Fünf und Zwanzigstes Kapitel.

[296] Wie die zweyunddreyssig Ball-Tänzer zusamen Krieg führen.


Wenn nun die beyden Schaaren itzt auf ihren Posten fertig stehn, fängt die Musik von beyden Seiten in kriegerischer Tonart recht erschrecklich an, wie zum Sturm zu blasen. Da sehn wir beyde Heer aufjauchzen und zu tapfern Strauß sich stählen, wenn sie das Treffen aus ihren Lägern rufen wird. Auf einmal schwieg itzt die Musik der Silbernen, und nur die Hörner des güldnen Heers erklangen noch: woraus wir schlossen daß das güldne Heer angriff. Was auch sofort geschah; denn auf ein zweytes Blasen sahn wir die vor der Königinn postirte Nymph linkwärts eine ganze Tour nach ihrem König machen, gleichsam ihn um Urlaub zum Treffen bittend, und zugleich ihre ganze Schaar begrüssen. Dann schritt sie in aller Sittsamkeit zween Felder vor, und macht' den Feinden mit einem Fuß die Reverenz zum Angriffszeichen. Itzt verstummten die güldnen Spielleut und begannen die silbernen.

Ist aber hie nicht zu vergessen, daß die Nymph ihren König und ihre Schaar darum mit ganzer Schaar begrüßt', daß sie nicht müssig bleiben sollten: wie sie hinwiederum von ihnen mit voller Tour nach Linkerhand begrüßt ward, ohn von der Königinn, die sich nach ihrem König rechts schwenkt'; und ward dieß Grüssen und Gegengrüssen von allen Tänzen im ganzen Lauf des Balls auf beyden Seiten vollzogen.

Auf den Schall der silbernen Hörner rückt' itzt die silberne Nymph aus, die vor ihrer Königinn postirt war, grüßt' ihren König züchtiglich und ihre ganze Schaar, sie wieder die Nymph, wie bey den Andern schon gedacht, nur daß sie rechts sich schwenkten, und ihre Königinn Linkerhand: ging auf das zweite Feld vor, neigt' sich vor ihrer Gegnerinn und bot der ersten güldenen Nymph die Stirn ohn allen Zwischenraum, daß beyde schlachtfertig gegeneinander stunden; nur daß sie sich nicht anders als schiefüber schlagen. Beyder Schaaren, so güldene als silberne, ziehen in intercalarischer Ordnung ihnen nach und fangen da eine Art[297] von Scharmützel an, bis endlich jene güldne Nymph, die sich zuerst ins Feld gemacht, eine silberne ihr zur Linken in die Hand klopft', sie somit vom Feld führt und ihre Stell einnahm. Bald aber, auf ein neues Tempo der Spielleut, ward sie wiederum vom silbernen Schützen angeklopft. Eine güldene Nymph trieb ihn davon. Der silberne Ritter rückt' ins Feld. Die güldne Königin postirt' sich vor ihren König.

Jetzt verändert der silberne König seinen Stand, denn es graut ihm vor Wuth der güldnen Königinn, und ruckt in die Stell seines rechten Wächters, das ein sehr gut und wohl verwahrter Posten schien.

Die beyden Ritter, so güldene als silberne, turniren immer links und nehmen die feindlichen Nymphen haufenweis, die sich nicht mehr zurückziehn konnten; zumal der güldne Ritter, der seyn ganze Sach auf Nymphen-Raub gestellt hat. Doch der Silberne sinnt auf ein Größers: er verbirgt was er im Schild führt; ob er schon manch Nymphlein oft hätt fangen mögen, hat er sie dennoch laufen lassen, stets vorgeruckt bis er zuletzt sich dicht vorm Feind auf einen Ort gepflanzt, wo er den feindlichen König gegrüßt und ihm: Gott helf euch! zugerufen hat. Auf diese Warnung ihrem König beyzustehn, erbebt' die ganze güldne Schaar, nicht weil sie nicht mit leichter Müh ihm schnellen Beystand leisten konnte, sondern weil sie den König rettend, unfehlbar ihren rechten Wächter verlieren mußt. So retirirt' der güldne König dann zur Linken, und der silberne Ritter nahm den güldnen Wächter, das ihnen ein grosser Schaden war. Allein das ganze güldne Heer, hiefür zur Rach entbrannt, umzingelt, ihn von allen Enden, daß er ihnen nicht entfliehn noch ihren Händen entrinnen konnt. Tausend Anläuf nimmt er zur Flucht, tausend Listen ihm beyzustehn versuchen seine Leut; doch endlich nimmt ihn die güldene Königinn.

