Erstes Kapitel.

[9] Von des Gartantuä Antiquität und Stammbaum.


Ich verweis euch auf die grosse Pantagruelinen-Chronik, so ihr die Antiquität und Stammbaum daraus Gargantua uns entsprossen, wollt kennen lernen. Aus selbiger werd ihr mit mehrem ersehen wie die Riesen in diese Welt sind kommen, und wie von ihnen in grader Lini abgesprungen Gargantua der Vater des Pantagruel. Werd euchs auch nicht verdriessen lassen wenn ichs für dießmal übergeh; obschon die Sach von der Art ist daß sie, je mehr man ihrer erwähnt, Euern Gestrengen desto besser gefallen müßt: wie ihr dafür das Ansehen Platos in Philebo et Gorgia habt, deßgleichen Flacci welcher sagt daß etliche Ding (wie denn ohn Zweifel dieß hie eins), immer ergötzlicher würden je öfter man sie erzählt und wiederhohlt.

Wollt Gott, ein jeder wüßt seinen Stammbaum so eigens vom Kasten Noä bis diese Stund! Ich halt dafür es sind ihrer Mehre heut zu Tag Kaiser, Könige, Herzöge, Fürsten und Päpst auf Erden, welche von einigen Bettelbriefträgern und Ballenbindern das Leben haben. Und wiederum Mehre sind Spittel-Pracher, elende Lumpen und Hungerleider die[10] vom Geschlecht und Blute grosser König und Kaiser entsprossen sind, hinsichtlich der erstaunlichen Versetzung der Staaten und Königreich;


Assyriens in Medien,

Mediens in Persien,

Persiens in Mazedonien,

Mazedoniens in Rom,

Roms in Griechenland,

Griechenlandes in Frankreich.


Und daß ich mich, der ichs euch sag, allein zu einem Exempel aufwerf, so glaub ich gänzlich daß ich etwann von einem reichen König oder Fürsten der Vorzeit herkomm: denn ihr habt euer Lebelang keinen Menschen gesehen der einen stärkern Trieb König und reich zu seyn in ihm verspürt hätt, als mich: auf daß ich auch im Saus könnt leben, nix schaffen noch sorgen dürft, und meine Freund und alle fromme geschickte Leut daneben auch stattlich reich machen möcht. Aber ich tröst mich wiederum damit: ist es nit hie, so ist es dort; ja wohl weit mehr als ich mir itzo zu wünschen erkühnt. Tröstet auch ihr euch in euerm Unglück mit diesem, oder besseren Gedanken, und ist es thunlich, habt allzeit frisches Getränk bei euch.

Itzt wieder auf unsre Hammel zu kommen, sag ich: daß uns durch höchste Schenkung des Himmels die Antiquität und Stammbaum Gargantuä vollständiger ist erhalten worden als eine, ohn des Messias Stammbaum, von welchem ich nicht sprechen mag, denn es geziemt mir nicht: auch sind die Teufel (das ist die Kuttner und Blaustrümpf) dawider. Und ward gefunden durch Hans Audeau auf einer Wiesen, so er hätt unweit der Gualeauer Schleussen unter Olive auf der Seit gen Narsoy. Wie der die Gräben dort stechen ließ, da stiessen die Gräber mit ihren Karsten auf ein grosses Grab von Erz; lang ohne maasen, denn sie konnten nimmer[11] ein End davon finden, weil es bis weit in die Vienner Gemarkung strich. Als sie solches an einem Ort erbrochen hatten, worüber ein Becher sculpiret war und mit hetrurischen Lettern rings umhergeschrieben HIC BIBITVR, fanden sie da neun Flaschen in der Ordnung stehen wie man die Kegel in Gasconien zu setzen pflegt, und unter deren mittelster lag ein klein graugrün, artig, schartig, ziemlich schimmelig Büchlein, das stärker den Rosen, aber nicht besser roch.

In selbigem hat man ermeldten Stammbaum der Läng nach mit Canzellarschrift geschrieben funden, nicht auf Papier, noch Pergamen, auch nicht auf Wachs, sondern geschrieben auf Ulmenrinden, wenn schon für Alter so abgenützt, daß man davon mit Müh drey Ziffern in gleicher Reih gewahren mocht.

Ich nun (wiewohl der Ehr unwürdig) ward dazu hin erfordert: da ich sodann mit guter Brillenhülf die Kunst des Aristoteles wie man unscheinbare Lettern lieset, ausgeübt unds so wie ihr hie sehen könnt, verdollmetscht hab zum Frommen aller Pantagrueleser, das ist frisch netzender froher Leser der schauderhaften Pantagruelsthaten. Am End des Buchs stund ein Traktätlein, der antidotirete Firlfanz betitelt. Die Ratten und Matten, oder (daß ich nicht lüg) andere mißgünstige Thier hatten den Anfang davon vernaget. Das andre hab ich hie untergestellt dem alten Schwärtel zu Lieb und Ehren.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 9-12.
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