Drittes Kapitel.

[183] Als Konrad und Grete in der Morgenfrühe wieder verbotenerweise am Amboß standen, schaute der Schmied finster darein. Die heimlichen Gänge des Mädchens nach des Schultheißen Haus waren den Nachbarn nicht unbemerkt geblieben, des alten Sünders Neigung zu der schönen Base war längst ortskundig. Böse Zungen,[183] die trotz Krieg und Pestilenz nicht aussterben, hatten sich auf ihre Beobachtungen sogleich einen Vers gemacht.

Der Schmied brummte abgerissene Sätze und schlug bei jedem Satz heftiger auf das rote Eisen. »Der Lästerteufel, Grete, kann Halseisen und Schandzettel auch an einen lichten Sonnenstrahl hängen, wie Sankt Goar seine Mütze. – Gleich dem Spürhund steht dieser Teufel auf loses Geschwätz. Find't er keins, so macht er eins. – Der Ruf, das Recht, das Auge dulden keinen Spaß; der Ruf besonders bei Weibern, und mit Gewalt kann man eine Fiedel an einem Eichbaume zerschlagen. – Nicht alle Weg' sind Kirchenweg', man meint oft selber, man gehe in die Kirche und findet sich zuletzt nebenan im Wirtshaus. Und darum sage ich dir, Grete, daß ich dir alles zulieb thun will, aber auch, daß wir heute zum letztenmal vor der Morgenglocke am Amboß stehen.«

Das Mädchen, welches den Vorwürfen nur mit einem ruhigen Blick in das Auge des Schmieds geantwortet hatte, erwiderte jetzt: »Es ist auch nicht mehr nötig, Konrad, daß wir so frühe schmieden. Die Base ist tot. Nun brauche ich nicht mehr über tags in des Schultheißen Haus zu gehen.«

Konrad sann eine Weile, als könne er den Zusammenhang zwischen dieser Rechtfertigung und seinen Vorwürfen nicht so geschwind begreifen. Endlich fragte er beschämt und erschrocken zugleich: »Also bist du es gewesen, die des Schultheißen Frau gepflegt, da er sie verstoßen?«[184]

»Und war es denn so Arges, Christi Gebot zu thun, daß du darüber erschrecken magst?«

Der Schmied blickte sie lange schweigend an, dann küßte er sie und sprach: »Du hast recht, mein Mädchen, du mein Herz, meine Krone! Dennoch wird es hart an uns beide kommen. Der Schultheiß ist jetzt unser Todfeind. Denn ein Filou läßt sich alles gefallen, nur nicht, daß andere Leute so unter seiner Nase besser sind als er.«

Da rief Grete begeistert: »Es ist ein Gott im Himmel!« Und sie hob den schweren Hammer und begann wieder lustig die Arbeit. Aber schnell ließ sie den Hammer auch wieder sinken, ward sehr nachdenklich und flüsterte: »Doch hab' ich vergessen, daß unser Herrgott nicht Schultheiß von Löhnberg ist.«

»Die Herren vom Rat, die den obrigkeitlichen Spieß nicht umsonst tragen, sind gar streng und ängstlich geworden wegen des frühen Feuerns, vornehmlich seit Driedorf niederbrannte,« sagte Konrad. »Das Feuer loderte früh morgens so reißend schnell in den Strohdächern auf, daß die Leute Löcher in die Stadtmauer brechen mußten, um ihr nacktes Leben zu flüchten, denn eh man sich's versah, sperrte die Flamme die beiden Thore.«

Grete schaute träumerisch in die rote Glut der Kohlen, in dieses heiße Leben, das leuchtend und sprühend sich selbst verzehrte. Der rote Abglanz schien ihre Züge zu verdüstern.

