Sechzehntes Kapitel.

[267] Wie Pantagruel auf das Eiland der Apedeften mit langen Fingern und Krallen an den Händen, kam und von den schrecklichen Ebentheuern und Ungeheuern, die er da sah.


Sobald die Anker geworfen und das Schiff geborgen war, setzten wir das Boot aus. Der gute Pantagruel,[267] nachdem er sein Gebet verricht, und Gott dem Herrn, der ihn aus dieser grossen, schweren Gefahr erlöst und gnädig behüthet, Dank gesagt, bestieg sammt all seinen Leuten das Boot, an Land zu gehn; was ihm sehr leicht fiel; denn da sich nun der Wind gelegt und stille See war, kamen sie in kurzem bey den Felsen an. Wie sie ans Ufer traten, sah Epistemon, der des Ortes Gelegenheit und fremde Form der Felsen anstaunt', etliche der Bewohner dieses Landes kommen, und der Erste auf den er stieß, trug ein Zwergmäntlein von Königsfarb, nebst einem Wams von Halb-Ostad mit Unterärmeln von Atlaß, oben gemsledern: auf dem Kopfe saß ihm eine rothe Hahnbartsmütz, ein Mann von ziemlich feiner Statur, und war mit Namen Stehmichgut geheissen, wie wir nachher erfuhren. Epistemon frug ihn wie man diese sonderbaren Felsen und Thäler nennt', und Stehmichgut erwidert' ihm, es wär ursprünglich eine Coloni des Landes Nota rien; die Kataster hieß mans, und wenn wir einen kleinen Furth durchwaten wollten, würden wir jenseit der Felsen alsobald das Eiland der Apedeften finden.[268]

Extravaganten noch einmal! rief Bruder Jahn, und wovon lebt denn ihr braven Leute hie? Könnt ihr uns aus euerm Glas eins schenken? Ich seh eben sonst kein Hausrath bey euch als Dintefässer, Pergamen und Federkiel? – Just eben davon, und von nichts anderm leben wir, sprach Stehmichgut; denn alle Leut die auf dem Eiland Verrichtungen haben, müssen durch unsere Hände gehn. – Was! frug Panurg, seyd ihr denn Baader, daß ihr sie schröpfen müßt? – Ey wohl, sprach Stehmichgut, denn auf das Schröpfen ihrer Beutel verstehn wir uns. – Nun wahrlich? sprach Panurg, aus mir ist weder Batzen noch Büsel mehr zu pumpen. Aber habt die Gnad, mein feiner Herr, und führt uns doch zu diesen Apedeften über! denn wir kommen eben aus Doctor-Land, wo ich sehr wenig profitirt hab. – Und während sie noch so sprachen, waren sie auch schon drüben auf dem Eiland der Apedeften angelangt, denn das Wasser war bald durchschritten. In höchliches Erstaunen setzt' Pantagruelen die Bauart der Quartir und Wohnungen dieser Leut. Denn sie wohnen in einer großen Kelter, zu der man schier auf fünfzig Stiegen steigt; und eh ihr in die Hauptkelter tretet, (denn es hat drinnen grosse, kleine heimliche, mittelmässige, kurz Keltern aller Art und Namen) kommt ihr durch eine grosse lange Säulenhall, da seht ihr fast die Ruinen der ganzen Welt in Landschaftsart gemalt, so viele Galgen und Räder für grosse Dieb, und Foltern, daß uns angst und bang ward. Als Stehmichgut Pantagruelen dabey verweilen sah, sprach er: nur vorwärts, Herr! dieß ist noch gar nix.

Wie! noch gar nix? rief Bruder Jahn. Bey der Seel meines feurigen Hosenlatzes! Panurg und ich, wir zittern hie vor hellem Hunger, und Trinken wär mir auch lieber als diese Ruinen zu sehn. – So kommt, sprach Stehmichgut, und führt' uns in eine kleine Kelter die ganz versteckt zu hinterst lag, und Pithien hieß in der Insel-Sprach.

Da fragt nicht erst ob Meister Jahn und Panurg sichs wohl seyn liessen. Da standen Mailänder Würstlein, Truthähn,[269] Kapauner, Trappen, Malvasier, und alle Arten guter Küch aufs best bereitet aufgetischt. Ein kleiner Kellner sah wie Jahn einer Boutelge, die abgesondert vom übrigen Boutelgen-Troß dort neben einem Schenktisch stund, verliebte Augen zuwarf, und sprach zum Pantagruel: Edler Herr, ich seh daß einer eurer Leut mit der Boutelge dort charmirt; ich bitt euch unterthänig, laßt da Keinen drüber! denn die ist für unsre Wein-Herrn. – Wie! Auch Wein-Herrn giebts hiehinnen? sprach Panurg; hie hält man Weinles, merk ich wohl. – Hierauf ließ uns Stehmichgut eine geheime Stieg hinan in ein Zimmer steigen, von wo er uns die Wein-Herrn wies, die in der grossen Kelter waren, die, wie er sagt', ohn Urlaub niemand betreten dürft; aber wir könnten sie schon genugsam durch diese kleine Fenster-Luk sehn, ohn daß sie uns säh'n.

