Drey und Zwanzigstes Kapitel.

[100] Wie nach überstandenem Sturm Panurg den lustigen Bruder macht'.


Ha ha! rief Panurg, das geht ja gut. Der Sturm ist vorbey. Ich bitt recht schön, o laßt mich doch zuerst hinaus! Ich möcht gern mein Sach ein wenig verrichten. Kann ich euch etwa hie noch wo helfen? Gebt her, laßt mich den Block da stroppen. Muth hab ich satt, gewiß! Furcht wenig. Nur her, mein Freund! nur immer her! auch nicht für einen Stüber Furcht. Zwar, diese Decuman-See vorhin, die über Back und Schanz schlug, hat mir den Puls ein wenig alterirt. Segel gestrichen! wohl bedacht. Wie, Bruder Jahn? und ihr schafft nix? Ist's jetzt zu trinken Zeit? Wer weiß denn ob nicht Sanct Martins Mantelträger uns noch ein neues Wetter braut? Muß ich euch etwann noch dorten helfen? Potz Taus! nu reut michs, doch zu spat, daß ich der alten Weisen Lehr nicht besser gefolgt bin, die da sagen, am Meer spazieren, am Ufer schiffen sey ein gar sicher und lustig Ding; wie das zu Fuß gehn, wenn man sein Roß am Zügel führt. Ha ha! bey Gott, das geht ja gut. Muß ich noch helfen? Nur her, nur her! ich werds schon machen, oder es müßt ja vor'n Teufel seyn.

Epistemon, dem die eine Hand von einem Tau, das er stramm gehalten, inwendig ganz wund und zerschunden war, hätt auf Pantagruels Reden gehört, und sprach: Herr, glaubt mir nur, ich hab nicht minder Angst und Furcht[100] gehabt als Panurg; allein was mehr? ich hab die Kräft zum Dienst gespart. Ich mein, wenn wirklich der Tod (wie auch andem) ein unvermeidlich Schicksal und Nothzwang ist; so stehts doch in Gottes heiligem Willen ob wir zu dieser Stund oder jener, auf die oder die Art sterben sollen. Ihn also muß man unablässig anrufen, bitten, zu ihm flehn und beten; doch auch dabei nicht bewenden lassen und müssig bleiben; vielmehr ist Noth daß wir auch uns an unserm Theil ermuthigen und, wie der Apostel sagt, Mitarbeiter des Herren werden. Ihr wißt wohl, was der Consul E. Flaminius, als er durch List des Hannibal an dem See von Perusia oder dem Thrasimenischen, einst eingeschlossen war, gesagt hat. Kinder, sprach er zu seinen Söldnern, von hinnen zu entrinnen dürft ihr nicht durch Gelübd' und Anrufung der Götter hoffen. Kraft und Tugend allein kann hie uns retten, und mit blanker Wehr geziemet uns quer durch den Feind den Weg zu bahnen. Deßgleichen beym Sallustius: der Götter Hülf, spricht Portius Cato, wird nicht erlangt durch träges Beten und weibisch Wimmern: durch Wachen, Wirken, Wackerseyn geht alles wohl nach Wunsch von Statten. Wenn der Mensch in Fahr und Noth nachlässig, faul und schläfrig ist, ruft er umsonst die Götter an; sie zürnen ihm, sie sind beleidigt.

Ich sey des Teufels, rief Bruder Jahn (Itzt fahr ich mit dir, sprach Panurg) wenn nicht der Weingarten von Seuillé rein ausgewimmt und geplündert wär worden, so ich nichts als Contra hostium insidias (Brevier-Materi!) gesungen hätt, wie unsre andern Satansmönch, und nicht mit meinem guten Kreuzstock das Rebicht wider die Schnapphähn von Lerné vertheidigt hätt.

Fahr zu mein Schifflein! sprach Panurg, das geht ja gut. Nur Bruder Jahn hie thut auch gar nix! Bruder Faulpelz sollt man ihn heißen; er schaut mir zu wie ich keuch und schwitz und diesem braven Matrosen-Mann, dem Ersten seines Namens, hie aus Leibes Kräften gern beystehn möcht. Herr Maat, auf ein Paar Wort: doch nix für ungut; wie dick schätzt ihr wohl die Planken dieses Schiffs? – Sie sind, antwort' ihm der Steuermann, zwey gute Finger dick; sorgt nur nicht. – Hilf Himmel! sprach Panurg, so sind[101] wir denn also stündlich nur zwey Finger vom Tod entfernt? Ist dieß etwann auch eine von den neun Ehstandsfreuden? Ha, Maat! ihr thut ganz wohl. Meßt ihr nur die Gefahr fein nach der Furcht-Ell. Ich, für mein Theil, ich kenn keine Furcht. Ich nenn mich Wilhelm sonder Furcht. Courag', vollauf: nicht Lamms-Courag', nein, Wolfs-Courag'; ein Mörder- Herz! Nur mit Gefahr treib ich kein Scherz.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 100-102.
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