63. En lütt Verseihn

[364] De Dokter Dörwald un de Dokter Brunn,

Von de ein jeder mal bi uns' Husoren stunn

Un olle Krigskamm'raden wiren,

De warden mal nah Jatsch rut führen.

Na, wenn s' sick beid ok sülwst nich Dokter nennten,

So würd doch Dokter tau ehr seggt.

De ein, de hadd en Ossen taum Patschenten,

De anner hadd den Ossenknecht.

Sei gahn nu beid nah ehre Kranken

Arm in den Arm den Hof entlanken;

De ein geiht unnen in den Stall,

De anner stäwelt up den Bähn.

Bi beiden is't en slimmen Fall.

Up beide Fläg' is grot Gestähn,

Un beid Patschenten sünd sihr slicht.

De Knecht, de hett'ne dägte Gicht,

De Oß, de hett 'ne dägte Pogg;

Taum Glücken äwer lewen s' noch.

De ein, de fäult den Puls den Kranken,

De anner grippt em in de Flanken,

De ein lett sin'n de Tung utrecken,

De anner ward den Start em trecken,

De ein ward up dat Water achten,

De anner Fastes irnst betrachten;

Un maken beid' sihr irnst un sihr vernimm

De üblichen bedenklichen Gesichter.

»Hm, hm! Das ist sehr schlimm, sehr schlimm!

Das ist 'ne übele Geschichte!«

Denn ok en Tierarzt ward bi jeden

Sihr slimmen Kasus hochdütsch reden.

Doch segg'n sei endlich alle beid',

Dat mit Geduld un Pünktlichkeit,

Vör allen dörch ehr Medizin

De Krankheit würd tau heilen sin.[365]

»Ick ward 'ne lütte Buddel schicken«,

Seggt Dörwald baben,

»Dorvon gewt Ji den ollen Knaben

Tweistündlich einen Lepel in

Un lat't em jo rein rute licken!«

»Ick ward 'ne grote Buddel schicken,

Dat ward 'ne gaud' Pottsbuddel sin«,

Seggt unnen Brunn,

»De nemt un schüddelt s' düchtig, un

Denn up tweimal

Geit Ji s' em dal!«


Sei gahn denn nu, vernüchtern sick en beten,

Un as se drunken heww'n un eten,

Dunn stigen sei up ehren Wagen

Un führ'n nah Hus. – Nah twei, drei Dagen,

Dunn führ'n sei wedder rut nah Jatsch;

Taufällig is dor Ohrenklatsch.

Worüm süll'n sei nich rute führen,

Bi Austköst lett sick gaud kurieren.

Sei kamen an, doch bi dat Dur,

Dor stigen s' af. »Ne, irst de Kur!

Ne, irsten gahn wi nah uns' Kranken!

Man weit dat woll, bi so'n Geschicht,

Dor gahn tauwilen de Gedanken

Ein'n ganz gefährlich ut de Richt;

Dor künn Verwesselung gescheihn,

Un 'ne Verwesselung un en Verseihn

In desen bitterbösen Fall –

Na, Brunn!« – »Na, Dörwald! Denn wir't all.«

Herr Brunn, de geiht nah sinen Stall,

Herr Dörwald geiht nah sinen Bähn.

»Wo geiht di dat, min olle Sähn?«

Je, ja, je ja! Hei hürt kein Wurt,

Hei süht nu tau: sin Krank is furt!

Un as hei dal nu geiht nah unnen,[366]

Dunn is ok unsen gauden Brunnen

Sin Oß verswunnen.

»Dat weit denn doch de Swerenot!

De beiden Patschienten dod!«

Sei gahn denn trurig nu tausamen,

Doch as sei nah den Hof rut kamen,

Steiht Dörwald ganz verdutzt un röppt:

»Wo? Dunner! Is dat nich Hans Voß,

De Ossenknecht, de dor rüm löppt?«

Un Brunn, de röppt: »Kik dor, min Oß!«

Un löppt up sinen Ossen in

Un fröggt den Ollen, de em ledden deiht,

Ob dat nu beter mit em steiht

Un ob hei wedder freten künn?