»Schau auf, Mädchen!« rief plötzlich der Schmied. »Da schlägt ja Rauch und Flamme aus dem Gebälk![185] Wo kommt der dicke Qualm her und das Feuer? Das kann nicht von der Esse kommen!«

Grete that im ersten Schreck einen hellen Schrei – so weit konnte sie das Weib nicht verleugnen –, dann aber faßte sie sich mannhaft. »Stille, Konrad! lange den Kübel Wasser her! Wir müssen's vertuschen. Es ist ja gleich gelöscht. Wenn's nur keinen Lärm gibt!«

Aber schon war's zu spät. Als Konrad vor die Thür trat, sah er die ganze Dachfirste in Brand. »Es geht nicht mit rechten Dingen zu!« rief er verzweifelt. »Dort oben haben unsere Kohlen nicht gezündet.«

Die Leute im Dorfe, in den hohen Sommertagen zeitig zur Feldarbeit gerüstet, hatten das Feuer schon bemerkt. Hie und da kam einer herbeigeschlichen, legte die Hände auf den Rücken und schaute sich die Flamme an. Denn Feuersbrünste waren damals wie das tägliche Brot, und außer dem Eigentümer ästimierte niemand mehr den Brand eines einzelstehenden Häuschens. Auch fehlte das Wasser bei der Schmiede. Eine große Lache unten neben dem Backhause war von der Hitze halb ausgetrocknet; ein naher Ziehbrunnen hatte nur einen Eimer. Die ganze Scene ging wie im Fiebertraum an Konrads Sinnen vorüber. Er wachte erst auf, als er den Schultheiß ordnungsmäßig anreiten sah, eine schwere Hiebwaffe zum Zeichen der Amtswürde im Ledergehänge tragend. Und hinter ihm drein keuchten die Ortsknechte und Nachtwächter, vier Männer mit alten Spießen und Hellebarden.[186]

Der Schultheiß ritt hart an Konrad und rief scharf und trocken: »Du hast Kohlen eingelegt vor der Morgenglocke, dafür sollst du mir in den Turm, und hast das Feuer nicht ausgeschrieen, noch um Hilfe gerufen, dafür sollst du nach der Feuerordnung um fünf Gulden gestraft werden.«

Dann aber wandte er sich gegen die müßigen Gaffer und trieb das stumpfsinnige Volk mit der flachen Klinge zusammen, und die Scharwächter halfen mit ihren Spießen dazu, daß bald alle Hände aus den Hosentaschen fuhren und zugriffen wider den Brand. Ein paar starke Knechte stiegen auf die Leitern und rissen mit den Haken das brennende Dachgebälk hinweg. Männer und Weiber bildeten flugs doppelte Reihen nach dem Ziehbrunnen und nach der Pfütze am Backhaus; sie brachten Eimer; die eine Hälfte langte die vollen Eimer heraus, die andere reichte die leeren zurück.

Die Männer mit den Spießen arretierten inzwischen den Schmied, als eben die Flamme am hellsten über seiner Schmiede zusammenschlug und das Gebälk niederzukrachen begann.

Da drängte sich ein Mann aus der Menge vor und rief: »Habt ihr denn nicht gesehen, daß dort in der Schmiede noch ein Weib steckt?«

Und gleichzeitig schrie der alte Glöckner: »Mein Kind, mein Kind!« und sprang hinein in die brennende Schmiede. Aber ein solcher Strom von Glut und Rauch fuhr ihm unter der Thüre entgegen, daß er besinnungslos zurücktaumelte und zu Boden stürzte.[187]

Alle standen starr vor Entsetzen, ein schauerliches Schweigen ging durch den eben noch so laut geschäftigen Kreis. Noch einen Augenblick und die glühenden Mauern und Balken mußten zusammenstürzen, und das junge Leben da drinnen war gleich eines zähen Ketzers oder einer alten Hexe Gebein in einem qualmenden Aschenhaufen begraben. Keiner wagte mehr ein Glied zu rühren; atemlos harrten alle.

