohl Alles entstammt des Magens finsterm Grund: doch nicht

Das Böse bloß: auch jedes Gute stammt daher

Und jede Tugend, jede schöne Leidenschaft;

Ja selbst die große Götter- und Menschenkönigin,

Die Liebe selbst ist unsers Magens Tochter nur!

Darum auf Griechisch Appetite heißt sie auch. –

Mich aber, als die abgedörrten Lenden mir

Des Hungers Schmachtriem' unbarmherzig gürtete:

Was scheerten Frauenzimmer da und Liebe mich?

Weit schöner damals eine Kalbsbrust däuchte mir,

Als selbst der Busen einer schönsten Helena;

Ja, hätte Venus unverhüllt sich mir gezeigt,

Ich hätte nur ein schönes Fleisch in ihr gesehn

Und nur beklagt, daß ungekocht solch schönes Fleisch!

Jetzt aber, seit mit diesem Fremdlingspaare sich

Fleischtöpf' Egyptens über unser Haus geleert:

Schon wieder füllen meines Rockes Falten sich,

Die Wange glänzt, zunehmend stündlich, wie der Mond,

Und unverzagt, auf straffen Beinen, tret' ich auf:

Jetzt von dem Pfeil der Liebe fühl' ich mich gerührt,[113]

Es schwillt mein Herz von einem ungekannten Drang,

Aus Hunger gemischt und angenehmster Sättigung:

Und die ich sonst mit kaltem Auge fühllos sah,

Die Weiberchen, o! was scheinen sie jetzt so reizend mir!

Von allen aber eine doch die reizendste:

Die Fremde, mein' ich, welche mit dem Fremden kam

In dieses Haus. Vollbusig ist sie, rund und prall,

Von zartem Fleisch, leis überwachsen, scheint's, mit Speck,

Ein höchst begehrungswürdig Frauenzimmerchen!

Heran zu ihr unwiderstehlich zieht es mich,

Als hätt' ein Magenmagnetismus mich gefaßt.

Ja, seh' ich recht auf dieses Leibes Wohlgestalt,

Den kurzen Wuchs, die mannigfachen Rundungen:

O dann mir ist's, als wandelte vor den Augen mir,

Durch Göttergunst in einen Menschenleib verkehrt,

Leichtschwebenden Gangs, die ungefreßne, jene Wurst,

Die ich als Kind aus Übermuth einst stehen ließ

Und die seitdem den Frieden mir der Seele stört!

Und doch ein Herz gewißlich lebt in dieser Wurst:

Sie hat so ein gewisses Zwinkern mit dem Aug',

Die Nasenflügel heben sich mitunter so

Und auf den wulstigen Lippen etwas kräuselt sich,

Als wollte sie sagen: Kilian! Mein Kilian! – –

Und bin ich denn nicht ein hübsches Kerlchen? Werd' ich nicht

Fett wieder und frisch? Was weiter braucht es, schön zu sein?

Ein sehr vernünftig Frauenzimmer scheint sie mir,

Und wenn es vielleicht Gelegenheit so mit sich bringt,

So will ich nicht mich ihrer Leidenschaft entziehn,

Sogar die Hand zur Ehe reichen will ich ihr,

Weil klärlich hinter diesem wohlgenährten Leib

'Ne gute Mitgift oder so was sich verbirgt,

Wie deutlich wieder diese Kiste mir beweist,

Die eben jetzt uns überliefert ward für sie. –

Zwar sie ist schwanger; zweifeln könnten Einige,

Ob es sich schickt, ein schwangres Weib zu ehlichen.

Allein das ist am Ende nur ein Vorurtheil:

Die höchste Lust, so rühmen hört' ich allezeit,

Und höher noch als Liebeslust, ist Vaterlust,

Die reinste sie, die wahre Quintessenz der Lust.

Wer tadelt mich denn, nehm' also mit der Liebeslust[114]

Ich mir zum Voraus Vaterfreude in den Kauf,

Mühlose selbst, uneigennützige sogar?! –

Doch still, hier kommt der fremde Herr –

SCHLAUKOPF eintretend.

Was willst du hier?

Was thust du hier? und spionirst und schleichst umher?

Gleich in das Haus!

KILIAN.

Ich dachte ja nur –

SCHLAUKOPF.

Marsch! fort! hinein!

Sonst aus dem Dienste jagen lass' ich dich sogleich.


Kilian ab.


Nicht vor mir selbst verhehlen länger kann ich es:

Zwar vorbereitet Alles hab' ich und bedacht

Und habe gewartet lange Zeit auf diesen Tag:

Doch jetzt da nah und näher stets die Stunde rückt,

Da überfällt ein innerliches Zittern mich.

Es steht zuviel auf diesem Einen Blatt für mich:

Drum also mischen muß ich mein Spiel, und wär' es auch

Mit doppelten Karten, daß ich's nicht verlieren kann.

Wo ist der Doctor? Freilich trau' ich ihm nicht ganz:

Er, sonst so pfiffig, warum jetzt ist er so dumm,

Am Auge nicht mir abzusehen, was mich quält?

Denn ungern nur die ersten Schritte würd' ich thun.

DOCTOR auftretend für sich.

Schon wieder in Gedanken steht er?! Aufgepaßt!

Ich merke recht gut, daß etwas ihm am Herzen liegt,

Und daß er druckst, es loszuwerden –; aufgepaßt!


Laut.


Wie geht's, o Freund? Schon wieder in Sorgen?

SCHLAUKOPF.

Muß ich nicht?

Der deutschen Zukunft, welche bald geboren wird,

Gedenk' ich –[115]

DOCTOR.

Aber hoffentlich mit Freude doch?

SCHLAUKOPF.

Mit Freude, ja: doch aber auch nicht ohne Furcht;

Ich wollte nur, sie wäre glücklich erst zu Tag.

DOCTOR.

So also mißtraust meiner Kunst du? oder gar

Mißtraust du meinem Patriotismus?

SCHLAUKOPF.

Beides nicht:

Nur welchem nie zu trauen ist, dem falschen Glück.

Nimm an, o Freund, sie käme todt zur Welt –

DOCTOR.

Je nun –

SCHLAUKOPF.

Es wär' ein Kielkropf, wasserköpfig, ohne Kopf –

DOCTOR.

Das könnte sein –

SCHLAUKOPF.

Mondkälberling –

DOCTOR.

Sehr wahr bemerkt –

SCHLAUKOPF.

Tritt näher, Freund – ich kenne dein Herz: sprich, sage selbst –

Verstehst du mich?

DOCTOR.

Nicht aber ich.


Bei Seite.


O warte, Schelm;

Jetzt, die du mir bereitet hast, tränk' ich dir ein,

Die Angst von neulich!

SCHLAUKOPF.

Dieses mein' ich, ob es nicht

Klug wäre, gegen solche Naturverirrung sich

Voraus zu sichern – Klugheit nicht, nein, Pflicht sogar.[116]

Denn sehnsuchtsvoll, in ungestümer Neubegier,

Hieher gerichtet haben alle Blicke sich

Des blöden Volks, sie hoffen auf die neue Zeit,

Die hier geboren werden soll; ja daß ich ganz

Einweihe dich, Freund, in unsre Staatsgeheimnisse:

Nichts hält das Volk, nur diese Hoffnung noch, im Zaum,

Und täuscht es die, dann wahrlich geht's uns Allen schlecht.

Begreifst du nun, daß also man sich sichern muß?

DOCTOR.

Nun aber wie?

SCHLAUKOPF.

Das rathe du, du bist der Arzt.

DOCTOR.

Ich weiß kein Mittel –

SCHLAUKOPF.

Aber eines gäb' es doch.

Wenn man zum Beispiel – beispielsweise – merkst du nicht?