Die güldne Schaar, itzt einer ihrer Stützen beraubt, ermuthigt sich, sucht nur Revanch' der Kreuz, der Quer, sehr unvorsichtig, und thut viel Schaden im Heer der Feind. Die Silberne verstellt sich, paßt die Stund der Rach ab, und beut der güldnen Königinn eine von ihren Nymphen an, wohinter ihr ein heimlicher Fallstrick gelegt war, daß nur wenig fehlt' so hätt der güldne Schütz die silberne Königinn[298] über dem Fangen der Nymph erwischt. Der güldne Ritter sinnt auf Fang des silbernen Königs und Königinn, spricht: Guten Tag! Der silberne Schütz grüßt sie; ihn nahm eine güldene Nymph, die wieder eine silberne. Die Schlacht ward heiß; die Wächter eilen von ihren Posten zur Hülf herbey. Alles in wildem Strauß: Enyo noch unentschieden. Jezuweilen dringen alle Silbernen bis an das Zelt des güldenen Königs; werden sofort zurückgeschlagen. Unter andern thut die güldene Königinn grosse Heldenwerk und nimmt auf Einen Zug den Schützen, und seitlings noch den silbernen Wächter. Dieß sieht die silberne Königinn, rückt aus, stürmt gleichen Muts daher, und nimmt den letzten güldnen Wächter nebst einer Nymph. Die Königinnen bedräun sich lange, wollen theils sich gegenseitig fangen, theils sich retten und ihre Könige vertheidigen.

Zuletzt erwischt die güldne Königinn die silberne; aber gleich darauf ward sie vom silbernen Schützen gefangen. Da blieben dann dem güldnen König nur noch drey Nymphen, ein Schütz und ein Wächter; dem silbernen drey Nymphen und der rechte Ritter, welches sie von nun an etwas mässiger und langsamer zu fechten machte. Die beyden Könige schienen traurig um den Verlust ihrer heißgeliebten Königinnen, und all ihr Thun und Trachten geht nunmehr dahin, aus ihrer ganzen Nymphen-Zahl wo möglich andre zu gewinnen zu dieser Würd und zweyten Eh; sie staatlich zu armiren, nebst gewisser Zusag sie dafür unfehlbar an und aufzunehmen, wenn sie bis zu der letzten Reih des gegnerischen Königs vorpassiren würden. Dieß gelingt den Güldenen zuerst, und wird aus ihnen eine neue Fürstinn erkohren, ihr ein Krönlein aufs Haupt gesetzt, und neue Kleider angethan.

Die Silbernen sind auch nicht faul, und war nur noch um Eine Reih, so ward von ihnen auch Eine Königinn. Allein an dieser Stell paßt' ihr der güldne Wächter auf, und zwang sie Halt zu machen.

Die güldne Königinn wollt sich zu ihrem Regierungsantritt stark, kriegerisch und tapfer zeigen: thät grosse Ding im Feld. Innzwischen nahm aber der silberne Ritter den güldenen Wächter, der der Wahlstatt Schranken besetzt hielt,[299] weg. Dadurch bekamen die Silbernen eine Königinn, die sich zu ihrem neuen Antritt ebenfalls muthig erzeigen wollte. Ward also hitziger denn je das Treffen wieder hergestellt. Tausend Finten, tausend Anläuf, tausend Eilmärsch gab es da auf einer wie der andern Seit: bis die silberne Königinn zuletzt verstohlen in das Zelt des güldnen Königs trat und sprach: Gott helf' euch! und ihn niemand mehr erretten mocht als seine neue Königinn. Die säumt' auch nicht zu seinem Schutz sich aufzuwerfen. Hierauf sprang der silberne Ritter so lang nach allen Seiten um, bis er bey seiner Königinn war, und trieben den güldenen König so zu Paaren, daß er für sein Heil seine Königinn verlieren mußte. Der güldne König aber nahm den silbernen Ritter. Demohnerachtet beschirmt' der güldne Schütz nebst zween Nymphen die noch übrig waren, aus aller Macht ihren König; wurden jedoch zuletzt besiegt und gänzlich aus dem Feld geschlagen, und blieb der güldne König allein. Itzt bot ihm das ganze silberne Heer mit tiefer Verneigung guten Tag! zum Zeichen daß der silberne König das Feld behielt. Auf welches Wort die beyden Banden Spielleut gleichsam aus Einem Mund Victoria zu blasen begannen. Und schloß hiemit dieß erste Turnier in so vollkommner Fröhligkeit, mit so anmuthigen Gebährden, so edelm Anstand, seltnen Grazien, daß uns wie schier verzückten Leuten, in unsern Herzen ganz lächelnd zu Muth ward, und wir uns nicht ohn guten Grund in den vollkommenen Freuden-Saal und höchste Sphären-Seeligkeit des Olympischen Himmels erhoben wähnten.

