Acht und Vierzigstes Kapitel.

[160] Wie Pantagruel aufs Papimanen-Eiland kam.


Nach Abschied von dem traurigen Papfeiger-Eiland, fuhren wir einen Tag lang bey hellem Wetter und guter Ding; als unsern Augen das hochgelobte Papimanen-Eiland erschien. Kaum hatten wir im Hafen Anker zugehn lassen, die Kabel noch nicht angelegt, da kamen vier Leut in einer Schlup auf uns zugerudert, alle vier verschieden gekleidet: der Ein' als Mönch, kapuzt, beschmuzt, gestiefelt: der Zweyt' als Falkonier, mit einem Luder und Baizhandschuh: der Dritt', als Anwalt, in der Hand einen grossen Sack voll Instructionen, Citationen, Schickanismen und Vorladungen. Der Viert' als Winzer von Orleans, in schönen leinenen Gamaschen, mit einem Päner und einer Hipp am Gurt. Sobald sie angekommen bei unsern Schiffen, fingen sie mit[160] lauter Stimm einmüthig an zu rufen: Habt ihr Ihn gesehen, ihr Fremden? Habt ihr ihn gesehn? – Wen? frug Pantagruel. – Ihn, Ihn, versetzten sie. – Wer ist der Ihn? frug Bruder Jahn, Potz Sackerdam! ich dresch ihn windelweich! (in Meinung, sie suchten einen Mörder, Dieb, oder Kirchenräuber.)

Wie! sprachen sie, so kennt ihr fremden Passagier nicht den Einigen? – Ihr Herren, antwortet' Epistemon, diese Sprach verstehn wir nicht: wenns euch beliebt, sagt wen ihr meint, so wolln wir euch ehrlich die Wahrheit sagen. – Er der da ist, ists; sprachen sie: habt ihr Ihn je gesehen? – Der da ist, antwort Pantagruel, ist Gott, nach unsrer Theologi; und unter diesem Namen hat er sich Mosen offenbart. Fürwahr, den haben wir mit nichten gesehn, denn ihn erblickt kein sterblich Auge. – Wir reden nicht von dem grossen Gott im Himmel, sprachen sie, wir reden vom Gott auf Erden! Saht ihr den? saht ihr ihn jemals? – Meiner Treu! sprach Karpalim, sie meinen den Papst.

Ja, ja, antwort Panurg, o ja, ihr Herrn! ich hab ihrer drey gesehn, doch hat michs eben nicht fett gemacht. – Wie! riefen sie, was ist das? singen nicht unsre heiligen Decretales daß ihrer nie mehr denn Einer leb? – Ich mein, antwort Panurg, versteht mich, drey hintereinander: sonst hab ich nie mehr als Einen auf einmal gesehn.

O ihr drey, viermal seeligen Leut! schrie'n sie, so seyd uns doch hoch und höchst und abertausend höchst willkommen! – damit warfen sie sich zur Erd und wollten uns die Füsse küssen, aber wir wolltens nicht zugestehn, anführend daß sie ja dem Papst, wenn er etwa einmal durch Schickung in eigner Person zu ihnen käm, nicht größre Ehr erzeigen könnten. – Doch, o doch! versetzten sie, das könnten wir, das könnten wir; und ist schon unter uns ausgemacht. Wir küßten ihm den blanken Hintern ohn Blatt, zusamt den Geilen; denn er hat wohl Geilen, der heilige Vater! So lesen wir in unsern schönen Decretalen: sonst wär er[161] nicht Papst; und unumstößlich ist nach subtiler Decretalin-Philosophi der Syllogismus: Er ist Papst, hat also Geilen, und wenns keine Geilen auf Erden mehr gäb, so gäbs auch keinen Papst mehr auf Erden.

Indessen frug Pantagruel einen Bootsknecht von ihrer Schlup, wer die Leut wären: er antwort ihm, es wären die vier Ständ des Eilands, und meint' dabey, man würd uns hie sehr wohl aufnehmen und gut tractiren, weil wir den Papst gesehen hätten. Was Der Panurgen zu Gemüth führt', der heimlich zu ihm sprach: daß Gott! da sehn wirs; wer nur warten kann, dem glückt noch alles. Mit dem Papst-Sehn han wir Zeitlebens kein Seid gesponnen, und hohls der Teufel! itzt kommts erst, merk ich. Drauf gingen wir an Land; da kam uns alles Volk der ganzen Insel, Männer, Weib, Kind und Kegel, als wie in Prozession entgegen. Denen riefen unsre vier Ständ mit lauter Stimm zu: Sie haben Ihn gesehen! Sie haben Ihn gesehen! Sie haben Ihn gesehen! – Sogleich kniet' alles Volk auf diesen Ausruf vor uns nieder, hub die Händ gefaltet gen Himmel, und schrie: O glückliche, seelige Leut! o seelige Leut! und währt dieß Schreyn wohl über eine Viertelstund. Darnach kam auch der Schulpräzeptor mit allen seinen Pädagogen, Schulfüchslein und Scholaren gelaufen, und fochtelt' sie magistraliter, wie man bey uns die kleinen Kinder zu fochteln pflag, wenn ein armer Sünder gehangen ward, daß sie dran dächten. Dieß verdroß Pantagruelen, und sprach zu ihnen: Ihr Herrn, hört auf, die Kinder zu schlagen! sonst kehr ich um. – Das Volk erschrack ob seiner Stentor-Stimm, und hört ich ein kleines bucklichs Männlein mit langen Fingern den Schulmeister fragen: Extravaganten-Element! Werden die Leut die den Papst sehn, so groß wie Der da, der uns dräuet? Ach ich kann es kaum erwarten bis ich ihn auch seh, daß ich nur wachs und so groß wie Er wär! – Ihr Jubel ward so laut, bis Schlottig (so hiessen sie ihren Bischof) herbeykam auf einem ungezäumten, grün behangnen Maulthier in Begleitung[162] seiner Amansen, wie sie's nannten, und seiner Schranzen mit Kreuzen, Fahnen, Siegspanieren, Baldachinen, Weihbrunnkesseln, Kerzen, und wollt uns ebenfalls mit aller Gewalt die Füß abschmatzen, wie Valfinier der gute Christ dem Papst Clemens: weil ihrer Hypopheten Einer, Großstiefelwichser und Glossator ihrer heiligen Decretalen, ihnen, wie er sagt', ausdrücklich in Schriften hinterlassen hätt daß, wie den Jüden der so lang und sehnlich erharrete Messias endlich doch noch erschienen wär, deßgleichen auch noch der Papst einmal ihr Eiland betreten würd. Inzwischen nun, bis dieser Tag des Heils erschien, sollten sie Jeden der ihn zu Rom oder anderwärts gesehen hätt, wenn er zu ihnen käm, aufs best verpflegen und ihm Ehrfurcht bezeigen. Verbatens uns aber dennoch höflich.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 160-163.
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