Viertes Kapitel.

[193] Von des Pantagruels Kindheit.


Ich erseh aus den alten Historienschreibern und Poeten daß manche Leut zwar seltsamer Weis zur Welt sind kommen, das zu erzählen weitläufig wär: leset darüber, wenn ihr Zeit habt, das siebente Buch im Plinius nach: aber dergleichen wunderbare Geburth wie des Pantagruel, habt ihr doch nimmer noch erhöret. Denn es war schier unglaublich wie er an Leib und Leibeskräften zunahm in kurzer Zeit, und Herkules der die zween Schlangen in der Wieg erdruckt', war nichts dagegen; denn die Schlangen waren doch nur klein und gebrechlich: Pantagruel aber in seiner Wieg vollbracht die schauderhaftesten Ding. Ich red hie weiter nicht davon, wie er auf einen jeden Imbiß die Milch von viertausend sechshundert Kühen sog, und wie zu Fertigung eines Pfännleins darinn sein Brey gekocht ward, alle Pfannenschmiede von Saulmur in Anjou, von Villedieu in Normandi und von Bramont in Lothringen angestellt wurden; welchen Brey man ihm sodann in einem grossen Stein-Trog fürsetzt', der noch gegenwärtig zu Bourges beym Rathhaus stehet. Es waren ihm aber die Zähn bereits so fest gewachsen, daß er aus nurgedachtem Trog ein grosses Stück herausbiß, wie noch deutlich daran wahrzunehmen.

Eines Morgens als man ihm auch seiner Milchküh eine zum Säugen bracht (denn andre Ammen hätt er niemals, so viel uns die Geschicht lehrt) macht' er sich aus den Wiegenbändern darinn er geschnüret lag, einen Arm frey, packt' euch mein Kühlein unterm Knie, und aß ihm beyde Eiter und den halben Bauch ab samt Leber und Nieren, ja hätt es gänzlich aufgezehrt, wenn es nicht mörderlich geschrien hätt als ob es die Wölf an den Beinen zausten. Auf solchs Geschrey lief alles zu und entzogen die Kuh dem Pantagruel; ging aber doch nicht so säuberlich ab, daß er das Knie nicht in der Hand behalten hätt, wie ers just hielt. Das aß er rein auf, wie ihr eine Wurst ässet: und als man ihm den Knochen wollt nehmen, schlang er ihn alsobald[194] hinunter gleich wie ein Seerab ein kleines Fischlein, erhub darauf die Stimm und sprach: bon bon bon bon! weil er noch nicht viel reden konnt, damit er wollt zu verstehen geben, daß ers trefflich bon befunden hätt und nichts mehr als noch einen solchen Bissen ihm wünscht'. Wie seine Wärter dieses sahen, banden sie ihn an starke Kabel, wie die, so man zu Tain schlägt zum Transport des Salzes gen Lyon, oder auch wie die Tau am grossen Franken-Schiff zu Port de Grace in Normandi. Als aber einmal ein grosser Bär den sein Vater hielt, entsprungen war und auf ihn zu kam, ihm das Gesicht belecken wollt, denn die Zofen hatten ihm just das Schnäuzel nicht allzusauber gewischt, entschlug er sich der Kabel so flink wie Simson unter den Philistern, packt' euch den Monsieur Bären an, und pflückt' ihn wie ein Hühnel in Stücken, worauf er ihn zu seiner Mahlzeit als guten warmen Braten verspeißt'. Da ließ Gargantua, besorgt daß er ihm einen Schaden thun möcht, vier schwere eiserne Ketten schmieden, nebst in die Wiegenränder wohl verfugten Streben, ihn dran zu legen. Und findet ihr von diesen Ketten noch eine zu Rochelle, womit man alle Abend die beyden grossen Hafen-Thürn sperret: die andre ist zu Lyon, die dritt zu Angiers, und die vierte ward von den Teufeln geholt, den Luzifer daran zu legen, der um die Zeit in einer Cholik die ihn aus der Maasen peinigt', weil er eines Schergen Seel im Fricassee zum Imbiß gegessen, entspringen wollt' – demnach ihr dann wohl glauben dürft was Nikolaus de Lyra über eine Stell im Psalter sagt, wo geschrieben stehet: Et Og regem Basan, das selbiger Og als kleiner Bub schon so stark und kräftig gewesen sey, daß man ihn mit eisernen Ketten in seiner Wieg hab anbinden müssen. – Und also blieb er dann still und geduldig, denn die Ketten konnt er nicht so leicht zerreissen, zumal er in der Wiegen nicht satt Schwungraum für die Arm hätt. Nun aber merket was einmal an einem hohen Fest sich zutrug, als eben sein Vater Gargantua[195] allen Prinzen seines Hofs einen schönen Schmaus gab. Ich glaub gern, das sämmtliche Gesind im Haus hätt mit den Gästen so viel zu schaffen, das man sich um den armen Pantagruel nicht groß kümmert', und ihn also in Stichibus ließ. Was thät er? Was er thät, ihr lieben Leut'? Nun höret. Erst versucht er mit den Armen die Ketten der Wieg entzwey zu reissen; aber es ging nicht, denn sie waren zu fest; dann strampft' er mit den Beinen so lang bis er der Wieg den Boden eintrat, der doch aus einem starken, sieben Kubikspann dicken Pfosten gemacht war: und wie er jetzt die Füß heraushätt, ruckt' er sich so weit er konnt herunter, bis er mit den Füssen die Erd erreicht'. Darauf erhub er sich mit Macht, und trug also gebunden die Wieg auf dem Rückgrat davon wie eine Schildkröt die an einer Mauer hinan kreucht; daß man ihn auf den ersten Anblick für ein groß Kraak von fünfhundert Tonnen, so aufrecht stünd, gehalten hätt. Solchergestalt begab er sich in den Saal wo banketiret ward und erschreckt' die da Versammelten fürwahr nicht wenig. Weil ihm aber die Händ inwendig geschlossen waren, konnt er nichts zu essen erreichen, sondern bückt' sich mit schwerer Müh ob er etwann mit der Zung ein Mumpfel erwischen möcht. Welches als sein Vater sahe, ward er wohl innen daß man ihn ohn Nahrung gelassen, und befahl auf den Rath der versammelten Fürsten und Herren daß man die Ketten ihm abnehmen sollte: zumal auch des Gargantuä Leibärzt der Meinung waren daß, wenn man ihn so in der Wieg hielt, er sein Lebtag am Stein und Gries würd zu leiden haben. Als er nun los war, ließ man ihn mit niedersitzen: da hieb er sehr tapfer ein, und schlug gedachte seine Wieg in mehr denn fünfhunderttausend Stücken mit einem einzigen Faustschlag, denn er im Ärger mitten darauf verführt': mit Protest in seinem Leben nie einen Fuß mehr drein zu setzen.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 193-196.
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