Plötzlich trat ein Mann aus dem brennenden Hause hervor – niemand hatte ihn hineingehen sehen, und viele behaupteten nachgehends, die Flammen hätten sich vor ihm auseinander gethan wie zwei Thorflügel – und auf seinen Armen trug er die Tochter des Glöckners aus den Flammen. In lautem Freudenrufe brach sich das angstvolle Harren der Umstehenden.

Doch als der Fremde das bewußtlose Mädchen zu den Füßen des Vaters niedergelegt hatte, und die Bauern dem Retter näher ins Gesicht schauten, wichen alle zurück.

»Es ist der Pestmann!« flüsterten sie, und selbst der Schultheiß wandte rasch sein Pferd, um den tödlichen Anblick zu vermeiden.

Lächelnd schritt der Fremde mit dem blassen Gesicht durch das zur Seite weichende Volk. Kein Wort des Dankes ward ihm nachgerufen.

Als der Glöckner mit seinem Kinde wieder zu Sinnen kam, war der Retter längst verschwunden. »Der Pestmann selber,« rief man ihm zu, »hat Eure Grete aus dem Feuer getragen.«

Der Glöckner legte einen Augenblick sinnend die[188] Hand an die Stirn; dann war es, als gehe plötzlich ein helles Licht seinem Geiste auf. »Der Mann war nicht der Pestmann! Er ist ein Mann Gottes und doch keiner. Er ist – – Ich sah es wohl, wie ihm der Rauch nichts anthat, der mich zu Boden warf. Und wie er die Grete auf den Armen heraustrug! Kniet nieder und betet, ihr Heidenvolk! Die Pest hat ein Ende, das Feuer hat die Pest verzehrt, und der Mann, der die Pest nicht des Leibes, sondern der Seelen im Lande umherträgt, ist zu einem Boten des Herrn geworden. O mein Kind, wie ist dein Vater alt und schwach, daß er's diesem Manne gönnen mußte, dich zu retten! Als wir Anno zweiunddreißig das Schloß Braunfels petardierten und mitten im Brande stürmten, focht ich mit drei braven Kerls an die zwei Stunden im dicksten Rauche, bis wir den Sturmhaspel zerstört hatten. Und jetzt muß mich's niederwerfen, wo mich die Flamme nur einen Augenblick mit ihrem glühenden Odem anbläst! Aber warum habt ihr den blassen fremden Mann nicht zurückgehalten, bis ich ihm danken konnte? Doch nein – es ist besser, daß ihr ihn ziehen ließet. Ich weiß, wo ich ihn wieder treffe. Wo ein Kranker liegt ungepflegt, ein Toter unbegraben, wo eine gemarterte Seele nach Hilfe schreit, wo die Pest wütet, daß ihr alle feig davonlauft, dort finde ich den Mann wieder, den ihr den Pestmann nennet. Ist es nicht, als sei die Wiederkunft des Herrn nahe? Der Pestmann besiegt uns in guten Werken, indes die Prediger des reinen Wortes ihre Schanze verlassen und die Obrigkeit[189] nur noch darauf schaut, wie ein jeder von ihnen seinen Mammon salviere. Der arme Bauer aber betet vergeblich zu Gott, und all seine Plage ist eitel. Wo er sich schindet und martert, gibt es doch nur aus, als ob er einen Bock melke, oder von einem Esel Wolle schere, oder einem Pferd die Knochen zum Abnagen vorwerfe, daß es fett werde, oder einer Sau die Leier lehren wolle. Zum Pestmann will ich gehen, der ist noch der rechte Mann; – und hat er kein Blut in den Wangen, so hat er auch keine Furcht im Leibe, und wär's gleich eine Sünde, so rufe ich doch laut: Gott segne ihn!«

Quelle:
Wilhelm Heinrich Riehl: Geschichten und Novellen. 7 Bände, Band 1, Stuttgart 1899, S. 183-190.
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