Wie wir hintraten, sahen wir an einer grossen Preß an zwanzig bis fünfundzwanzig feiste Schlingel um einen langen Galgen-Tisch ganz grün beschlagen; die gafften sich einander an, und hatten Händ lang wie Krannichbein' und Nägel, zwey Schuh lang dran zu mindest. Denn es ist ihnen streng verwehrt sie zu beschneiden, dergestalt daß sie ihnen so krallig-krumm wie Zinkenspieß' oder Schalter wachsen. Und eben trug man eine große Traub herein, von dem Gewächs des Extraordinarii, wie man in jenem Land sie herbstet, und mehrentheils an Pfählen hängt. Sowie die Traube kam' ward sie zur Preß genommen und quetschten ihr da Mann für Mann und Kern für Kern, das güldne Oel so rein aus, bis die arme Traub so dürr ausgemergelt weg kam, daß auch in ihrem ganzen Leib nicht ein Tröpflein Saft noch Most mehr war. Zwar hätten sie, sprach Stehmichgut, nicht allezeit von diesen grossen, aber doch immer andre Sorten in der Preß.

So haben sie wohl viele Stöck, Gevatter? frug Panurg. – Ey wohl, sprach Stehmichgut. Seht ihr die kleine, die man eben itzt wieder auf die Kelter legt? Dieß ist die Traub vom Zehnten-Stock; die hatten sie verwichen schon bis auf[270] den Secker ausgedruckt, aber der Most schmeckt' etwas nach dem Pfaffen-Ränzel und schien den Herrn nicht sehr zu munden. – Warum also, frug Pantagruel, legen sie's dann wieder auf? – Ey nun, antwortet' Stehmichgut, sie wolln halt sehn ob nicht noch aus den Trestern etwas weniges herauszukontrolliren ist. – Potz Sackerdamm! rief Bruder Jahn, und die Leut nennt ihr Ignoranten? Den Teufel auch! Die zögen euch Oel aus den Wänden. – Ey das thun sie auch, sprach Stehmichgut, denn öfters thun sie Schlösser, Forsten, Wildgeheg' in ihre Preß, und ziehn aus allem trinkbares Gold. – Tragbares wollt ihr sagen? sprach Epistemon. – Nicht doch trinkbares, antwort Stehmichgut, trinkbares sag ich, denn man trinkt hie so manche Flasche davon, die einer sonst wohl nicht leicht verdauen möcht. Und Rebstöck hats hie so viel, daß man die Zahl nicht einmal weiß. Kommt her, und schaut mal dort in den Hof! Da stehn euch mehr denn tausend, die nur auf die Stund des Kelterns harren. Da ist der General-Stock, dort der Partikular-, der Festungs-Stock, der Stock der Anleih'n, der freyen Gaben, der Accidenzien, der Domainen, der kleinen Vergnügungen, der Posten, der Spenden, des Hofhalts. – Was ist aber das für ein dicker dort, um den die kleinen alle so herumstehn? – Denn nennt man den Ersparniß-Stock, sprach Stehmichgut, das ist der beste im ganzen Land; wenn der gepreßt wird, dann spürens diese Herren sämmtlich sechs Monat drauf in allen Adern.

Als sich die Herren itzt wegbegeben, bat Pantagruel Stehmichguten uns in die grosse Kelter zu führen, was er auch gerne thät. Wir waren kaum eingetreten als Epistemon, der sich auf alle Sprachen verstund, Pantagruelen die Ueberschriften der Kelter, die sehr groß und schön und,[271] wie uns Stehmichgut erzählt, aus lauter Kreuzholz gezimmert war, zu zeigen anfing; denn über jedem Zubehör und Theil derselben stund der Name in ihrer Landessprach geschrieben. Die Kelter-Schraub hieß Einnahm; der Kasten, Ausgab; die Schraubenmutter; Etat; der Drengel, Contirt und nicht erhalten; die Docken, Stundung; die Torkel, RADIETUR; die Dauben, RECUPERETUR; die Bracken, Ueberschuß; die Henkel, Tariffen; das Trotten-Biet, Summa Summarum; die Hotten, Saldo; die Butten, Bons auf Sicht; die Gelten, der Tresor; der Trichter, Quittung.

Nun bey der worstlichen Königin! rief hier Panurg aus; alle Aegyptische Hieroglyphen sind gegen dieß Rothwelsch Kinderspiel. Die Namen reimen sich, hohls der Geyer! zur Sach wie Ziegen-Lorbern! Aber Freund! Gevatter! warum nennt ihr nur die Leute hie Ignoranten? – Weil sie, sprach Stehmichgut, keine Studirten sind, noch auch jemals studiren dürfen, und alles hie per Ignoranz, auf ihre Ordonnanz geschieht: auch weiter kein Raison gilt als: die Herren habens gesagt, die Herren befehlens so, die Herren wollen's. – Ey du mein Gott! sprach Pantagruel, wenn sie mit Pressen so viel gewinnen, muß ihnen der Schoß gesegnet sein. – Könnt ihr dran zweifeln? sprach Stehmichgut: Schoß hats bei ihnen Jahr aus Jahr ein, und ist nicht wie in euerm Land, wo euch armen geschworenen Schützen der Schoß im Jahr nur einmal blüht.

Dann führt er uns hinaus und weiter durch aberhundert kleine Keltern; und vor der Thür erblickten wir einen andern kleinen Henkerstisch, da sassen wieder vier bis fünf von diesen Ignoranten dran, so schmuzig und erbost wie Esel, wann sie mit Schwärmern im Hintern laufen. Die zwackten auf einer kleinen Preß die sie da vor sich hatten, nochmals[272] die Trauben-Kämm den Andern nach, und hiessen Controllisten in der Landessprach, die widrigsten Holunken von Ansehn, die ich Zeit meines Lebens erblickt hab.

Aus jener grossen Kelter stiegen wir durch unzählige Kelterlein voll lauter Preßknecht, die die Kern mit einer Art von Handwerkszeug, (sie heissens Rechnungs-Artikel,) zermatschten; und kamen endlich gar in einen langen Saal zu ebner Erd, wo wir einen grossen Köder sahen mit zween Hundsköpfen, einem Wolfsbauch, und Krallen wie eines Lamballer Teufels, der dort mit Milch aus vielen Busen getränkt ward; denn auf Ordonnanz der Herren hielt man ihn so gut, weil auch nicht Einer darunter war, dem er nicht jährlich soviel eintrug als ein stattlicher Meyerhof. Und in der Ignoranten-Sprach hieß man ihn Duplum. Auch seine Mutter lag neben ihm, an Farb und Fell fast ganz wie Er gestaltet, nur daß sie vier Köpf, zween männlich und zween weiblich hätt; die hieß Quadruplum, und war das allergrimmigste, furchtbarste Thier allda nächst ihrer Großmutter namens Unterschleif, die wir in einem Käfig sahen.

Bruder Jahn, der immer zwanzig Elen leere Därm hätt, ein Ragout von Advokaten zu speissen, ward endlich ärgerlich und bat Pantagruelen aufs Essen zu denken, und Stehmichguten mitzuführen. Wie wir nun durch die Hinterthür abtraten, sah'n wir einen alten Kerl an Ketten liegen, der halb gelehrt, halb ignorant war, ein rechter Höllen Zwitter; stak in einer Brillen-Haub wie die Schildkröt in der Schaal, und lebt' von nichts als einem Futter, das sie in ihrer Zigeunersprach Appellationen zu nennen pflegen. Pantagruel frug Stehmichguten, als er ihn sah, von welcher Raß wohl dieser Protonotarius wär, und wie er hieß. Da sagt' uns der, wie er schon immer seit ewigen Zeiten, zu grossem Aerger und Verdruß der Herren, dadrinn in Ketten läg, die ihn schier Hungers sterben liessen, und hieß Revisit. – Nun, sprach Jahn, bey unsers Papsts geweihten[273] Klösen! ein feiner Fink! mich wundert nicht, wenn diese Ignoranz-Herrn all hie so grosse Stück auf den Papler halten. Bey Gott! Panurg, mein Freund! ich glaub er hat, genau besehn, die Mien Krellhinzens. Die Kerl hie, so dumm sie sind, verstehn sich so gut drauf wie die Andern. Mit dem Kantschuh möcht ich ihm wieder heimwärts leuchten, von wannen er gekommen ist! – Bey meiner Türkischen Monds-Brill! sprach Panurg, da hast du Recht, Freund Jahn. Denn nach seiner Schnauz zu schliessen, ist dieser falsche Schelm Revisit noch dümmer und tückischer als selbst die armen Ignoranten hie, die auf das sänftlichst ihr Theil erkrapschen, nicht erst lang drum prozessieren und mit drey kurzen Wörtlein den Weinberg rein herbsten ohn viel Akten-Plack und Schabernack; das nehmen aber die Katzenbälger gewaltig übel.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 267-274.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Der Teufel kommt auf die Erde weil die Hölle geputzt wird, er kauft junge Frauen, stiftet junge Männer zum Mord an und fällt auf eine mit Kondomen als Köder gefüllte Falle rein. Grabbes von ihm selbst als Gegenstück zu seinem nihilistischen Herzog von Gothland empfundenes Lustspiel widersetzt sich jeder konventionellen Schemeneinteilung. Es ist rüpelhafte Groteske, drastische Satire und komischer Scherz gleichermaßen.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon