Kapittel 3

[323] Wo ick för en Row-Mürder anseihn würd un worüm ick den Obersten B. för en Landsmann von mi estimieren müßt; un worüm de Herr Justizrat Schröder in Treptow eigentlich de Meinung is, ick hadd köppt warden müßt.


Ditmal kamm dat nich tau so'n Elend, ditmal reddete mi Schnabel. Min Herr Unteroffzierer let mi nich Tid, mi in dat[323] schöne Mäten tau verleiwen; grad wenn mi so recht hell tau Sinn was, dat ick mi de schöne Kummandantendochter so recht lewig vörstellen wull, as wenn up Stun'ns einer in so'n Ding von Stereoskop rinner kickt, denn ret de Herr Unteroffzierer mine lütte, säute Herzenskummandantin unner dat Glas weg un schow Schnabeln mit »Sprenger, Weife« un iserne Hanschen unner dat Glas.

Wi kemen nah Hus, Vatter Kähler snabbte mi wedder rin in dat Lock, un dor satt ick nu, un in mi hüppte un prickelte allens, nich blot Adern un Nerven, ne! Sülwst de ollen Knaken hadden sick, as wull jeder von ehr up eigen Hand spazieren gahn.

Nu was eigentlich de richtige Tid un Stun'n tau en ordentlich un regelmäßig Verleiwen; äwer't was ok grad Tid un Stun'n taum Middageten. 't is wohr, wenn einer viruntwintig Johr olt is, geiht einer hellschen fix up dat Verleiwen in, äwersten gewiß eben so fix up dat Middagbrod. Vatter Kähler kamm rin un stellte 'ne Ort Supp-Eten up den Disch mit Hamelfleisch un Arwten un Tüften un Kohl un Räuben.

»Na«, segg ick, »en por von dat Gesäus' hadd denn doch ok weg bliwen künnt; de Sak is mi denn doch tau kunterbunt.« Ick kunn jo dat seggen, ick hadd jo däglich en halwen Daler tau verzehren.

»Sei hewwen recht«, säd Vatter Kähler, »äwer ick kak jo nich för Sei allein, ick kak jo ok för all de annern, un dit hett sick einer utdrücklich bestellt, den sin Ihrendag morgen is, un hüt is sin Dodesurtel von'n König t'rügg kamen, un morgen ward Schnabel köppt.«

»All wedder Schnabel!« raup ick un spring' tau Höchten un kik ut dat Finster rut.

»Stellen Sei sick dor nich hen«, seggt Vatter Kähler, »seihn Sei blot, wat dor för en Hümpel Minschen steiht, de willen all Schnabeln seihn, un wil dat nich mäglich is, indem dat hei in 'ne düster Kamer sitt, künnen sei Sei för Schnabeln anseihn, un denn künn dat en Uplop gewen.«

Gott in'n hogen Himmel! Wat hadd ick mit Schnabeln tau[324] dauhn? Hadd ick denn würklich so'n Röwer-un Mürdergesicht? 't müßt jo woll sin, denn knapp hadd ick mi an dat Finster stellt, dunn bröllte dat Volk unnen: »Kikt dor! Schnabel! Schnabel!«

Ick prallte von dat Finster taurügg. »Vatter Kähler«, säd ick, »heww ick Ähnlichkeit mit den unglücklichen Minschen?« – »Gott bewohre!« säd hei. »Hei is von Geburt en Snidergesell un hellschen smächtig von Liw', un Sei sünd jo schön breid in de Schullern.«

»Schnabel raus!« bröllte dat Volk buten.

Ick set'te mi up minen Strohsack dal, läd den Kopp in de Hand un sunn 'ne Tidlang nah un säd denn endlich: »Vatter Kähler, ick heww mines Wissens meindag' keinen Minschen ümbröcht, ok keinen dat Sinige namen.«

»Dat glöw ick«, säd Vatter Kähler »süs würd de Oberst nich so fründlich tau Sei sin.«

»Worüm is hei eigentlich so fründlich tau mi?«

Vatter Kähler gung ganz dicht an mi ran un flustert mi in de Uhren: »Hei weit, wo dat deiht. Hei hett ok all mal seten.« – »Wat?« segg ick, »de tweite Kummandant hett seten?« – »Ja, tau vir Johr was hei verurtelt, äwer de König hett em mit en halw loslaten.« – »Wo 's denn dat kamen?« frog ick. – »Je«, säd hei, »dat is ok so'ne Geschicht; ick red dor nich äwer, fragen Sei Altmannen dornah, de weit't ganz genau.«

»Mi is so wat noch nich vörkamen von Fründlichkeit«, segg ick, »un dat för en ganz fremden Minschen.« – »Sei mägen em jo woll nich ganz frömd sin«, seggt hei, »denn hei is jo en Landsmann von Sei.« – »Also doch?« frog ick. – »Ja«, seggt Vatter Kähler, »dat ward woll sinen Grund hewwen, denn hir in de Stadt wahnt en Snidermeister, wat en gauden Fründ von minen Swigersähn is, de stammt ut Friedland in Strelitz-Meckelborg, un de hett uns oft vertellt, dat de Oberst en Landsmann von em wir, un dat hei ok sine Öllern kennt hett, wat ganz gewöhnliche Katenlüd' west sünd.« – »Äwer«, raup ick ut, »wo Dausend is hei denn taum Oberst kamen?« – »Oh, wat meinen Sei? Hei hett all lang' deint, hei is all dunn,[325] as Schill dörch Meckelborg trecken ded, as halwwussen Knecht mit em gahn, un nahsten hett hei sich so dörchfäuhlt nah Ostpreußen un is dunn mit dat Yorksche Anno 12 nah Rußland gahn, hett Anno 13, 14 un 15 mitmakt, un as ick nahsten in Breslau stunn, dunn was hei Rittmeister bi't irste Kürassierregiment. Dor was hei denn nu as Uhl mang de Kreihen; alle Offzierers bi dat Regiment wiren Eddellüd', hei was de einzigste Börgerliche, un dorüm wullen sei em also wegbiten; äwer hei gung nich, hei höll sei sick von'n Liw'. Na, dat hadd denn nu woll sine Tid wohrt, un tauletzt hadden sei em denn nu doch woll dümpelt, wenn de oll lütt pucklich General Hans von Zieten nich west wir, de höll em; un dat was man en lütten Kirl, äwer en krätigen Kirl, de sick so licht nich an den Wagen führen let. – Nu segen denn de Herrn, dat sei dor nich mit dörchkemen; äwer sei leten nich sacken, sei versöchten't mal up 'ne anner Manier un makten 'ne grote Ingaw' bi unsern König, wo dat doch nich assistieren künn, dat bi dat öllste Regiment in den ganzen preuß'schen Staat, wat all bi Fehrbellin vör den Find stahn hadd, en Börgerlicher als Offzierer stünn«

»Ih, dat's jo recht nüdlich, Vatter Kähler«, segg ick, »de Herrn hewwen blot vergeten, dat bi Fehrbellin en Snidergesell dat Regiment kummandiert hett.«

»Dat weit ick nich«, säd Vatter Kähler, »dat's vör min Tid west; äwer so vel weit ick, hei müßt weg; denn wat ded uns' allergnedigste König? – Hei wull de Herrn Offzierers nich vör den Kopp stöten, un den Rittmeister wull hei doch nich missen, hei makt em also taum Majur, äwer ok tauglik taum Eddelmann. – Wat ded äwer uns' gaud Herr Oberst? Hei stek den Majur ruhig in de Tasch un för den Eddelmann bedankt hei sick, hei wull nich dörch de Pikanteri von sin Kammeraden Eddelmann warden. – Na, nu was jo denn natürlich dat Kalw in't Og slagen, nu müßt hei furt, un so würd hei denn hir tweite Kummandant, denn sei seggen jo all, de König höllt trotz alledem noch grote Stücken up em. – Un dat strid ick gor nich«, set'te oll Vatter Kähler hentau, »denn[326] bi de anner oll ekliche Geschicht, de hei hir nahsten hadd, wo hei den Sträfling dodstek un wo sei em mit vir Johr Festung bedachten, läd sick jo ok de König in't Middel, dat hei mit en halw Johr afkem.«

»Wo was denn dat?« frog ick.

»Dor möten Sei Altmannen nah fragen, de is jo dor mit bi west. Ick bün en ollen Mann un heww Fru un Kinner, un äwer mine Vörgesetzten red ick äwerall nich; taudem is de Oberst en gauden Mann gegen mi, un wotau sall ick achter sinen Rüggen von Ding' reden, de em all gris' Hor naug makt hewwen un de em von 's Morgens bet 's Abends in den Kopp liggen? Denn sörredem is hei sihr verännert; dat kann einer marken, ahn dat hei tau de groten Propheten hürt.«

Oll Vatter Kähler gung, un oll Vatter Kähler was en braven Mann, dat hürt ick un sach ick, denn hei was up sine Ort ganz trurig worden.

Ick dachte äwer den Ollen sine Vertellung nah. – Also doch en Meckelnbörger, en Landsmann! Hei un Schill-Sommer, beid' Kammeraden! – De ein verdorben un storben, de anner in Ihren un Würden un gesund un kräftig. – Schnabel föll mi in: wi wiren jo ok Kammeraden, beid' taum Dod verurtelt, hei satt unnen un ick baben, blot dörch en swacken Windelbähn von einanner scheidt. Wi hadden beid grugliche Verbreken begahn; hei hadd en por Minschen ümbröcht, un ick hadd up eine dütsche Uneversetät an den hellen lichten Dag de dütschen Farwen dragen! – Wi hadden dat sülwige Urtel, un nu satt hei in Ängsten un Dodesnöten, un mi krümmt keiner en Hor. – Worüm dat? – Wo kamm dat?

»Lieber Freund«, säd späderhen de Herr Justizrat Schröder tau mi, as ick em de Sak vertellte un dese Frag' vörläd, »nichts einfacher als dies: der König hat Sie begnadigt, ihn nicht.«

»Nich begnadigt«, säd ick. »Kraft oberstrichterliche Gewalt hett hei de Straf in 'ne Festungsstraf verännert; un wo bliwwt denn dat Richteramt, wenn't mit de Gewalt tausamstellt ward?«

»Nun, Sie glauben doch nicht«, säd hei, »daß der König von[327] Preußen wegen solcher Bagatelle hundert junge Leute hinrichten lassen werde?« – »Worüm nich?« frog ick. »Wenn nu so'n achte Hinrich von England oder en rußschen Peiter oder blot man so'n Niklas un so'n verrückten Korl von Brunswik up den preußschen Thron seten hadd – worüm nich?«

»Gegen so einen Mißbrauch der Todesstrafe schützt uns die Humanität der Regierung und der Zeit. Todesstrafe muß sein; die menschliche Gesellschaft muß die Gewalt haben, sich der Bestien aus ihrer Mitte zu entledigen.«

»Dank för't Kumpelment!« segg ick. »Äwer, Herr Justizrat, Humanität is up Stun'ns nicks wider as en falschen Gröschen; blot de Gaudmäudigen un de Dummen nemen em; äwer de em utgewen un dormit tau Mark trecken, de häuden sick. – Un wat de Dodsstraf un ehre Nützlichkeit anbedrapen deiht, so wünscht ick, Sei wiren mal mit dese Weig' weigt; mäglich, dat Sei denn de Ogen upgüngen.«

»Sie haben sich nicht zu beschweren, denn das Gesetz sagt ausdrücklich: Konat des Hochverrats wird bestraft wie der Hochverrat selbst. Nach Ihrer eigenen Aussage ist der konstatierte Zweck Ihrer Verbindung gewesen: ›Herbeiführung eines auf Volksfreiheit und Volkseinheit gegründeten deutschen Staatslebens‹; dies hat man richterlicherseits für einen Konat des Hochverrats angesehen; ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich dahingestellt (Notabene dit was nah 1848); aber das Gesetz ist salviert.«

»Na, Herr Justizrat, denn will ick Sei wat seggen, denn hett dat Gesetz un de Humanität sick gegensidig taum Nahren; entweder dat Gesetz möt de Humanität afschaffen, oder de Humanität dat Gesetz. – So, as sick dat herutstellt hett, was't en Puppenspill, en grausames Puppenspill! – Nich so sihr grausam gegen uns as gegen uns' ollen Öllern, un vel Minschenglück is dormit tau Grun'n richt't. Ick bün en Gegner von de Dodsstraf, un wer will mi't verdenken? Wer in't Water follen un binah dorin verdrunken is, mag't Water nich recht liden; un nich ick allein, ne, en jeder kann in't Water fallen. – Ick heww mal en tweisnidiges Metz seihn, womit en[328] Wahnsinnige en Minschen umbröcht hadd, mi grugte vör dat Metz, un ebenso grugt mi ok vör en tweisnidig Gesetz, wat einer dreihn un wennen kann as en natten Hanschen, taumal, wenn dit Gesetz in de Hand von einen Wahnsinnigen gewen ward. Un de sogenannte Referent in uns' Sak, de Herr von Tschoppe, de ut de Akten den gruglichen Hochverrats-Konat rute dresselt hadd, was wahnsinnig un sturw ok as en Wahnsinnige. Den hadden sei tau rechter Tid inspunnen sullt, denn wiren Dusende von Familien vor unnütz Elend un Angst bewahrt blewen. – Un wat hadden wi denn dahn?«

»Nicks, gor nicks. Blot in uns' Versammlungen un unner vir Ogen hadden wi von Ding' redt, de jetzt up apne Strat fri utschrigt warden, von Dütschlands Friheit un Einigkeit, äwer taum Handeln wiren wi tau swack, taum Schriwen tau dumm, dorüm folgten wi de olle dütsche Mod', wi redten blot döräwer. Dat was jo äwer ok naug för so en geschickten Unnersäukungsrichter, as uns' Unkel Dambach was, de grad in sine beste Karriere was un nu doch nich slüppen laten kunn. So würd denn nu also ut en frien, frölichen Sünnenprust en Dunnerslag makt, un dat Dodsurtel würd spraken ahn alle Entscheidungsgrün'n, denn, obschonst sei uns versproken, sei nahtauliwern, sünd sei in de Hor drögt, un wi hewwen s' meindag' nich tau seihn kregen. Stats dessen wiren de Dicknäsigen, de dunn an't Räuder seten, hellschen parat, allerlei gefährliche Geschichten von Demagogen un Königsmürders in Ümlop tau bringen, un doch – Gott vergewt ehr! –, sei wußten am besten, dat allens utgestunkene Läg' wir! Verteidiger kunnen wi uns nich wählen, de würden uns set't; min, de mi fast versprok, dat ick in min Vaderland, Meckelnborg, müßt utliwert warden, hett mi up keinen Breiw, den ick an em schrewen heww, antwurt't. – Nemen S' nich äwel, Herr Justizrat, ick bün en beten von't Hunnert in't Dusend geraden; äwer wenn ick an de Nützlichkeit von de Dodsstraf un denn wedder an de Humanität denk, de mi von Gerichts wegen tauflaten is, denn bömt sick in mi so allerlei up un stött min Gedanken as Kohl un Räuben dörchenanner.«

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 4, Rostock 1967, S. 323-329.
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