Nach Endigung des ersten Turniers gingen die beyden Heere wieder auf ihre alten Plätz zurück und, wie sie erst gestritten hatten, so trieben sie's nun zum zweyten Mal; nur daß das Tempo der Musik um einen halben Tackt rascher ging als das erste Mal: auch waren die Züg vom ersten ganz und gar verschieden. Da sah ich wie die güldne Königinn über die Niederlag ihrer Truppen gleichsam ergrimmt, durch die Musik befeuert ward, und sich vorauf mit einem Schützen und einem Ritter ins Feld begab; und wenig sehlt' so hätt sie den silbernen König mitten in seinem Zelt unter seinen Offizieren überrumpelt. Dann, als sie ihren Anschlag entdeckt sah, scharmützelt' sie im Volk umher, und warf so viele silberne Nymphen und andere Offiziere[300] um, daß es ein rechter Jammer war. Ihr hättet gedacht daß eine zweyte Amazon Penthesilea im Lager der Griechen umher rasaunt'. Doch dieß Gemetzel nahm bald ein End, denn die Silbernen, ungebährdig ob des Verlustes ihrer Leut, doch gleichwohl ihren Gram verbergend, stellten ihr heimlich in einen fernen Winkel einen Hinterhalt, einen Schützen und irrenden Ritter: die fingen sie, und nöthigten sie aus dem Feld. Das andre Volk war bald geschlagen. Ein ander Mal wird sie wohl klüger seyn, bey ihrem König bleiben, sich nicht mehr so weit verlaufen und, wenns ja seyn muß, mit besserer Bedeckung ausziehn. Blieben also die Silbernen hier Sieger, wie vor.

Zum dritten und letzten Ball stellten sich die beyden Schaaren wie vorhin auf, und ihre Mienen schienen mir noch entschlossener und fröhliger als die ersten Mal. Auch ward das Tempo der Musik um mehr als einen Hemiolum beschleunigt, in der phrygischen und kriegerischen Ton-Art, wie vor Zeiten Marsyas erfand. Da fingen sie dann nochmals zu turniren an und mit solcher Flinkheit ein wunderbares Treffen zu liefern, daß sie in Einem Tackt der Musik vier Gäng mit den zu jeder Tour behörigen Reverenzen machten, wie vorgemeldet: dergestalt, daß man nichts sah als Sprüng, Gambaden, und petauristische Hopser, bunt durcheinander verschränkt; und wenn wir sie, nach abgelegter Reverenz, auf einem Bein so umdrehn sahen, verglichen wir sie einem Kreisel den kleine Kinder zum Zeitvertreib mit Peitschen treiben, wenn sein Umlauf so hurtig wird, daß sein Bewegen Ruh ist, er ganz regungslos stockstill zu stehn scheint, ja fast zu schlummern, wie sie's heissen: und ein Punkt, den man mit Farb drauf macht, in unsern Augen nicht mehr Punkt scheint, sondern eine stetige Lini, wie Cusanus, auf Anlaß sehr erhabener Materien, weislich angemerket.

Da hörten wir nichts als Händgeklatsch, Signäl und Episemasien, die sich in allen Defileen auf beyden Seiten wiederhohlten. Nimmer kann Cato so sauertöpfisch, noch der Altvater Crassus je so agelastischer Natur, noch Timon[301] der Athener so ein Menschenfeind, noch Heraklitus dem Menschen-Fürrecht, das Lachen ist, so widerwärtig gewesen seyn, daß sie nicht ausser sich kommen wären, wenn sie nach dieser so raschen Musik die jungen Buben nebst dem Nymphen und Königinnen in hunderttausend verschiedenen Touren so flink sich hätten tummeln, laufen, springen, hopsen, voltigiren, turniren und galoppiren sehn; und zwar mit solcher Geschicklichkeit, daß keiner den Andern je behindert'. Je kleiner das Häuflein derer ward die auf dem Wahlplatz übrig blieben, je höher stieg die Lust den Schlingen und Fallen zuzusehn, die sie sich stellten, nachdem es ihnen die Musik zuvor betont. Denn was noch mehr: wenn uns dieß übermenschliche Spektakel schon die Sinnen in Verwirrung bracht, die Geister lähmt', und uns schier aus uns selbst entrückt'; so spürten wir doch unsre Herzen mehr noch durch die Musik erschüttert und aufgeschreckt; und glaubten unschwer, daß durch dergleichen Melodeyn Ismenias den Grossen Alexander als er ruhig bey Tisch saß, bewogen hab emporzuspringen und Waffen zu fordern. Im dritten Turnier blieb der güldne König Sieger.

Unter diesen Tänzen war uns die hohe Dam unmerklich verschwunden, und wir sahen sie nicht mehr. Doch wurden wir von Gebers Michlern abgeführt, und unser Amt, wie Sie befohlen, zu Buch gebracht. Begaben uns dann wieder in den Hafen Matäotechnien, auf unsre Schiff, weil wir erfuhren, daß wir itzt steifen Back-Wind hätten, und wenn man den auf der Stell nicht nutzt, könnt man ihn mit genauer Noth in drey Springzeiten wieder haben.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 296-302.
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