DOCTOR.

Ich merke nichts.


Bei Seite.


Doch merklich prellen werd' ich dich!

SCHLAUKOPF.

Man müßte so – doch lassen wir die Sache ruhn;

Von etwas Anderm. Sahest du die Kiste schon,

Die man für unsre hohe Wöchnerin gebracht?

DOCTOR.

Die Kiste freilich, aber ihren Inhalt nicht:

Und dieser scheint das Wichtigste bei der Sache mir.

SCHLAUKOPF.

Prachtvolle Dinge, lauter Pathengeschenke sind's

Der deutschen Fürsten –

DOCTOR.

Pathengeschenke? Schon so früh,

Noch ehe das Kind gekommen ist?[117]

SCHLAUKOPF.

Und warum nicht?

Recht höflich ist's – und überdies, so ist es deutsch,

Zu begakeln die Eier, welche man noch nicht gelegt.

Doch unbekümmert öffnen wir! und findest du,

Was etwa dir gefallen kann, das nimm.

DOCTOR bei Seite.

Aha,

Jetzt drückt er los! Ich aber will hübsch zähe thun.


Laut.


Wie dürft' ich doch? Staatsgüter sind es –

SCHLAUKOPF.

O du Tropf,

Staatsgüter freilich: aber Staatsbehüter wir.

Drum aufgemacht!


Sie öffnen die Kiste.


DOCTOR.

Nichts Großes scheint darin zu sein –

SCHLAUKOPF.

O doch, mein Freund: vollständig Alles, was ein Weib

In Kindesnöthen irgend nur gebrauchen kann,

Mitsammt dem Kindlein; aber andres Gutes auch,

Und Alles mit Gold und Silber reichlich ausgelegt.

Zuerst von Preußen –

DOCTOR.

Also Reste sind wohl dies

Von der berühmten Pathenexpedition

Nach Engelland?

SCHLAUKOPF.

Bei Leibe nicht: ganz anders wird

Ein deutsches Kind gewickelt, als ein englisches;

Der englische Brauch ist freilich schön, doch nichts für uns,

Wir loben ihn – nachahmen aber? Nimmermehr! –

Hier aber schau: großmächt'ge Windeln, weiß wie Schnee,[118]

Erwartungsvoll, gleich einem unbeschriebnen Buch,

Und wohlgemessen zwanzig Bogen sind sie lang –

DOCTOR.

Die zwanzig Bogen? Aber was soll'n diese mir?

Zum Kinderwischchen taugen sie und weiter nicht.

SCHLAUKOPF.

Daneben hier als Nabelbinde, wie es scheint,

Die deutsche Flagge –

DOCTOR.

Etwas mürbe scheint sie mir;

Wohl schwerlich ist sie wasserdicht.

SCHLAUKOPF.

Ein Geiferlatz –

DOCTOR.

Der kommt gewiß vom Hauptberichtigungsbüreau,

Das unsrer Freiheit mütterlich die Nase wischt.

SCHLAUKOPF.

Ein Gängelbändchen –

DOCTOR.

Gängelbändchen? In der That:

Vielmehr für eine Kette halten muß ich dies.

Und wenn sie nur zum wenigsten ächt vergoldet wär'!

Bald aber trägt das bischen Flitterschaum sich ab

Und drunter steckt die alte eiserne Censur.

SCHLAUKOPF.

Du bist fürwahr ein wenig wählerisch, o Freund.

Was meinst du denn zu diesem Spielzeug?

DOCTOR.

O gewiß,

Für Kinder ist das ziemlich hübsch: der Kölner Dom,

Aus Marzipan, mit einem bunten Zuckerguß,

Das leckerste Spielzeug, welches Kinder je gehabt! –[119]

Doch dort der Kantschu? Wundertrefflich duftet er,

Nach russischem Juchten.

SCHLAUKOPF.

Einen Beitrag siehst du hier

Zu unsers Kindleins künftiger Education:

Ein väterlichanmahnendes Prügelinstrument

Aus dem berühmten preußischen Strafgesetzentwurf –

DOCTOR.

O Dank dir, Dank dir, preußische Staatshumanität,

Und dreimal glücklich, welcher dich im Rücken hat! –

SCHLAUKOPF.

Nun denn aus Östreich – aber dies ist allerliebst:

Ein nagelneues Jesuitenklösterchen,

Als Noahkasten –

DOCTOR.

Dank auch dir, mein Österreich!

Ja, nur ein wenig fahre noch in diesem fort,

So giebt es bald »kein Österreich, kein Preußen« mehr,

Nur einen großen Noahkasten, hier wie dort. –

Doch nichts aus Baiern?

SCHLAUKOPF.

Aber dir gefällt auch nichts –

DOCTOR.

Doch nichts aus Baiern?

SCHLAUKOPF.

Freilich wohl: dies duftet nach

Weihrauch und Bier, aus München also muß es sein.

Erst eine Participialconstruction,

'Ne tiefnachdenkendaufgefundenseiende,

Von König Ludwig eigenhändig aufgesetzt,

Zur Leseübung, wurde größer erst das Kind.

DOCTOR.

Allein der Nachttopf?[120]

SCHLAUKOPF.

Dieser hier, der silberne?

DOCTOR.

Ja eben der inwendig stark vergoldete:

Und in die Augen mächtig sticht er mir, o Freund.

SCHLAUKOPF.

Als Prämie sollt' er für das beste Wiegenlied,

Schon, wie man sagt, spitzt Geibel sich darauf; allein

Wenn du ihn willst –

DOCTOR.

Nur erst die Steine deute mir:

Sind die zum Dombau? oder mauern will man sie

Ins Fundament der wanken Legitimität?

SCHLAUKOPF.

Die schickt uns Hessen: Biebericher Steine sind's,

Grundsteine bekanntlich unsrer deutschen Einigkeit.

DOCTOR.

Und aus Hannover?

SCHLAUKOPF.

Ein zerrißnes Pergament;

Vielleicht dereinst zur Trommel dienen wird's dem Kind.

DOCTOR.

Doch aber o hier, nein wirklich das ist gar zu schön!

Dergleichen längst von Herzen hab' ich mir gewünscht,

Weil nichts auf Erden über Bequemlichkeit mir geht.

Sieh doch, o Freund: spitzbogig, gothisch ausgeschnitzt,

Ein gepolsterter Nachtstuhl – Aber diesen gönne mir

Und über mich verfügen kannst du, wie du willst!

SCHLAUKOPF.

Zwar eigentlich der Königsstuhl zu Rense ist's;

Doch wenn du ihn magst –[121]

DOCTOR.

Ich danke dir – o in der That,

Es sitzt sich gut auf diesem Stuhl der Könige! –

Allein von deinem Thema kamest du vorhin,

Du wolltest sagen –

SCHLAUKOPF.

Ein bloßer Einfall –

DOCTOR.

Sprich ihn aus,

Ich hör' dich gern. Von Sicherheitsmitteln sprachest du,

Wenn man zum Beispiel –

SCHLAUKOPF.

Ja zum Beispiel, für den Fall –

DOCTOR.

Für den Fall, versteht sich –

SCHLAUKOPF.

Eine Täuschung wär' es zwar,

Doch eine fromme –

DOCTOR.

Pia fraus – was ist dabei?

SCHLAUKOPF.

Wenn man ein Kind, ein fremdes, neugeborenes,

Bereit sich hielt' –

DOCTOR.

Und unterschöb' es –

SCHLAUKOPF.

Schlimmsten Falls:

Denn auf ein Kind, in alle Wege, kommt es an,

Ob ächt, ob unächt –

DOCTOR.

Das begreift ein Kind.[122]

SCHLAUKOPF.

Es ist

Nur um des Volkes willen –

DOCTOR.

Freilich wohl.

SCHLAUKOPF.

Man muß

Selbst seine Tugend willig opfern für sein Volk –

DOCTOR.

Ich sehe das ein.

SCHLAUKOPF.

Und also schaffst du uns ein Kind,

Das wir im Nothfall unterschieben?

DOCTOR.

Doch woher?

Leer steht mein Haus, nur zween alte Mütterchen –

SCHLAUKOPF.

Doch kennst du sie?

DOCTOR.

Ich kenne sie nicht, weiß nicht einmal,

Ob sie auch wirklich –

SCHLAUKOPF.

Ruf sie herunter, zeig' sie mir,

Damit wir prüfen ihrer Leiber Art und Bau –

DOCTOR.

Doch sie sind alt.

SCHLAUKOPF.

Das eben giebt die beste Zucht.

DOCTOR.

Sind häßlich auch –[123]

SCHLAUKOPF.

Um desto schönre Kinderchen

Gebären sie.

DOCTOR.

So will ich sie rufen –


Ruft ins Haus.


Kilian!

Die beiden alten Mütterchen führe 'mal heraus.

Doch, wasche sie erst! und fasse sie hübsch behutsam an:

Denn Arm' und Beine scheinen etwas wackelig.


Zu Schlaukopf.


Dir aber, Freund, bemerken muß ich Eines noch:

Daß dieses ein freiwill'ger Dienst ist, welchen ich

Dem Vaterland erweisen will und dir zugleich;

Am Honorar vergolten, hoff' ich, wird er mir.

Verpflichtet bloß zum Kinderholen hab' ich mich;

Das Unterschieben aber kostet dreimal mehr.

SCHLAUKOPF ihn umarmend.

O dreißigmal!

DOCTOR.

Und wohlgemerkt: auch für den Fall,

Daß unsre Vorsicht völlig überflüssig war

Und wir des fremden Kindes nicht bedürfen.

SCHLAUKOPF.

Sei

Ganz unbesorgt.

DOCTOR.

So zähl' auf mich. Und wär's ein Molch,

Ein Zwitter gar, mit einem Affenangesicht,

Wovon die Frau Germania genesen wird:

Wir schieben ihr ein Kindlein unter im Moment,

Daß du es selbst nicht merken sollst.

SCHLAUKOPF.

Doch sieh dich vor,

Daß es ein Kind von reinem deutschen Blute ist,

Und wenn nicht das, nur wenigstens kein französisches![124]

DOCTOR.

Verlaß dich drauf –


Zwei Frauenzimmer treten durch die Mittelthür, aus dem Innern des Hauses.


ERSTES FRAUENZIMMER.

Οἴμοι, οἴμοι!

ZWEITES FRAUENZIMMER.

Αἶ, αἶ!

BEIDE.

Φεῦ, φεῦ!

SCHLAUKOPF.

Ha, welche Leiber! Riesenmäßig schreiten sie!

DOCTOR.

Doch wie sie aussehn! Recht wie verhunzte Statuen!

SCHLAUKOPF.

Und doch was unerträglich Großes haben sie,

Zu groß sogar, ich fürchte sehr, für unsre Zucht!

ERSTES FRAUENZIMMER.

Ὦ κοινὸν αὐτάδελφον Ἰσμήνης κάρα ...

ZWEITES FRAUENZIMMER.

Δύστανος ἐγὼ μελέα τε πόνων, ἰώ μοί μοι, πῶς ἄν ὀλοίμαν;

DOCTOR.

Und diese Sprache, donnerähnlich, unerhört –

SCHLAUKOPF.

Altgriechisch scheint's. Anreden aber will ich sie:

Wer seid ihr, sprecht?

DOCTOR.

Sie schütteln mit den Häuptern –[125]

SCHLAUKOPF.

Sprecht,

Wofern ihr deutsch könnt –

DOCTOR.

Nun, so thut die Mäuler auf:

Man ist nicht hier, euch Wochensüppchen nur zu braun.

SCHLAUKOPF.

Sprecht, redet, sagt mir –

ERSTES FRAUENZIMMER.

Du erriethest recht, Barbar:

Griechinnen sind wir, heimathlos unselige!

Medea dieses, aber ich selbst Antigone.

DOCTOR.

Nun aber dieses nimmer hätt' ich mir gedacht!

Wo kommt ihr her? In meinem Haus was suchet ihr?

MEDEA.

Weil man geschändet sie und mich in Sanssouci –

ANTIGONE.

Entehrt mit Nothzucht unsers Leibes Heiligthum –

DOCTOR.

Und darum also schwanger jetzo glaubt ihr euch?

ANTIGONE.

Du hast's gesagt! Mißbrauchen, wehe, will man uns

Als Mutterschafe für das deutsche Trauerspiel,

Um eure Böcke zu veredeln.

MEDEA.

Ja, und schon

Vielleicht im Leib' ein neuer Ion zappelt mir,

Ein Wechselbalg, der unserm Stamm nur Schande macht.

ANTIGONE.

Ach, oder gar ein Raupach-Themistokelchen!

Und dies vor Allem wäre das Entsetzlichste.[126]

SCHLAUKOPF.

Ist nichts für uns. Nicht schwanger sind sie, auf mein Wort.

Ich kenne das: verlerne Mühe, weiter nichts.

MEDEA.

Wir hoffen es selbst. Doch wär' es anders, lieber dann,

Wie einst den Kindern, schnitt' ich mir selbst die Kehle durch –

ANTIGONE.

Und in die Gruft lebendig stieg' noch einmal ich!

DOCTOR.

Nun denn, so packt euch! Räumet meine Kammer mir!

Erweckt durch eure falsche Hoffnung Hoffnung nicht

Bei Andern!

MEDEA.

Aber wohin wenden wir den Schritt?

Barbaren nur trägt dieses Land.

DOCTOR.

Je nun, was mehr?

So wendet euch an Doctor Heinrich Laube, doch,

Damit er Herrn Quirinus Müller euch empfiehlt,

Dem Selbstprofessor: welcher mit nackten Jüngferchen,

Mit ausgedienten Freudenhausgenossinnen,

Ingleichen auch mit Watte, Schminke, Pudermehl,

Die schönsten Gruppen des Alterthums reproducirt,

Den ganzen Abend Einen Thaler! Sehr gerühmt

Hat Heinrich Laube diesen nackten Dienst der Kunst,

Brust, Schultern, Hüften zusammt dem Mediceischen

(Und Alles dies für Einen Thaler, wie gesagt):

Und hat Jedweden, welcher nicht beistimmen will,

Für einen prüden bürgerlichen Tropf erklärt.

Wollt ihr nicht zu ihm?

ANTIGONE.

Eilig, o Schwester, lass' uns gehn!

Wir wollen betteln, unermüdlich, fern von hier,

Bis daß ein andrer, mildrer Himmel uns empfängt:

Und nicht zum ersten Male bin ich Bettlerin.[127]

MEDEA.

Ja, wandern wir! Euch aber lass' ich meinen Fluch,

Neugierig eitel, unverständig roh Geschlecht,

Weil ihr in uns, aus eitler Sinnenkitzelei,

Die ewigen habt, die Musen Griechenlands entehrt!


Beide ab.


DOCTOR.

Dies ist zum Lachen! Griechische Musen? Dummes Zeug,

Altklassischer Unsinn!

SCHLAUKOPF.

Aber mit Anstand gingen sie.

DOCTOR.

Ei ja, mit leidlichem; lieber dennoch wär' es mir,

Sie schleppten langsam, schweren Bauches, sich dahin.

SCHLAUKOPF.

Wahr, leider wahr! Von wannen schaffen wir ein Kind?

Da man nicht weiß, was Mutter Natur für Launen hat.

DOCTOR.