»Ja, Herr«, seggt de, »hei's ganz nu wedder gaud,

Hei frett un süppt un aderkau't,

Un wat vör allen is dat best,

Hei hett all gistern nüdlich mest,

Un ick heww hüt all mit em hakt.«

»Na, heww'n Ji dat denn ok so makt,

As ik dat letzt heww anordniert?«

»För tweimal, Herr, tau wenig wir't;

Ick göt em dat mit einmal run.«

»Hei mag den Deuwel!« röppt uns' Brunn.

De Oll, de treckt 'ne Buddel rut un seggt:

»Wat sall up tweimal denn so'n Bettel?«

Un Brunn, de nimmt s' un lest den Zettel:

»Für Johann Voß, den Ochsenknecht«,

Un steiht vör Wunnern stiw un stumm

Un denkt, de Oll, de will em foppen,

Un dreiht dat Glas, rückt an den Proppen:

»Wahrhaftig, ja! 's ist Colchicum!«

Un 'n beten afwarts von den Ossen

Steiht Dörwald dor mit Jehann Vossen.

»Wo, büst du all herut, min Sähn?

Ick was all rup nah dinen Bähn.[367]

Büst du all wedder beter word'n?«

»Herr Dokter, ja! Sid gistern morg'n.

De Medizin veracht ick nich;

Twors wörgt sei mi ganz fürchterlich

Un slog bi mi ok hellsehen dör,

Un 'n hellsehen Grugel hadd'ck dorvör,

Doch heww ick s' richtig runne sluckt.«

»Hest du de Buddel ut all brukt?«

»Ne, Herr, ne, dat wir woll nich mäglich!

Ick nem min Deil ganz richtig däglich;

Doch as ick mi dat äwerslag',

Heww'ck woll noch naug up vierteihn Dag'.

Hüt heww ick denn mal äwerschaten,

Ich wull de Austköst nich verpassen«,

Un ward sick an de Taschen faten,

»Doch süll dat mit mi warden slimmer,

Ick drag sei ümmer mit mi rümmer.«

»Na, wis' doch mal!« – Hei treckt de Buddel rut;

Herr Je, wo sach de Dokter ut,

As hei dat Beist höll in de Hän'n!

Hei ward dat dreihn, hei ward dat wenn'n,

Hei schüddt de Buddel, schüddt den Kopp,

Hei makt tauletzt den Proppen up,

Hei rückt, hei lickt – wo spuckt hei ut!

»Pfui Deuwel!« seggt hei, »wat hett Brunn

För Düwelstüg tausamen brut!

Un dat, dat söpst du allens run?

Dat is jo Kalk un Theriak

Un Tobacksjauch un Salmiak.«

»Ja, Herr, dat heww ick all innamen,

Un't is mi jo ok gaud bekamen.«


Un Oß un Ossenknecht, de gahn.

Un unse beiden Dokters stahn

Un kiken sick enanner an,

Un Dörwald lacht un fängt nu an:[368]

»Na, du haddst bald wat angestift't,

Du haddst mi minen Johann Vossen

Bald mit din olles Jux vergift't!«

»Ja«, lacht ok Brunn, »un du den Ossen.«

»Na, woll'n nicht weiter davon reden«,

Seggt Dörwald, »woll'n nich all un jeden

Die Sache auf die Nase binden,

Manch Dummkopf könnt ein Haar d'rin finden,

Was weiß der Laie von Natur?

Von ihrer Kraft

Und Eigenschaft?

Der heut'ge Fall lehrt wieder nur,

Daß jede Kur

Vergeblich ist, wenn die Natur

Nicht hilfreich ihre Hand uns reicht.

Weh jedem Arzt, der von der Spur

Der helfenden Natur abweicht!

Ihr Viehdoktoren habt es leicht:

Es steckt in einer Viehnatur

Zehntausendmal mehr von natürlicher Natur

Als in der Menschenkreatur.«

»Na«, lacht denn Brunn, »lat dat man wesen!

Ick heww dor ok mal wat von lesen.

In'n ganzen gew ick di ok recht –

Doch hett en Oß ok eine forsch Natur,

Sei langt nich an so'n Ossenknecht.«

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 2, Rostock 1967, S. 364-369.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon