Acht und Zwanzigstes Kapitel.

[112] Wie Pantagruel eine betrübte Geschicht vom Tod der Heroen erzählet.


Als Epitherses, des Rhetoren Aemilianus Vater, einstmals auf einem Schiff voll allerhand Waaren und Reisender, aus Griechenland nach Italien fuhr, legt' sich des Abends unweit der Echinadischen Inseln, zwischen Morea und Tunis, der Wind, und ward ihr Schiff gen Paxos getrieben. Wie es nun dort still lag, und von den Passagieren Etliche schliefen, Etliche wachten, Andre zechten und Nachtmahl hielten, vernahm man von der Insel Paxos eine Stimm von Jemand, der laut: »Thamus!« rief: worüber All' erschraken. Dieser Thamus war ihr Steuermann, aus Aegypten bürtig, aber den Namen nach unbekannt, ausser Etlichen von der Gesellschaft. Zum zweyten Mal erscholl die Stimm, mit schrecklichem Geschrey nach Thamus. Und als ihr auch jetzt noch niemand eine Antwort gab und alles bang verstummt' und zittert', erscholl die Stimm zum dritten Mal, noch schrecklicher denn zuvor. Nunmehr erhub sich Thamus und sprach: Hie bin ich. Was begehrst du? Was muß ich thun? Darauf vernahm man die Stimm noch lauter, die befahl und trug[112] ihm auf, sobald er gen Palodes käm, dort zu verkünden daß der große Gott Pan todt wär.

Auf diese Wort, sprach Epitherses, hätten sich alle Passagier und Schiffer sehr entsetzt und gefurcht, und mit einander Raths gepflogen was besser wär, ob man die Botschaft bestellen oder verschweigen sollt: da Thamus dann der Meinung gewesen, daß, wenn sie steifen Fahrwind hätten, sie ohne weiteres fürbaß fahren; wenn aber Meeresstille wär, sich ihres Auftrags entledigen wollten. Als sie nun bey Palodes waren, begab sich daß sie weder Wind noch Wasser hatten. Thamus also stieg auf das Vorderdeck, die Augen nach dem Land gerichtet, und sprach, wie ihm geboten war, der große Pan wär todt. Er hätt noch nicht das letzte Wort gesprochen, als man am Land ein grosses Schluchzen, Wehklagen und Bestürzung hörte; nicht wie von einer Person allein, sondern wie Vieler durcheinander.

Die Mähr hievon, (weil ihrer Viele dabey gewesen) ward in Rom bald ruchbar, und ließ Tiberis, damalen Römischer Kaiser, den Thamus rufen; und als er es ihn erzählen hören, maas er ihm Glauben bey, erkundigt' sich bey den Gelehrten seines Hofes, (denn es war deren damals in Rom eine gute Zahl) wer dieser Pan wäre; und erfuhr aus ihrem Bericht daß er ein Sohn Mercurii und der Penelope gewesen, wie weiland schon Herodotus, und Cicero im dritten Buch von der Natur der Götter geschrieben.

Ich aber für mein Theil versteh es lieber von jenem grossen Erlöser der Gläubigen, der in Judäa durch Neid und Bosheit derer Priester, Schriftgelehrten, Mönch und Pfaffen mosaischen Glaubens, schmählig erwürgt ward. Und dünkt mir die Deutung nicht ungereimt. Denn mit gutem Fug mag Er auf griechisch Pan geheissen werden; weil Er doch unser Alles ist. All was wir leben, haben, hoffen, ist Er, ist in Ihm, von Ihm, durch Ihn: und Dieser ist der gute Pan, der große Hirt der, nach dem Zeugniß des brünstigen Schäfers Coridon, nicht seine Schaaf allein nur liebt und werth hält, sondern auch die Schäfer. Bey Seinem Tod war Heulen, Schluchzen, Bestürzung, Jammer und Betrübniß im ganzen Bau des Weltalls, Himmel, Erd, Luft, Meer und Unterwelt. Zu dieser meiner Auslegung paßt auch die[113] Zeit: denn dieser milde, grosse Pan und alleinige Heiland starb eben bey Jerusalem als Kaiser Tiber in Rom regierte.

Pantagruel, als er dieß gesprochen, blieb tief in stumme Betrachtung versunken. Nicht lang darauf sah'n wir die Thränen ihm dick wie Strauseneyer aus den Augen stürzen. Hohl mich Gott, wo ich auch nur ein Wörtlein lüg.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 112-114.
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