Sei ohne Furcht: ein Stellvertreterchen schaff' ich uns,

Sofern du nur mit baarem Geld nicht geizig bist,

Und sollt' ich selbst es fabriciren über Nacht.

SCHLAUKOPF.

So will ich hinein, nach unsrer Wöchnerin zu sehn?

DOCTOR.

Ja, geh' nur hinein –


Schlaukopf ab.


Ich meine nämlich, in mein Netz.

Denn etwas liegt verborgen hier, das macht ihm Furcht

Und liefert ihn in meine Hände. Was es sei?

Noch weiß ich es nicht: doch etwas Großes muß es sein,

Das seinen Hochmuth also umgebrochen hat

Und hat vom Herrn zu einem Diener ihn gemacht.

Drum aufgepaßt! – Doch aber hier, wer nahet sich?


[128] Von der Straße her treten der Philosoph und der Romantiker auf die Bühne, im Gespräch.


ROMANTIKER.

Mein eigner Prinz Zerbino heute schein' ich mir,

Da den Geschmack, den guten, er zu suchen ging.

Und freilich was am allerbesten Allen schmeckt

In Erd' und Himmel, diesem heute jag' ich nach. –

Wir sind zur Stelle. Aber sagst du nichts, o Freund?

PHILOSOPH.

Ich dachte eben über die drei Potenzen nach

Und über das Mysterium der Spannung.

ROMANTIKER.

Was?!

Gar drei Potenzen?! Aber hätt' ich Eine nur,

So wollt' ich ganz und gerne schon zufrieden sein.

Doch an der Spannung, leider, da gebricht es mir;

Ich muß sie suchen. Aber sieh', da ist er selbst,

Den wir begehrt, der Apotheker –

DOCTOR hervortretend, polternd.

Nun? was soll's?

Packt euch, hinweg! ich habe keine Zeit.

ROMANTIKER.

Allein

Warum so grob denn?

DOCTOR.

Staatsbeamter ward ich jüngst,

Und also bin zur Grobheit ich privilegirt.

Doch – seh' ich recht? Ist dieses nicht das theure Haupt,

Der vielverehrte Erzromantironikus,

Der hellste Stern des deutschen Dichterhorizonts?


Bei Seite.


Denn sehr in Nahrung ehedem ward ich gesetzt

Durch die Romantik; aber jetzt sogar den Staat

Regieret sie: und darum schmeicheln will ich ihm.[129]

ROMANTIKER ihm in die Rede fallend.

Nur leider jetzt zum Untergange neigt er sich;

Das merk' ich selbst. Denn ob ich auch Viel und Manches mir

In meinem Leben habe wegironisirt:

Doch jetzt vom Alter überboten seh' ich mich,

Dem überironischen, welches völlig mich negirt.

DOCTOR.

Allein was thut es? Wurdest du doch mit Ehren alt,

Mit Ruhm sogar: und reiche Lorbeern decken jetzt,

Und wohlverdiente, deines Hauptes Blöße dir.

ROMANTIKER.

Vielleicht. Es sei so. Dennoch Eines ärgert mich

Und treibt hieher mich, anzuhören deinen Rath,

O du Entbindungs-, Kinderzeugungs-Kundiger:

Dies nämlich, daß das Alter meine Potenz mir lähmt,

Die dichterische!

DOCTOR.

Aber weiter wär' es nichts?

Ein allgemeines Menschenschicksal duldest du –

ROMANTIKER.

O schweig' doch still! An Nicolai mahnst du mich,

Verstandesschwätzer, trivialmoralischer!

Und lange schon die Zeiten hab' ich hinter mir,

Da ich, als Lebrecht, Nicolai's Knappe war

Und die Berliner Aufklärung verbreiten half,

Die rationale, welche seitdem mir ein Greul.

Dies aber sag' ich, anvertrauend dir, o Mann,

Was Keinem sonst ich eingestanden, selber nicht

Der »werthen Freundin« und Kalinsky-Bülow nicht –

DOCTOR bei Seite.

Doch was die Welt seit Langem merkte ...

ROMANTIKER fortfahrend.

Dieses zwar,

Daß die poetische Zeugungskraft mir ganz erlosch

Und ich durchaus nichts Redewerthes mehr vermag.[130]

DOCTOR.

Doch, hast du nicht den Titel und die Pension

Mitsammt dem Orden? Ja, in Sanssouci sogar

Hast du ein königliches Auditorium:

Und was die Blüthe deiner Jugendträume war,

Ein Puppentheater, obenein ein lebendes,

Das travestirt den Schakespeare und die Griechen dir.

Was willst du weiter?

ROMANTIKER.

Aber schwatze nicht, o Mann,

Und schneide dazu solch Eulenbökisches Gesicht:

Sonst gleich den alten Schäker weckst du in mir auf

Und einen Possen unversehens spiel' ich dir.

Frisch! Gieb ein Zaubertränkchen oder so etwas,

Ein Liebesdekokt, das schöpferisches Feuer mir

In die Adern gießt, und jugendlich, mit frischem Saft

Die Lenden füllt! Was zauderst du? und staunst mich an?

In dieser Absicht einzig wandert' ich hieher;

So zeige nun des guten Vorurtheils dich werth.

DOCTOR.

Wohlan, o Theurer: zwar nicht dazu helf' ich dir.

(Denn leider ich kann's nicht), daß du Kinder wieder zeugst,

Die deinen frühern gleichen: lebensfähige,

Aus deren Blick der Funke sprüht des Genius,

Ja, deren Stirn Unsterblichkeit geweihet hat:

Cevennenkriege, Dichterleben, Camoens –

Dies ist vorüber! und der Tieck in Potsdam ist

Zwar eines Königs, doch der Musen Günstling nicht.

Und dennoch helf' ich! Dieses Fläschchen nimm, o Freund!

Darin ich Neid und Eitelkeit amalgamirt,

Griesgrämige Mißgunst, schnöde Vornehmthuerei

Und greisenhaft unmännliche Verdrossenheit.

Denn kurz zu sagen: eine ganze Göttinger

Hochweise, Hochachtbare Facultät hab' ich

Drin abfiltrirt. Auch Franzenhaß that ich dazu,

Und große Worte, ungeheure Faselein,

Von blut'ger Romantik, Greuelscenen, Fleischeslust

Und Victor Hugo'sch-, Paul de Kock'schem Pestgeruch –

Versteh' mich recht! Nicht deiner Victoria gilt ja dies[131]

Und auch der Stallknechtshurenhausnovelle nicht,

Die du aus »Eigensinn und Laune« fabricirt:

Ich hab' es ganz im Allgemeinen nur gemeint

Und ganz in's Blaue, wie's dein Freund, dein Raumer, pflegt.

Nun aber nimm! Und wenn die Jugend wiederum

Durch frische Zeugungen deine Galle dir erregt,

Flugs spritze du dies Neidbaksscheidewasser aus,

Den Vater treffend und die Kinder allesammt.

So, wenn du selbst auch keine Kinder mehr erzielst,

So störst du doch zum wenigsten den Andern noch

Die Lust an ihren.

ROMANTIKER.

O du Überflüssiger,

Varnhagenstrohdreschredensartendrehender:

Wenn dies der letzte Gipfel deiner Weisheit ist,

So hab' ich sehr vergebens mich hieher bemüht!

Denn was mit langen Worten du mir erst empfiehlst,

Längst hab' ich das und ohne deinen Rath gethan.

DOCTOR.

Du hättest wirklich –?

ROMANTIKER.

Freilich hab' ich, weißt du nicht?

Hab' ich mit Mittelmäßigkeiten lieber nicht,

Mit schnödem Abhub sächsischer Geistreichigkeit

Mich pallisadirt und Altem-Weiber-Theegeschwätz,

Als daß ich je ein jugendlich Talent gepflegt?

Edir' ich nicht den Förster lieber und den Laun,

Und bin jedweder geistigen Unmacht Schutzpatron,

Als daß ich um das junge Volk mich kümmere?

Ja karrikir' ich lieber nicht den Sophokles

Und lasse lieber Schakespeare's göttlichen Humor

Halb zum Ballet verhunzen und zum Nante halb,

Als daß ich je den jungen Dichtern unsrer Zeit

Die Thür erschlossen oder nur den Weg gebahnt?

Es sei denn, daß zu meiner Fahne sie gehört

Und als den Dalai Lama mich umräucherten.

Wann sprach ich Gutes von moderner Poesie?

Wann zeigt' ich Liebe für das reifende Geschlecht

Und werf' nicht um mich mit Verdächtigung und Spott?[132]

Drum wohl in diesem übermeistern könnt' ich dich

Und brauche gar nicht deinen dummen Wundertrank.

Gieb ihn an Gutzkow: dieser wohl bedarf ihn: denn

Zwar neidisch ist er, aber ungeschickt dazu

Und schon auf hundert Schritte merkt man seinen Neid.

Ich aber scheide ohne Dank – wiewohl zuletzt,

So ist die ganze Sache mir bloß lächerlich.


Ab.


DOCTOR ihm nachsehend, nach einer Pause.

Wohl lächerlich: doch etwas Trübes hat es auch,

Daß dies das Ende unsrer Würdigsten sogar,

Und daß von solchen Kerzen solche Schnuppe bleibt!

Was endlich folgt? Daß alle Menschen von Natur

Miserable Hunde. Drum nicht besser will ich sein,

Als die Natur, die wohlbedächt'ge, mich gewollt:

Und als ein Hund, schweifwedelnd, schnapp' ich mir mein Brod.


Will in's Haus zurück.


PHILOSOPH der bis dahin theilnahmlos auf den Fersen gehockt und seine Nasenspitze betrachtet hat, aufspringend, ihm nacheilend.

He! halt! o Mensch! Nicht ohne mich!

DOCTOR.

Bist du noch da?

Ich hatte dich vergessen.

PHILOSOPH.

Dieses freilich ist

Schon öfters mir begegnet. Aber immer dann,

Wenn eben Niemand anders gegenwärtig war,

Dann rasch den geeigneten Augenblick erhascht' ich mir

Und stellte mich behäglich auf den leeren Fleck.

DOCTOR.

Mir fehlt die Zeit zum Schwatzen.

PHILOSOPH.

Aber höre mich:

Denn ich bin schwanger![133]

DOCTOR.

Schwanger sagst du? Bist du toll?

Da du ein Mann doch scheinest.

PHILOSOPH.

Dies, o Mensch, ist das

Thatsächliche, welches über die Vernunft hinaus

Gegangen ist! Und darin hast du gleich den Kern,

Den abgeschälten, reinlich ausgehülseten,

Der Offenbarungspositivphilosophie. –

Hochschwanger bin ich (oder sag' ich Allerhöchst?),

Im allerletzten Stadium der Schwangerschaft:

Und die Entbindung, jeden Tag erwart' ich sie

Und jede Stunde, dreißig volle Jahre schon!

DOCTOR.

Doch noch von schwangern Männern nie hab' ich gehört?

PHILOSOPH.

So höre mein Collegium Mythologicum;

Da lernest du, daß Brahma gleichfalls schwanger war,

In der ersten Potenz: und in der dritten jetzt bin ich's.

Ja, war auch Zeus, der Himmel und Erd' umspannende,

Nicht schwanger gleichfalls mit Athene'n? Schwanger nicht,

Da er den jungen Dionysos rettete,

Ihn bergend in der Hüfte, bis er fertig war?

DOCTOR.

Nun meinetwegen. Götter freilich waren dies,

Du aber scheinst mir eine bloße Mannsperson,

Mit dickem Bauch –

PHILOSOPH.

Von wannen aber weißt du das?

Denn frei zu sagen: problematisch ward es mir,

Und täglich mehr, je länger ich mich selbst beschau',

Schein' ich, fürwahr, ein altes Weib mir selbst zu sein.

DOCTOR.

Wohl, sei denn schwanger: aber durch wen, o sprich?[134]

PHILOSOPH.

Durch den

Nichtwollenden Willen, der in Spannung mir gerieth.

DOCTOR.

Und wo geschah's?

PHILOSOPH.

Im unendlichen Raum.

DOCTOR.

Doch dieser liegt?

PHILOSOPH.

Beim Sonnenstein.

DOCTOR.

Und seit wie lange?

PHILOSOPH.

Doch du weißt:

Seit dreißig Jahren, eben ein Menschenalter ist's.

DOCTOR.

Allein womit?

PHILOSOPH.

Mit einem unaussprechlichen

Potenzenhaften, denkabschlußvollendenden,

Urzeitenthüllend-christenthumverklärenden,

Blitzfunkelnagelneuen Positivsystem.

DOCTOR.

Was aber willst du?

PHILOSOPH.

Will entbunden sein durch dich.

DOCTOR.

Allein wie mach' ich's?

PHILOSOPH.

Dieses gilt mir einerlei,

Wenn endlich nur zu Tage kommt die späte Frucht. –[135]

Und kommen muß sie!! sintemal auf ewig sonst

Vor aller Welt ich unauslöschbar bin blamirt.

Denn daß ich ganz vollständig Alles dir erzähl',

Von Anfang an: vor dreißig Jahren, länger selbst,

Seitdem zuerst mein leckes Schifflein strandete,

Das buntbewimpelte, der Naturphilosophie,

An der verwünschten Klippe der Identität,

Indeß der Hegel glücklich in den Hafen lief,

Mit vollem Winde, welchen er selber sich gemacht,

Daß ich umsonst mit offnem Mund ihm nachgesehn:

Seit dreißig Jahren unaufhörlich rühm' ich mich

Mit einem neuen philosophischen System,

Das Gott und Mensch und alle Weisheit dieser Welt

Und alle Zweifel aller Gelehrten, blank und klar,

Wie frische Butter, fertig in das Maul dir streicht,

So daß du gar nichts weiter brauchst, als nur zu kau'n,

Und sich die Welt des Denkens ganz begeben kann.

Dies alles wollt' ich, prophezeiend laut und leis,

In mystischen Worten, von dem ungebornen Kind,

Das als Messias sollte kommen in die Welt:

Und sehnlich harrten meine Freunde der Geburt.

Ich aber druckste: dennoch, drucksend, bracht' ich nichts,

Auch nicht das kleinste Wickelkindchen an den Tag!

Und nur von fernher rauschten leise Blähungen,

Urmythologisch, durch den deutschen Geisterhain. –

In München ging das, ja ich wurde fett dabei

Und fühlte mit Lust, wie täglich mir mein Bäuchlein schwoll.

Allein, o weh! seit Ruhmbegierde leider und

Der Neid auf Hegel, unvorsicht'ger Weise, mich

Zur »Metropole deutscher Wissenschaft« geführt:

Seitdem an mein Versprechen wieder mahnt man mich

Und an das Kind, das immer noch nicht kommen will.

Drum also muß ich! – Schon die Pathen stehn bereit

Und schon den Toast hat Friedrich Förster concipirt;

Ja selber schon die Taufmedaille schlugen sie

Und brachten sie, sammt einer Nachtmusik, mir dar –

Drum also muß ich!! Schweigend, wie zur Opferung,

In deine Hand, Entbindungskünstler, geb' ich mich:

Und sei's von hinten oder sei es auch von vorn,

Thu', was du mußt! nur schaffe mir das Kind zur Welt.[136]

DOCTOR.

Doch unvernünftig Alles dünkt mich, was du sprichst,

Und völlig gegen alle Wahrheit und Natur.

PHILOSOPH.

An nichts gebunden (dieses merke dir, o Mensch!)

Ist die Vernunft, auch selber an die Wahrheit nicht.

Doch so erbarm' dich! und die dreißigjährige,

Ja operire mir endlich meine Schwangerschaft.

DOCTOR.

Ich kann's nicht glauben.

PHILOSOPH.

Aber sieh' doch meinen Bauch!

DOCTOR.

Das sind Infarcten.

PHILOSOPH.

O du Kieselherziger,

Meinst du, ein Spaß ist's, dreißig Jahre schwanger sein,

Und immer fühlen, wie's da innen umrumort,

Und brummt und knurrt und mit den Beinchen zappelt es:

Und alles dies als eine Mannsperson?! Doch – »Er

Hat keine Kinder!!«

DOCTOR.

Hebe dich fort, ich muß hinein.

PHILOSOPH.

Und das ist Alles? Sterben lassen willst du mich,

Denselben Tod gar, welchen Meta Klopstock starb,

»Hier ruhet Meta, mit dem Sohne, den sie nicht

Gebären konnte –«

DOCTOR.

Aber meine Zeit ist um.

PHILOSOPH.

Was? Weißt du auch, daß ich ein königlich preußischer

Geheime Rath bin?[137]

DOCTOR bei Seite.

Wäre dies ein Schicksalswink?

Und ginge wirklich etwa hier ein Wunder vor?

Das Kind, von welchem dieser Dickbauch phantasirt,

Wär' es nicht bloß ein Sprößling seiner Eitelkeit?

Ja, wäre dies das Stellvertreterchen vielleicht,

Im Falle daß Germania ein Monstrum kriegt?

Zwar thöricht ist's: doch aber versuchen will ich es,

Und wär's zum Spaß.


Laut.


Das ändert die Sache:


Ins Haus hineinrufend.


Kilian!

Bring' den Gebärstuhl, jenen mit dem breiten Sitz,

Bring' auch die darmausspühlende Spritze mir heraus

Und einen Hacken –

PHILOSOPH.

Aber den Hacken, sprich, wozu?

DOCTOR.

Das ist das Werkzeug, wenn man Männer accouchirt.


Zum Kilian, der inzwischen mit den verlangten Instrumenten heraus getreten ist.


Und nun herunter hurtig zieh' die Hosen ihm –

PHILOSOPH.

Warum den Beinschmuck?

DOCTOR.

Weil kein andrer Weg, als hier,

Zum Hades führt, dem unsichtbar gewordnen Gott.

PHILOSOPH.

Doch schone mich! denn äußerst empfindlich bin ich da.

DOCTOR.

So! setze dich: du aber, o Alkmene's Sohn,

Der du den Stall des Augias hast ausgeleert:

Komm', steh' mir bei! ja schütze mich, o Herkules!

Wie? oder ruf' den alten Paulus ich dazu?[138]

PHILOSOPH.

Nur nichts von Paulus, selber sein Name macht mir schlimm.

DOCTOR manipulirend.

Sitz' du nur ruhig – Aber sagt' ich es nicht gleich?

Verstopfungen sind es –

PHILOSOPH.

Doch du kneifst mich –

DOCTOR.

Sitz nur still!

PHILOSOPH.

Weh mir, du zerrst mich –

DOCTOR.

Kommen muß es, siehst du, hier?

PHILOSOPH.

Ist es ein Knäblein?

DOCTOR.

Leider nein, für diesesmal

Ist es ein Stück, ein unverdautes, weiter nichts,

Der Hegel'schen Logik –

PHILOSOPH.

Unversehns verschlang ich es.

DOCTOR.

Doch hier von Fichte –

PHILOSOPH.

Den hab' ich ja ausgespie'n?

DOCTOR.

Von Vater Kant –

PHILOSOPH.

Doch auslaxirt hab' ich ihn längst?

DOCTOR.

Hier der Spinoza: diesen hast du gut verdaut.[139]

PHILOSOPH.

Je nun, das war in meinen Jugendtagen auch,

Wo noch mein Magen seine frische Kraft besaß.

DOCTOR.

Hier Jakob Böhme –

PHILOSOPH.

Trefflich mundete dieser mir.

DOCTOR.

Auch hat er noch das meiste Fett dir angesetzt.

Ringseis und Görres –

PHILOSOPH.

Diese sind mein Leibgericht.

DOCTOR.

Ein Münchner Würstlein –

PHILOSOPH.

Teltow-Rübchen ess' ich jetzt.

DOCTOR.

Und hier, o schau', in ächtem baierischem Bier

Schwimmt die Scholastik, klumpenförmig, nebelgrau –

PHILOSOPH.

Ei wohl, das ist der Mutterkuchen des Systems.

DOCTOR.

Nun, höher steigend, mit dem Hacken wend' ich dich

Und spüre deines Herzens tiefste Gründe durch –

PHILOSOPH.

Hinweg den Hacken! in die Seele bohrst du mir!

DOCTOR.

Was? Eitelkeit im Philosophen giebt es auch?

Koketterie? Verlegenheit? Windmacherei?

O kränker bist du, armer Schächer, als du denkst![140]

PHILOSOPH.

Und noch kein Kind?

DOCTOR.

Von einem Kinde keine Spur,

Bloß ein gestaltlos unerkennbar Zwitterding,

Ein roher Bissen, welchen du allzujäh verschluckt

Und der den Ausweg darum nicht gefunden hat:

»Weltalter« –

PHILOSOPH.

Weh! in welche Gegend bohrst du mir!

DOCTOR.

Die »fünfzehn Bogen,« welche du selber hast cassirt,

Gleich Würmern zabbelnd, aber doch des Lebens baar –

PHILOSOPH.

O, ich beschwör' dich, thue den Hacken mir heraus –

DOCTOR.

»Urmythologie« –

PHILOSOPH.

Bloß Wischiwaschi! Laß mich los!

DOCTOR.

»Positivsystem« –

PHILOSOPH.

Bloß die Annonce – heb' dich fort!

DOCTOR.

Allein ich fand ja immer noch das Kindlein nicht?

PHILOSOPH.

Ich bin nicht schwanger –

DOCTOR.

Aber hier im Hintergrund,

Zunächst am Herzen, überdeckt und eingescharrt,

Gleichwie der Hamster mit dem gestohlnen Korne thut –[141]

Potz alle Tausend! das bestrittne Manuscript

»Von dem Verhältniß der Naturphilosophie« –

PHILOSOPH.

Es ist von Hegel – beichten will ich, laß mich los!

DOCTOR.

Der Streit mit Kapp –

PHILOSOPH.

Er falle auf mein eignes Haupt!

DOCTOR.

Der alte Salat –

PHILOSOPH.

Schwer im Magen liegt er mir!

Weh! laß mich los!

DOCTOR.

Nicht ehe du leer bist –

PHILOSOPH.

Bin ich's nicht?

Kein ausgedroschnes Hälmchen ist so leer, wie ich.

DOCTOR.

Allein bedenk'! die Taufmedaille –

PHILOSOPH.

Laß mich los!

Und hole der Satan, oder wem es sonst beliebt –

DOCTOR.

Doch die Potenzen –

PHILOSOPH.

Überpotenzt bin ich von dir.

DOCTOR.

Und dann die Spannung –[142]

PHILOSOPH.

Auf die Folter spannst du mich –

Fort mit dem Hacken!

DOCTOR.

Aber ich suche ja das Kind –

PHILOSOPH.

Nichts mehr von Kind! Und wenn es ja des Kinds bedarf

Nun denn so will ich lieber selber kindisch sein

Und will zum Spotte lieber werden aller Welt,

Als daß ich diese Paulus'sche Leibdurchgrabbelung

Ertrage! Fort!

