Zwey und Zwanzigstes Kapitel.

[289] Wie das Quintaner Hofgesind verschiedliche Handirungen trieb, und wie uns Ihre Majestät zu Abstractoren creiren thät.


Nächstdem sah ich ein ganzes Rudel solcher Hofleut in wenig Stunden die Mohren bleichen; kraueten ihnen blos die Bäuch mit einem alten Spraukorb-Boden.

Andre pflügten mit drey Joch Füchsen den Ufer-Sand, und verloren ihr Saatkorn nicht.

Andre wuschen die Ziegel auf den Dächern, und trieben die Farb heraus.

Andre zogen Wasser aus Pumex oder Bimsstein, wie ihrs nennt, indem sie ihn eine gute Weil in einem marmornen Mörsel stiessen und sein Substanz veränderten.

Andre schoren die Esel, und erzielten gute Woll damit.

Andre lasen Trauben von Dornen und Feigen von Disteln.

Andre molken die Ziegenböck, und fingens in ein Haarsieb auf, zu gutem Ersprieß der Hauswirtschaft.

Andre wuschen Eselsköpf, und hatten die Seif umsonst dabey.

Andre pürschten den Wind mit Netzen, und fingen decumanische Krebs.

Einen jungen Spodizator sah ich, der einem todten Esel künstliche Fürz entlockt' und die Ell davon zu fünf Sol verkauft'.

Ein Andrer putrifizirt' Sechaboths. O edle Speiß!

Panurg mußt aber hundsmässig kotzen, als er einen Archasdarpenin sah, der einen grossen Trog Menschen-Harns[289] mit ganzen Fudern Pferdemist und Christen-Koth abfaulen ließ. Pfui dich des Unflaths! Aber er versichert' uns daß er gleichwohl mit diesem würdigen Decot viele grosse Fürsten und Könige tränkt', und ihnen damit ihr zeitlichs Leben um ein bis zwey gute Klaftern verlängert'.

Andre brachen die Würst übers Knie.

Andre schunden die Ael beym Schwanz, und schrie'n besagte Ael nicht eh sie geschunden waren, wie die von Melun.

Andre machten grosse Ding aus Nichts, und wieder die größten Ding zu Nichts.

Noch Andre schnitten das Feuer mit Messern, und schöpften Wasser in einem Netz.

Andre machten Schlossen aus Erbsen, und aus dem Himmel Dudelsäck.

Ein Dutzend Andrer sahen wir unter einem Laubwerk schmausen, und aus schönen geräumigen Bumpern vielerley Sorten köstlich kühlen, steinalten deliziosen Firnweins Runda saufen was das Zeug hielt; und hörten daß sie nach Landesbrauch das Wetter hüben, just in der Art wies Herkules einst mit Atlas hub.

Andre machten Tugend aus Noth, das schien mir ein recht feines Stuck Arbeit, und sehr an der Zeit.

Andre machten Gold mit den Zähnen; die brauchten nicht viel zu Stuhl zu gehn.

Andre maasen auf langen Tennen bis auf ein Haar die Flöhsprüng aus, und betheuerten mir daß dieß Geschäft zum Regiment der Königreich, Kriegführung und Verwaltung freyer Staaten mehr als nöthig sey: anführend wie schon Sokrates, der doch die Weisheit erst vom Himmel zur Erd herabgezogen und, aus einer müssigen Schwindlerinn brauchbar und tauglich fürs Haus gemacht, sein halbes Studium lediglich auf Sprung-Messung der Flöh verwandt hab, wie Aristophanes bezeugt', der Quintessential.

Ich sah auf einem hohen Thurn daneben zwey Gibroiner Schildwach stehn; und sagt' man uns daß sie dem Mond die Wölf abwehrten.

Ihrer Vier traf ich in einer Garten-Eck im hitzigsten Disput begriffen, und standen eben auf dem Sprung einander[290] in die Haar zu fallen. Auf meine Frag woher ihr Zwist? erfuhr ich daß nunmehr vier Tag verstrichen wären seit sie sich über drey unergründliche tiefe und hyperphysische Materien zu streiten angefangen hätten, von deren Resolution sie güldner Berg gewärtig wären, und zwar: die erst, vom Esels-Schatten; die andre, vom Laternen-Rauch; die dritt, vom Geiß-Haar, ob es nämlich auch Wolle wär? Dann ward uns noch gesagt daß ihnen auch etwas ganz Begreiflichs wär, zwey Widersprüch in modo, Form, Figur und Zeit für wahr zu halten: ein Punkt, um den doch die Pariser Sophisten eher die Tauf abschwüren, als daß sie ihn sollten zugestehn.

Während wir nun noch aufmerksam den Wunderwerken dieser Leut zusahen, trat die Dam' herein, samt ihrer edeln Clerisey, als schon der helle Hesperus am Himmel funkelt'. Abermals verwirrt' ihr Anblick uns die Sinnen und blendet' unsre Augen: aber sie, unserer Bestürzung kaum gewahrend, sprach zu uns: Was der Menschen Geister in des Erstaunens Labyrinth' und Tiefen sich zu verlieren treibt, ist nicht die Allmacht der Wirkungen, die sie, durch weiser Meister Kunst, handgreiflich aus natürlichen Gründen vor sich entspringen sehen, sondern ist die Neuheit der Erfahrung, wenn sie in ihre Sinnen dringt und sie des Werkes Leichtigkeit noch nicht mit heiterm Urtheil, unterstützt von treuer Nachforschung vorausgesehen haben. Samelt also nun euer Hirn, entschlaget euch all eures Staunens, wenn euch anders was ihr von meinen Hausbeamten verrichten sehn, damit erfüllt hat. Schaut, lernt, und merkt nach freyer Willkühr auf alles was mein Haus enthält. Emanzipiert euch nach und nach so aus dem Dienst der Ignoranz. Gar sehr ist dieß mein Wunsch; und euch davon ein unverstelltes Zeugnis zu geben, auch in Betracht der heissen Lehrbegierden die ihr, in euern Herzen, wie mir scheint zur Genüg erhellend, schoberweis, ja thurnhoch aufgespeichert habt, creir ich euch hiemit von Stund an zu meinen Abstractoribus. Geber, mein Ober-Tabachin, wird euch bey euerm Abschied in das Buch eintragen. – Unterthänigst, doch ohn ein lautes Wörtlein dankten wir für dieß schöne Amt das sie uns übertrug, und acceptirtens.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 289-291.
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