33. De gaude Will

[277] In'n Letzten liggt oll Vadder Hank.

Hei lett den Notor Riedel halen.

»Herr«, seggt'e, »ick bün gor tau krank,

Ick hoff indessen, dat min Qualen

Ehr Endschaft krigen, ick ward starben;

Un heww Sei deshalb kamen laten,

Min Testament mi aftaufaten.«[277]

Na, Riedel seggt denn nu: »Sei darben

Sick bi de Sak nich äwerilen,

Dat Starben, dat hett ümmer Tid.

Indessen is dat gaud betwilen,

Dat noch vörher wat Schriftliches geschüht,

Un wenn S' abs'lut dat wünschen süllen,

Denn segg'n S' mi Ehren letzten Willen.«

Un Vadder Hank beginnt denn nu:

»Ick heww kein Kinner un kein Fru,

Un wat min Fründschaft is, de was

In allen Stücken mi entgegen

Un hadd up mi en groten Haß,

Wil s' wüßten, dat s' von mi nicks kregen;

De krigen nicks, ok nich en Spir.

Doch an de Schaul in unsre Stadt

Heww'ck ümmer min Vergnäugen hadd,

Wil ick en Fründ von Kinner wir.

De will ick denn tauirst bedenken

Un ehr dreidusend Daler schenken.«

»Dat's brav«, seggt Riedel, »brav von Sei!«

»Na«, seggt de Oll, »un för de Kirch,

Dor schriwen S' ok gefälligst twei.«

»Tweidusend Daler för de Kirch?«

Seggt de Notor, »in dese Tid

Würd ick dat selten noch gewohr,

Dat för de Kirchen wat geschüht. –

Na, süs noch wat?« fröggt de Notor.

»Ja«, seggt de Oll, »wil ick dat weit,

Wo slicht dat mit de Armaud steiht

Un dat sick kein ehr deiht erbarmen,

So schriwen S' för de städt'schen Armen,

Na, willen seggen – föfteihnhunnert.«

Na, wenn sick de Notor ok wunnert,

Wo dat so'n ollen riken Mann

So arm un dürftig wahnen kann,

Hei schriwwt dat dal. De Tügen kamen,[278]

De Schriwwt ward unner Siegel namen,

Un as dat allens is taurecht,

Bliwwt Riedel noch bi em un fröggt,

Wo woll de Slätel wesen ded

Tau't Schapp, wo hei sin Geld rin läd.

»Hir is de Slätel«, seggt de Krank,

»Ick will Sei girn gefällig sin,

Up Stun'ns is äwerst Geld nich drin.«

»Na, denn Poppier, min leiwe Hank,

Obligatschonen äwer Ehr Vermägen.«

»De heww'ck meindag' noch nich tau seihen kregen«,

Seggt Hank, »ne, Herr Notor,

Poppieren, de sünd ok nik dor.«

»Wat? Gor kein Geld un kein Poppieren?

Woräwer will'n Sei denn testieren?«

»Je, Herr, dat deiht mi herzlich led,

Dat'ck ahn Vermägen starben möt,

Ick müßt in bitt're Not vergrisen

Un künn den Hunger knapp man stillen,

Nu wull'ck doch in den letzten Willen

De Lüd' den gauden Willen wisen.«

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 2, Rostock 1967, S. 277-279.
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