6.

[154] Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen.

Nun zeig' in deinem Glanz dich, schöne Welt!

Im rechten Licht zeig' ihm dich unverstellt,

Daß er zu dir mag fassen ein Vertrauen!


Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen

Im Spiegel, den ihm meine Liebe hält.

Entrollt euch seinen Blicken, Stadt und Feld!

Zeuch ihm vorüber, Land mit deinen Gauen!


Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,

Wie sein erobert Land beschaut ein Held;

Und wie es dar sich seinen Augen stellt,

Verfügt er drüber mit dem Wink der Brauen.


Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,

Wie ein Nomade mit dem leichten Zelt,

Sein Haushalt ist im Augenblick bestellt,

Wo er es aufschlägt auf den grünen Auen.


Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,

Ihr Schatten rauschet und ihr Lüfte schwellt!

Ihr Gärten grünet und ihr Ströme quellt!

Laß, Himmel, Sonnenschein und Regen tauen!


Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen,

Und sie ist ganz zu seiner Wahl gestellt,

So weit als Gottes Frühlingslicht erhellt

Die grünen Räum' und obenher die blauen.
[154]

Mein Liebster geht, die Welt sich zu beschauen

Und ungesehen geh' ich ihm gesellt.

Und wo es ihm und wo es mir gefällt,

Da wird er sich und mir die Hütte bauen.


Quelle:
Friedrich Rückert: Werke, Band 1, Leipzig und Wien [1897], S. 154-155.
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