DOCTOR.

Der Hacken sitzt noch –

PHILOSOPH.

Fort! hinweg!

Und sollt' es kosten meines Leibes bestes Theil,

Den unendlichen Raum, die neue Burg der Wissenschaft –

Ausreißen muß ich –!!


Reißt aus.


DOCTOR.

Und da läuft er! Wie ein Fisch,

Der von der Schnur verzweifelnd selbst den Hacken reißt

Und der nun doch im Wasser sich verbluten muß. –

Und also geh' es Jedem, welcher diesem gleicht!


Ab mit Kilian. Aus der Seitenthüre Schlaukopf, mit der Germania.


SCHLAUKOPF.

Doch aber ist's auch sicher, daß du schwanger bist?

Wie ein Rekrut im Angesicht der nahen Schlacht,

So stündlich tiefer sinken fühl' ich meinen Muth.

Noch ist es Zeit: sag' ehrlich, bist du's oder nicht?

GERMANIA.

Was fragst du mich? Wenn selber du in Zweifel bist,[143]

Der du's gemacht, sammt jenen Andern, welche du

Mir zugeführt.

SCHLAUKOPF.

Still, sprich nicht so laut! Unsinnig Weib,

Die Wände haben Ohren hier: nimm dich in Acht!

GERMANIA.

Doch warum ich? Was könnte mir denn wohl geschehn?

Nicht zugedrängt zu dieser Rolle hab' ich mich,

Vielmehr zu ihr geworben hast du mich –

SCHLAUKOPF.

Sei still!

GERMANIA.

Was zürnst du? Hab' ich redlich Alles nicht gespielt,

Wie du befahlst? Gelächelt, wo du es verlangt,

Mit dem Kopf genickt, gebetet gar und kniegerutscht

Auf deinen Wink? Und wurde nur schwanger auf Befehl?

SCHLAUKOPF.

Wenn du so schreist, den Schädel brech' ich dir entzwei:

Schamlose du, uneingedenk des Guten ganz,

Das ich dir that!

GERMANIA.

Daß du mich von der Straße nahmst –

Und mich verflochtst in deine dumme Politik?

Ich habe mich von Herzen ennuyirt dabei,

Ich habe dich satt –

SCHLAUKOPF.

Verwünschte Dirne, halt' das Maul!

GERMANIA.

Ja, schlag' mich nur: gleich ohne Weitres lauf' ich fort,

Dann sieh du zu, von wannen du eine andere

Germania kriegst: und obenein, die schwanger ist.

SCHLAUKOPF.

So reich' die Hand: dein Vortheil ist's, wie meiner auch.[144]

GERMANIA.

Es ist schon gut; langmüthig bin ich, wie du weißt,

Und leicht versöhnt.

SCHLAUKOPF.

So folge mir.

GERMANIA.

Geh nur voran.

Ich folge sogleich –


Schlaukopf ab ins Haus.


Schleicht drüben nicht der Kilian?

Ein strammer Bursch! Und heiße Blicke schleudert er

Und winkt mir zu – Pst, warte nur, ich komme gleich!

Es giebt doch nichts Anmuthigeres und Schönres nicht,

Als so ein kleines Passiönchen für das Haus!


Ab, nach rechts.


DER DICHTER.

Bald wird in raschem Flusse sich mein Stück zu Ende neigen:

So laßt den Dichter einmal noch sich auf der Bühne zeigen,

Um in der Jamben flücht'gem Tact, dem tanzenden, lebendigen,

Sich über dies und das mit euch in Kürze zu verständigen.

Denn o, ich höre schon, wie Frau Ästhetik sich entrüstet,

Und wie mit ihrer Sittsamkeit die feine Welt sich brüstet!

Ich sehe schon, wie, blaß vor Schreck, sie ihr Flacon ergreifen,

Weil ich so kühn war, die Dehors ein wenig abzustreifen!

Ich sehe schon mein armes Stück verketzert und verboten,

Sowohl um sein politisch Theil, als auch um seine Zoten!

»Da sieht man,« sagen sie, »den Fluch plebejischer Naturen!

Das sind von der Demagogie die unheilvollen Spuren!

Zwar Menzel längst bewies es uns, vollständig, daß es puffte,

Daß all die Jüngern Dichter nichts, als ausgemachte Schufte,

Und auch die Literarische hat es nicht lassen fehlen,[145]

Kredit und unbescholtnen Ruf dem jungen Volk zu stehlen.

Doch nun an diesem Maskenspiel, nun sehen wir auf's Neue,

Daß bei dem jetzigen Geschlecht nicht Zucht, noch Scham, noch Treue!

Denn woll'n wir auch dem losen Scherz nicht ganz sein Recht versagen,

So muß er doch zum wenigsten ein Feigenblättcnen tragen;

Zum Beispiel, wie bei Wieland dort und bei dem Herrn von Thümmel –

Doch dieser geht ja völlig nackt, der Sansculott, der Lümmel!

Und wie er an dem Barte zupft und an des Mantels Falten

Die größten Männer unsrer Zeit, die würdigsten, die Alten!

Ja, recht geschehn ist diesem Mann und billig traf es diesen,

Daß man ihn vagabondengleich aus Weimar hat verwiesen.

Nun mag er immer weiter nur in schnödem Wahnsinn taumeln,

So sehn wir ihn am Ende noch, will's Gott! am Galgen baumeln,«

So schnattern sie und kreuzen sich die übertünchten Brüste:

Als ob von eurer Keuschheit ich den wahren Werth nicht wüßte!

Nicht wüßte, daß ihr sichtlich zwar wie Heil'ge Gottes wandelt,

Doch mit dem Teufel nebenbei im Stillen unterhandelt!

Für euch nicht Schwarz, für euch nicht Weiß, für euch allein das Falbe:

Die volle Nacktheit ärgert euch, doch kitzelt euch die halbe!

Drum zwar mein Buch verdammet ihr und säht mich gern gebraten:

Allein, ihr Herren, sagt mir doch, wie steht's mit euren Thaten?

Nicht wahr? ihr sitzt doch auch wohl gern im Opernhaus, ich wette,

Und schärft die stumpfe Sinnlichkeit am neuesten Ballette?

Es dünkt euch auch ganz magnifique, wenn hoch die Röcke fliegen

Und wohllustathmend, rückgelehnt, die Leiberchen sich wiegen?[146]

Ihr jauchzt doch auch und applaudirt mit fieberheißen Händen

Dem ausgestopften Hintertheil und den tricotnen Lenden?

Ihr spannt doch auch die Pferde aus und seid in Lust zerflossen,

Wenn ihr die Reste seht von dem, was Gentz einst ganz genossen?

Und dann Marquise von Belleisle, Vicomte von Latoriéres –

»Herr Bruder, ja! das ist ein Stück! Seht nur das Weib, auf Ehre!

Was ihr die Hose niedlich steht! und was der Frack ihr puppert!«

So schwört ihr laut, indeß nach Luft vor Gier die Nase schnuppert.

Auch lest ihr doch (die Hand auf's Herz), Nachmittags, auf dem Sopha,

Ihr lest doch auch den Crebillon, Faublas und Casanova?

Mitsammt den neuromantischen Ehbruchsdiebstahlsnovellen,

Und aus dem Pückler (ist's nicht so?) die quergedruckten Stellen?

Nicht wahr? das ist noch amüsant? da sammelt man Histörchen?

Die wispern sich so allerliebst der Gnädigen in's Öhrchen?

Das treibt dem Kind, das heut' zuerst in die Soiree gegangen,

Das dumme jüngferliche Blut so niedlich in die Wangen?

Zwar heimlich kämpft es mit der Scham, es weint beinah im Stillen:

Und doch zum Lächeln zwingt es sich, bloß um des Anstands willen,

Damit ihr ja nicht denken sollt, als wären wir vom Lande,

Und unsre Bildung wäre nicht d'accord mit unserm Stande!

Was thut es, ob der Teufel auch des Kindes Unschuld hole!?

Zum »Löwen« der Societät erhebt sich der Frivole!

Da sitzt er breit auf hohem Stuhl, gleichwie im Tabernakel,

Für Stock und Hut und Westenschnitt vollgültiges Orakel,

Und streuet rechts ein Witzwort aus und links ein süßes Zötchen,

Theeklitscheklatsch, Salongeschwätz, pikante Anekdötchen:

Wie die und die mit dem und dem – »ich hab' es selbst gesehen« ....[147]

Und der und die und da und dann – »Sie werden mich verstehen« ....

Und alle Mütter lächeln ihm und alle Töchter lächeln

Und drängen sich und schieben sich mit Neigen, Nicken, Fächeln:

»Was der Baron heut' witzig ist! wie Saphir, zum Entzücken!«

Er aber streckt die Beine aus, vornehm, mit breitem Rücken,

Kneift blinzelnd die Lorgnette ein und läßt beim Discurriren

Die Busen, Schultern, Waden, Culs vor sich Revue passiren. – – –

Gott lohn' euch eure Sittsamkeit! Mich wollt ihr schier verbrennen,

Weil ich gewagt, das Schwarze schwarz und Hund den Hund zu nennen:

Doch das ist sittsam, meint ihr nicht? und dieses muß man schonen,

Wenn sich ein Kavalier ergiebt den »noblen Passionen?«

Doch das ist sittsam, Benazet und Chabet zu vertheidigen,

Und bürgerliche Ehrsamkeit hochadlig zu beleidigen?

Doch das ist sittsam, zum Duell die fremde Faust zu miethen

Und hinterdrein dem Spruch der Welt naiv die Stirne bieten?

Entartet', weibisches Geschlecht! zu schwach sogar zur Sünde,

Zu schlaff, zu morsch, als daß in euch die Leidenschaft noch zünde!

Verurtheilt, zwischen Gier und Furcht tantalisch hinzuschmachten,

Und heimlich, in des Herzens Grund, sich selber zu verachten! – –

Und dieses heißt ein Publikum? Und diese wollen richten,

Was der Poet, in Herzensdrang, darf denken und darf dichten?

Und diese theilen Lorbeern aus und spielen die Mäcene,

Und hier den Einen klatschen sie und degoutiren Jene? –

Auch die Griseldis kröntet ihr, das Ding aus Dreck und Butter,

Griseldis nicht: Grisette! – Doch für euch das rechte Futter,

Und fandet äußerst tragisch es, daß Parcival, der Grobe,[148]

Fünf Akte durch sein Weib auf's Rad läßt flechten, bloß zur Probe:

Und kröntet auch den Ingomer und sahet voller Rührung

In dieses Zwitterviehs Dressur der Liebe holde Führung:

Den Ingomer, halb Bär, halb Schaf, der lieber, ohne Klage,

Ein Lump auf Griechisch ist, als ein honetter Tektosage! –

Unglaublich wär's, wie solch ein Spuck die Herzen kann bewegen,

Trät' nicht in diesen Schatten euch eu'r eignes Bild entgegen.

»So,« fühlt ihr, »ja, so könnt' auch ich 'mal mein Maitreßchen quälen,

Und ebenso, wie Ingomer, so würd' ich selber wählen!« –

So spiegelt sich am Lump der Lump und dünkt sich ganz erhaben,

Wenn er am Bilde seines Nichts sein Herzchen kann erlaben.

Ich aber sag' es euch, fürwahr! und will es wiederholen,

Und brenntet ihr auch heute noch mich und mein Buch zu Kohlen:

Sittsamer, als Griseldis, ist mein Stück, trotz sei nen Zoten,

Und ging's nach Recht, so würde sie, und nicht mein Buch verboten! –

Darum verachten müßt' ich mich und sündigte am Schönen,

Wollt' ich der falschen Sittlichkeit um euren Beifall fröhnen.

In Tugendschleier wickle sich Halm-Raupach'sche Tragödie:

Doch nackt, wie Venus aus dem Meer, nackt wandle die Komödie,

Und wen ihr Antlitz blendet, wohl! der mag zur Erde schauen

Und mag das Hausbrod der Moral mit feisten Backen kauen. –

Auch sprecht mir nichts von Pietät! Ehrfurcht dem Alter, freilich:

Doch ist so wenig alte mir, wie junge Thorheit heilig.

Die Thorheit mein' ich, nicht den Mann: was kümmert mich der Namen?

Ich halt' es mit den Helden, die nach Ilion einst kamen:

Erst prüften Schwert am Schwerte sie in männlichem Gefechte,

Und dann zum Abschied schüttelte der Feind dem Feind die Rechte.[149]

So bin auch ich der Thorheit Feind und muß das Haupt ihr schlagen:

Doch mit dem Manne will ich gern in Ehren mich vertragen.

Ja, wenn sich die Gelegenheit nur endlich einmal fände,

O glaubt, daß ich statt Dornen gern euch Lorbeerkränze wände! –

Du aber, o mein deutsches Volk, o du von Gott erkoren,

Auf daß durch dich das Griechenthum noch einmal wird geboren:

Thu' ab von dir die falsche Scham, thu' ab, thu' ab das Halbe,

Das Graue laß dem Eselein und laß dem Mönch das Falbe!

In dieser Luft (vernimm mein Wort!) ästhetisch parfümiret,

Durch Altersrücksicht und Censur voraus desinficiret,

In dieser schweren, dicken Luft der Kritiker und Kenner,

Da ziehst du keine Dichter groß und ziehst dir keine Männer!

Ja, hätte Schakespeare immer erst die Logen sollen fragen,

Ob dero Gnaden Sittsamkeit auch dies und das vertragen,

Und hätte Aristophanes in Wolken, Fröschen, Rittern

Vor jeder Jungfer müssen und vor jedem Pfaffen zittern:

Sie hätten nie das Licht erblickt, die köstlichen, die Meister,

Von eignen Gnaden Könige im freien Reich der Geister!

Und wenn es die Poeten nur und nur die Künstler wären,

Je nun, man kann das Zuckerbrod schon ein'ge Zeit entbehren.

Allein dieselbe Fessel drückt auch dein politisch Leben,

Und läßt auch da dich immer nur am Halben, Falben kleben.

Zwar Pietät der alten Zeit und Pietät den Fürsten:

Doch Pietät der Zukunft auch, nach der die Völker dürsten!

Es ist recht hübsch, gleich jeden Streit mit Höflichkeit zu schlichten;

Doch soll aus Höflichkeit ein Volk nie auf sein Recht verzichten.

Wer Großes braucht (dies ist dein Fall), der muß auch Großes wollen;

Den Wein der Freiheit nippt man nicht, man trinkt ihn aus dem Vollen!

So wag' es denn und habe Muth, den Becher zu ergreifen –

Und mach' nicht gleich die Hosen voll, wenn deine Könige keifen.[150]

Dann, wenn du einst, in künft'ger Zeit, dein Recht dir hast genommen,

Dann wird, mit anderm Guten, dir auch die Komödie kommen!

Dann wird ein Aristophanes in Deutschland auch erstehen –

Und aus der »Wochenstube« dann mag man Patronen drehen!

Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 112-151.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die politische Wochenstube
Die politische Wochenstube
Die politische Wochenstube
Die Politische Wochenstube: Eine Komödie (German Edition)

Buchempfehlung

Tschechow, Anton Pawlowitsch

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Drei Schwestern. (Tri Sestry)

Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon