Vierter Auftritt


[382] Vorige. Rappelkopf stürzt herein.


SOPHIE fällt ihm um den Hals. O mein Bruder, mein geliebter Bruder! Bleibt an seiner Brust.[382]

RAPPELKOPF für sich. Entsetzlich! Diese Natter liegt an meiner Brust. Sie kennt mich wirklich nicht. Nimm dich zusammen, Rappelkopf! Freundlich. Endlich seh ich dich wieder, liebe Schwester. Beiseite. Ich kann s' nicht anschaun. Wieder freundlich. Wie gehts dir denn, du liebe Schwester du?

SOPHIE. Ach Bruder, mir geht es sehr übel.

RAPPELKOPF beiseite. So? Da gschieht dir recht.

SOPHIE. Was sagst du, lieber Bruder?

RAPPELKOPF. Daß ich dich recht bedaure, und zwar auf eine ganz besondere Art. Denn ich weiß alles, liebe Schwester, dein Mann ist ein schändlicher Mensch.

SOPHIE. Das ist er nicht, lieber Bruder, aber ein unglücklicher Mensch.

RAPPELKOPF beiseite. Viper!

SOPHIE. Wenn du wüßtest, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe, um mein Herz vor dir auszuschütten!

RAPPELKOPF. So schütt es aus, liebe Schwester! Beiseite. Da erfahr ich etwas. Schütts aus!

SOPHIE. Aber du wirst ermüdet sein von der Reise?

RAPPELKOPF. Nur meine Füß sind müde, meine Ohren nicht.

SOPHIE. So setz dich, lieber Bruder.


Sie setzt Stühle.


RAPPELKOPF. Ich dank dir, liebe Schwester. Setzt sich. Fatale Situation!

SOPHIE. Meine Tochter und ihr künftiger Bräutigam werden sogleich erscheinen.

RAPPELKOPF fährt wild auf. So? Faßt sich und sagt plötzlich mit freundlichem Lächeln. Wird mir eine unendliche Ehr sein.

SOPHIE. Du bist so sonderbar, lieber Bruder. Was ist dir denn?

RAPPELKOPF. Verschiedenes. Die Reise, dein Anblick, es ist alles so ergreifend für mich.

SOPHIE. Ich danke dir. Du bist ein Bruder, wie man keinen mehr finden wird.

RAPPELKOPF beiseite. Der Meinung bin ich selbst.

SOPHIE. Fünf Jahre bist du abwesend. Die Ursache meines Unglücks wird dir schon aus meinen Briefen bekannt sein.

RAPPELKOPF. Ich weiß, du hassest deinen Mann.[383]

SOPHIE. Was fällt dir ein! Wo gäb es eine Frau, die ihrem Manne mehr zugetan wäre, als ich dem meinigen!

RAPPELKOPF. Wirklich? Beiseite. Was man für Neuigkeiten erfährt!

SOPHIE. Wenn du nur die Geduld hättest sehen können, mit welcher ich seine Launen ertrug, die Sanftmut, mit der ich ihn behandelte.

RAPPELKOPF. Ja, das hätt ich sehen mögen. Beiseite. Es ist zum Durchgehen, wie sie lügt, ich bin schon völlig blau auf dieser Seite.

SOPHIE. Und alles dies hat seinen ungerechten Menschenhaß nur noch vermehrt.

RAPPELKOPF. Aber warum haßt er denn die Menschen, er muß doch eine Ursache haben?

SOPHIE. Weil er ein Narr ist, der sie verkennt.

RAPPELKOPF beiseite. Ich bedank mich aufs allerschönste.

SOPHIE. Und doch lieb ich ihn so zärtlich –

RAPPELKOPF. Diesen Narren? o närrische Lieb! Beiseite. Es ist zum Teufelholen!

SOPHIE. Und muß die Angst ausstehen, ihn seit gestern zu vermissen.

RAPPELKOPF. Ja wo ist er denn?

SOPHIE. In einem Anfall von Wahnsinn zerschlug er alle Möbel, glaubte, der Bediente wolle ihn ermorden, und rannte wütend aus dem Hause.

RAPPELKOPF. Nun er wird schon wieder zurückkommen.

SOPHIE. Nein, das wird er nicht. Was er beschließt, vollführt er auch.

RAPPELKOPF beiseite. Sie kennt mich doch. Laut. Aber wie ist er denn auf den Gedanken gekommen, daß man ihn ermorden will?

SOPHIE. Auf die unsinnigste Weise von der Welt. Ich befahl meinem einfältigen Bedienten, er sollte nach dem Garten gehen und Zichorien ausstechen, und das Messer in seiner Hand läßt meinen unglückselgen Mann glauben, er wolle ihn ermorden.

RAPPELKOPF. Zichorien hat er ausstechen wollen?[384]

SOPHIE. Ei freilich.

RAPPELKOPF beiseite. Das ist nicht möglich, oder ich wär der einfältigste Mensch, den die Sonne noch beschienen hat. In Nachdenken versunken. Zichorien hat er ausstechen wollen?

SOPHIE. Warum ergreift dich das so?

RAPPELKOPF gleichgültig. Weil mir der Kaffee einfällt, den ich im letzten Wirtshaus getrunken hab. Der war auch mit Zichorien vergiftet.

SOPHIE. Was soll ich nun beginnen, lieber Bruder?

RAPPELKOPF. Laß den Narren laufen!

SOPHIE. Das kann dein Ernst nicht sein. Er ist mein Mann, und ich werd ihn nie verlassen.

RAPPELKOPF schnell. Ist das wahr?

SOPHIE. Gewiß.

RAPPELKOPF unwillkürlich erfreut, beiseite. Sie ist doch nicht gar so schlecht. Wieder verändert. Aber schlecht ist sie doch.

SOPHIE. Ach Bruder! Sinkt an seine Brust. Wenn mein Mann imstande wäre, sich ein Leid anzutun! Weinend. Ich hätte mir nichts vorzuwerfen, aber ich könnte diesen Vorfall nicht überleben.

RAPPELKOPF. Das Weib martert mich, ich schwitz schon im ganzen Leib. Und sie weint wirklich, mein ganzes Schapodl ist naß. Aber ich glaub ihr nicht, die Weiber können alles. Laut. Beruhige dich nur, liebe Schwester, es kommt jemand.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 382-385.
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