Sechzehnter Auftritt


[121] Amine. Wachen. Vorige.


AMINE stürzt herein, hinter ihr Wache. Laßt mich, ihr abscheulichen Männer! Stürzt zu Veritatius' Füßen. Gütiger Herr![121] Was hat die arme Amine verbrochen, daß sie solchen Mißhandlungen preisgegeben wird? Ich bin ja ein armes, unschuldiges Mädchen, das noch niemanden auf dieser Welt etwas zu Leide getan hat.

VERITATIUS. Wie kannst du es wagen, vor mein Auge zu treten, ohne daß ich dich rufen ließ? Ausgelassenes Geschöpf, über dessen Verbrechen sich alle Bewohner dieser Stadt entsetzen.

AMINE. Aber in was bestehen denn meine Verbrechen? Daß ich über die spitzige Nase deines Türstehers gelacht habe, daß ich auf der Straße herumgelaufen bin, meinen Papagei zu fangen, daß ich mein Haupt mit keinem Tuche umwinden will, weil ich Kopfschmerzen davon bekomme und daß ich endlich keine traurige Miene machen kann, weil ich ein fröhliches Herz im Busen trage, sieh, das kann ich nicht lassen, lachen muß ich, und wenn du noch lange so zornig auf mich blickest und deine Augenbrauen so hinaufziehest, so werde ich wieder recht zum lachen anfangen müssen.

VERITATIUS. Welch unerhörte Frechheit! Man ärgere sich mit mir! Pause. Nein, man ärgere sich nicht, es will sich nicht geziemen, daß wir wegen dieser Verbrecherin in Ärger geraten. Als eine arme Waise hat man sie hier aufgenommen, weil ihr Vater, ein englischer Kapitain, mit seinem Schiffe an dieser Insel strandete und seinen Tod in den Wellen fand, und diese an das Land geschwommene Person wagt es, das Ärgernis einer ganzen Stadt zu werden? Man ergreife sie, setze sie in ein Schifflein und treibe es hinaus in die See, fernhin von dem Lande der Wahrheit, damit die Wellen das Spiel mit ihr treiben, das sie nur zu lange mit uns getrieben hat.


Die Wachen wollen sie ergreifen.


ALADIN. Führt sie fort.

EDUARD. Halt! Für sich. Ein unwiderstehliches Gefühl reißt mich hin, sie auf die Probe zu stellen.

FLORIAN. Ah, das ist ja entsetzlich, das nimmt ja gar kein Ende.[122]

EDUARD laut. Erlaube mir, mächtiger Herrscher, eine einzige Frage an dieses Mädchen zu stellen.

VERITATIUS. Man stelle sie.

EDUARD. Gutes Kind, hast du Vertrauen zu mir?

AMINE. Ach ja, du hast kein übles Gesicht und scheinst ein guter Mensch zu sein, Amine fühlt das gleich.

EDUARD. Reiche mir deine Hand.

AMINE. Hier hast du sie. Gibt sie ihm.

FLORIAN fängt an, einen unendlichen Frohsinn und eine innere Lustbarkeit auszudrücken. Das ist schon die Rechte. Nehmen wir s' mit.

ALLE. Was soll das bedeuten?

AMINE. Ach, nimm dich um mich an, ich bin gewiß nicht schuldig!

EDUARD. Nein, das bist du nicht, du gutes Mädchen. Wahre Sittsamkeit besteht nicht bloß durch äußere Form, sie wohnt im Innersten des Herzens, und Ungezwungenheit und Naivität dürfen immer ihre lieblichen Schwestern sein.

VERITATIUS. Habt ihr ihn verstanden?

ALLE. Ja!

VERITATIUS. Ich nicht. Man verstehe ihn auch nicht!

EDUARD. Höre mich, Veritatius! Ich verzichte auf die Hand aller Mädchen deines Landes, laß mir Amine, und ich führe sie als meine Gemahlin mit mir in mein Reich.

MODESTINA. Wie? Du wagst es?

ALLE. Entsetzlich!

VERITATIUS. Ruhig! Man schweige! Sieh, Verblendeter, weil du es wagst, meine Gastfreundschaft durch solchen Undank zu lohnen, so will ich dich auch dafür bestrafen. Du sollst sie haben, aber augenblicklich meidest du dieses Land und tuest ihm nie wieder die Schande an, es zu betreten.

EDUARD. Dank deiner Güte! Kolibri! Lichte die Anker, schwelle die Segel!

KOLIBRI fährt mit dem Luftballon nieder. Komm schon, bin schon da.[123]

EDUARD. Und nun komm, Amine, und du, Veritatius, trauere, denn ich entführe dir ein seltnes Kleinod, dessen Wert du nicht zu schätzen wußtest.


Musik ertönt. Eduard, Amine, Florian und Kolibri steigen ein und fahren fort, Veritatius geht mit seiner Tochter und Aladin in den Palast zurück. Die übrigen bleiben zurück.


CHOR.

Fahret, fahret fort!

Steuert durch die Welt

Bis zum Ort, bis zum Ort,

Wo euch Reue quält.


Ein Fallschirm kommt herab, worauf steht: »Körbchen für die Schönen dieses Landes.« Zwei Genien steigen aus und teilen goldene Körbchen an die Frauenzimmer aus.


CHOR.

Seht die frechen Laffen hier,

Körbchen uns zu spenden!

Rache kocht im Busen mir,

Blutig soll es enden!


Heftiger Schlag in der Musik. Sie wollen auf die Genien, diese heben die Finger warnend auf: ein augenblickliches Tableau. Die Genien ziehen aus den Körbchen verschiedene Schmuckwaren hervor, die Weiber ergreifen sie freudig. Die Musik und die Singstimmen sehr piano.


CHOR.

Doch piano, haltet ein!

In dem Land der Sitten

Muß man fein manierlich sein.

Hier wird nicht gestritten.

Drum verlasset diesen Ort,

Höret auf zu tosen,

Traget eure Körbchen fort,

Füllet sie mit Rosen.


Alle schleichen behutsam ab. Die Genien fliegen wieder ab.


Quelle:
Ferdinand Raimund: Sämtliche Werke. München 1960, S. 121-124.
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