Vier und Zwanzigstes Kapitel.

[85] Wie sich Gargantua bey Regenwetter die Zeit vertrieb.


Begab sichs daß das Wetter regnicht und trüb war, so bracht man die ganze Zeit vor Mittag wie gewöhnlich zu, ausser daß er ein schön hell Feuer anmachen ließ, die Feuchtigkeit der Luft zu mildern. Aber nach dem Mittagsessen blieben sie, statt der sonst üblichen Leibesübungen, zu Haus und unterhielten sich apotherapeutischer Weis mit Heubinden, mit Holzspalten und Sägen und Garbendreschen in der Scheun. Dann trieben sie die Malerey und Schnitzkunst; oder brachten auch das alte Spiel der tali wieder auf die Bahn, wie Leonicus davon geschrieben und unser guter Freund Lascaris es zu spielen pflegt: und gedachten unter dem Spielen der Stellen in den alten Authoren da dieses Spieles Meldung geschieht, oder ein Gleichniß daraus entlehnt ist. Oder gingen auch aus und sahen wie man die Metalle schmolz und schied, oder Geschütz goß, oder besuchten die Goldschmiede, die Juwelirer, Steinschneider, Alchymisten und Münzer, deßgleichen die Weber, Sammet- und Tapetenwirker, die Uhrmacher, Spiegelschleifer, Orgelbauer, Drucker, Färber und mehr dergleichen Handwerksleut, und überall wo sie hinkamen, da theilten sie Trinkgelder aus, wogegen sie die Industri und Erfindsamkeit der Gewerbe betrachteten und einsehn lernten.[85]

Wohnten auch den öffentlichen Lectionen, den solennen Actibus, Repetitionen, Declamationen, Zeugenverhören der artiger Anwält, den Sermonen der evangelischen Priester bey. Oder er trieb sich durch die Säl und Schulen wo gefochten ward, schlug sich daselbst auf alle Waffen mit den Meistern, und bewies ihnen augenscheinlich, daß er davon soviel als sie, ja mehr verstünd. Und statt des Herborisirens gingen sie in die Specereygewölb, zu den Kräuterhändlern und Apothekern, untersuchten da aufmerksam die fremden Wurzeln, Blätter, Frücht und Sämereyen, Gummen, Salben, deßgleichen wie man sie verfälscht. Besucht' die Gaukler, Taschenspieler und Marktschreyer, und betrachtet' sich ihr Treiben, ihre Finten, Gestus, Kapriolen und edles Mundwerk, sonderlich derer von Chaunys in Picardien; denn dieß sind von Haus aus die allergrößten Schwadronirer und Possenreisser, was den Punkt der grünen Affen anbelangt. Wenn sie sodann zum Abendbrod heimkamen, assen sie um Vieles mässiger als die andern Tag, und mehr austrocknende, dünnende Speissen, damit die unvermeidlich dem Körper mitgetheilte feuchte Luft dadurch verbessert würd, und ihnen nicht nachtheilig wär, weil sie nicht, wie gewöhnlich, eine Leibesübung zuvor gehabt.

So ward Gargantua guberniret und schritt tagtäglich weiter vor in diesem Gleise, profitirend, wie ihr selbst einseht, daß ein junger Mann seines Alters von guten Gaben, bey also fortgesetzter Übung wohl profitiren muß; die, ob sie gleich anfangs beschwerlich schien, doch im Verlauf so süß, leicht und ergötzlich ward, daß es vielmehr ein Kurzweil für einen König als eines Schülers Zucht zu seyn schien. Gleichwohl ihm eine Fristung von so schwerer Geistesarbeit zu geben, erkor Ponokrates in jedem Monat einen schönen hellen Tag aus, an dem sie morgensfruh aus der Stadt aufbrachen, und entweder gen Gentily oder gen Boulogne, Montrouge, oder Charantonsbrucken, gen Vanves oder Sainct Clou zogen. Da brachten sie den ganzen Tag in[86] aller nur ersinnlichen Lust mit Schäkern, Jauchzen, Spielen, Singen, Tanzen und Runda trinken hin, wälzten sich auf den grünen Wiesen, nahmen Spatzen aus, strichen Wachteln, fischten Krebs und haschten Frösch.

Aber obschon der Tag ohn Bücher und Lection verging, ward er darum nicht ohn Frucht verloren. Denn auf dieser lustigen Wiesen entsannen sie sich aus dem Kopf allerley artiger Vers vom Feldbau aus dem Virgil, Hesiodus, dem Rustico des Politianus, verfaßten allerley artige Sinnschriften zu Latein, und brachtens dann auf Französisch in Balladen und Rundreim. Wenn sie dann banketirten, schieden sie von dem gewässerten Wein, wie Cato de re rust. und Plinius lehren, mit einem Becher von Epheu das Wasser, wuschen den Wein in einem vollen Wasserbecken, zogen ihn darauf mit einem Trichter wiederum ab, vermochten das Wasser aus einem Glas ins andre, bauten vielerley kleine Automata oder sich selbst bewegende Werklein.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 85-87.
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