Erster Auffzug.

[242] Hie tritt auff ein wilder Mann / gantz rauch bekleidet und grimmiges Ansehens / treibet für ihm her in einer grossen Ketten zusammen geschlossene drey Personen / deren die erste wie ein Geistlicher /die andre wie ein fürnehmer Weltmann / die dritte /wie ein Bürger oder Ackersmann bekleidet daher gehet / mit gar traurigen und wehmütigen Geberden.

Der Wilde Mann / Namens Wühterich / ruffet ihnen zu mit nachfolgenden harten Dräuworten.


WÜHTERICH. Jmmer fort / immer fort ihr Hunde / wisset ihr denn nicht / daß ihr noch einen zimlichen Weg für euch habet / muß ich denn ohn unterlaß auff euch zuschlagen Er peitschet sie umb die Lenden. und euch mit der Peitschen die is Faulheit vertreiben / fort / fort sage ich / ihr nichtswürdige Creaturen.

GEISTLICHER. Ach Wühterich / wie magst du doch so grausamlich mit uns umbgehen / wie lange wirst du uns noch so jämmerlich herum schleppen / gedenckest du denn nicht einmal / daß wir Menschen theils auch hohen unnd fürnehmen Standes Leute sind?

WÜHTERICH. Was herum schleppen? Was Menschen? Was fürnehmen Standes seyn? Mich wundert / daß ihr euch noch mit dem geringsten Worte über mich möget beklagen. Jhr wisset ja / daß ihr diese und noch viel grössere Straffen schon längst habt verdienet / was dörffet ihr dann noch viel murren? O daß ich nur die Macht hätte / ich wolte euch auff Stücken zerreissen![242]

WELTLICHER. O der viehischen Unbarmhertzigkeit! O der erschröcklichen Tyranney! Jst es nicht gnug Wühterich / daß du deine unaußsprechliche Grausamkeit nun fast dreissig gantzer Jahre an uns Unglückseligen hast erwiesen / und mit einer solchen Hefftigkeit auff uns arme Teutsche zugeschlagen / daß wir auch nunmehr fast keinen Schritt können weiter setzen? Ach wie weit gedenckestu uns denn noch in diesen Ketten unnd Banden zu treiben? Wann wird man uns einmal frey / loß und ledig lassen?

WÜHTERICH. Ja wol frey lassen! machet euch nur keine Gedancken von der Freyheit. Jhr könnet ja nicht ehe frey werden / biß ich euch / meinem empfangenen Befehl zu folge / in den Abgrund deß Verderbens gestürtzet / und das Garauß mit euch habe gespielet.

BÜRGER. O wehe / wehe uns! wenn es noch ein solches klägliches Ende mit uns nehmen würde! Solte das der Außgang seyn unsers dreissigjährigen Elendes? das wollen wir ja nimmermehr hoffen.

WÜHTERICH. Jhr möget hoffen oder nicht / so bleibet es doch dabey / daß ich meines gebietenden Herrn / deß Großmächtigsten und unüberwindlichen Kriegshelden Mars ernstlichen Befehl exequiren, und euch so lange muß herumb treiben / biß ihr gantz und gar abgemattet / auff das äusserste verderbet / vernichtet / ja dem Koth auff der Gassen gleich seyd gemacht / verstehet ihr diese teutsche Sprache wol?

GEISTLICHER. O Wühterich / Wühterich / wie bist du doch deinem Herrn / dem Mars / in Verübung aller unmenschlichen[243] Thaten so gar ähnlich? Gedenckest du denn nicht / daß der gerechte Gott dich deßwegen dermaleins hart wieder straffen werde?

WÜHTERICH. Daß mein Herr / der tapffere Mars / eure alls gemeine Mutter / das Gottlose Teutschland / und ich / als ein getreuer Diener meines Herren / euch deroselben gantz gleiche / sehr ungerahtene Kinder nun viele Jahre hero gar härtiglich gestraffet / auch noch ferner straffen und plagen werden / das wissen wir beyderseits / daß aber auch ein GOtt seyn solte / der ihn und mich hinwieder straffen würde / dasselbige glauben wir nicht / und woher wolt doch die Gewalt kommen / die mich und meinen Herrn könte stürtzen / unnd euch verfluchte Leute auß unser Hand erretten? Wir haben uns für keiner irrdischen noch himmlischen Gewalt zu fürchten.

WELTLICHER. O Wühterich / du redest erschröckliche / ja Gotteslästerliche Worte! Wir müssen dennoch in unserm Elende / als geborne Teutsche / frey sprechen / dieweil wir ja ohne das unauffhörlich geschlagen und geplaget werden / darum höre doch unsere Worte: Wenn gleich du und dein tyrannischer Mars sich für keinen Menschen scheuet / so sollet und müsset ihr doch gleichwol euch für dem fürchten / der im Himmel sitzet / und die Macht und Gewalt hat Leib unnd Seele zugleich in die Hölle zustürtzen.

WÜHTERICH schlägt mit der Geissel auff sie zu. Wer hat euch Hunden das Hertz gegeben / mir zu wiederbellen? was Himmel? was Hölle? wir glauben von dem einen so viel / als von dem andern / das wissen wir aber wol / daß wir Teutschland mit ihren Kindern rechtschaffen müssen martern und plagen / und da will ich meines theils nicht auffhören / so lange ich noch eine Hand kan rühren.[244]

BÜRGER. Ach Wühterich / Wühterich / hast du denn so grosse Lust uns alle Tage / ja schier alle Stunden so grausamlich zu ängstigen / so unmenschlich zuschlagen / unnd so grimmiglich zu quälen?

WÜHTERICH. Fraget ihr Bösewichter noch / ob ich Lust darzu habe? Ja freylich ist es meine höchste Lust / wenn ich über euch hartnäckische boßhafte Teutsche meinen Grimm überflüssig mag außschütten / ja biß auff den Tod euch martern und plagen / und fürwar / wenn mein Herr / der unüberwindliche Mars / es mir nur wolte vergönnen / ich wolte euch viel übeler zurichten / als der ärgste Henckersbube unter der Sonnen thun solte. Seyd versichert / ich wolte euch die Haut abschinden / und mir dieselbe bey Stücken auff der Roster lassen braten / eure Hertzen / Lungen und Lebern wolte ich klein hacken / und mir damit meine Torten lassen anfüllen / euer Fleisch solte von mir gekochet / und eure Adern an statt eines Zugemüses dabey aufgetragen / und also mit Lust von mir verzehret werden. Eure Häupter wolte ich in Pasteten setzen / und dieselbe mit eurem eigenen Blute und Gehirn lassen zurichten / auß euren Knochen wolte ich selber das Marck saugen / euer verfluchtes Jnngeweide aber und Gedärmer / meinen Hunden zu fressen geben / und dieses solte mir das lustigste Bancket seyn vor allen / welche ich die gantze Zeit meines Lebens habe gehalten.

GEISTLICHER. O deß grausamen Bancketes! O der nie erhörten Wüterey! Ja Wüterich / ist das dein Wunsch? Begehrest du noch grimmiger mit uns umzugehen / als du bißhero gethan hast? Woltest du dergestalt die redliche Teutsche tractiren? Das mag ja den höchsten Gott in seinem Himmelreich erbarmen! Sie heulen alle drey.[245]

WÜHTERICH. Was soll das weibische Klagen und Heulen bedeuten? Du Pfaffe / du Kavalier / du Haußwirth / ich schwere euch bey dem Bluttrieffenden Schwert meines unüberwindlichsten Gebieters und Kriegshelden deß Mars / daferne ihr nicht ablasset / diese rechtmässige Straffen und Plagen / mit welchen ihr werdet angesehen / zu beweinen / daß ich dieselben dieses Augenblick will verdoppeln / ja euch zehenmahl härter peitschen / denn ich wil kurtzum / daß ihr mir gehorchet in allen dem jenigen / was ich euch / krafft meiner inhabenden Gewalt / anbefehle.

WELTLICHER. Ach Wüterich / was sollen wir denn endlich thun? Was begehrest du doch ferner von uns? Wir sind ja arme / elende / gefangene und gebundene Leute / ich meine / wir haben ja bißhero alles / alles thun / und nach deiner Pfeiffe oder vielmehr Peitsche redlich tantzen müssen.

WÜHTERICH. Wie denn ihr Hunde / fragt ihr noch / was ihr thun sollet? Jch befehle euch ernstlich hiermit / daß ihr mir unverzüglich ein Lied singet / machet euch bereit / oder meine Peitsche wird sich tapffer lassen gebrauchen.

GEISTLICHER. O wehe uns armseligen elenden Leuten / wie können wir doch in unserm unaufhörlichen Jammer frölich seyn / und in unserm heulen singen? O Wühterich / wer könte nun singen?

WÜHTERICH schlägt abermal mit der Geissel auff sie zu / und spricht. Jhr halstarrige muthwillige Buben / woltet ihr euch unterstehen / meinen Befehl zu verachten? da müste euch ja angst und bang für werden / geschwinde lasset mich ein Lied hören / oder ich will euch mit Füssen auff die Hälse treten / geschwinde machet fort.[246]

ALLE DREY. Ach / schone doch / Wühterich / schone doch / wir wissen ja nicht / was für ein Lied wir sollen singen / ach sey doch gnädig!

WÜHTERICH. Singet / ihr verfluchten Hunde / singet / das erste Lied / das euch nur vorkomt / das beste / es gilt mir alles gleich / ihr höret ja wol / daß ich meine Lust daran haben will / daß ihr mir unter der Peitsche auch zu Zeiten einst singet / bey frölichem Muhte ist es keine Kunst / ein Lied hören zu lassen.


Hie fahen sie alle drey / oder auch wol nur einer an / folgendes Lied fein beweglich und mit deutlichen Worten zu singen.


Klag-Lied.

Der gefangenen und vielfältig geplagten drey Hauptstände in Teutschland.
[247]

1.

Hjmmel / laß doch unser Klagen

Steigen auff in dein Gezelt /

Und vernim die schwere Plagen /

Welche Mars uns hat bestelt /

Wühterich führt uns gefangen /

Wühterich der wilde Mann /

Friede / Friede / komm' heran /

Und erfüll' uns diß Verlangen!


2.

Müssen denn die Gotteshäuser

Samt den Schulen ledig stehn?

Muß ein Priester / muß ein Greiser

Für den Thüren bettlen gehn?

Muß der wilde Mars denn prangen

Mit der Kirchen Haab und Schatz?

Komm / O Fried / einst auff den Platz

Und erfüll uns diß Verlangen!


3.

Ach wie werden unsre Fürsten

Durch den Krieg herunter bracht!

Solt' uns nicht nach Friede dürsten

Weil der Krieg uns arm gemacht?

Krieger gleichen sich den Schlangen /

Welcher stechen tödlich ist /

Komm' O Fried / in schneller frist

Und erfüll' uns das Verlangen!


4.

Aller Handel ist zu Lande

Auch zur See schier abgethan /

Triegen / Lügen / Spott und Schande

Herschen itzt auf unserm Plan /

Gut und Nahrung ist vergangen /[249]

Alles raubt man mit Gewalt /

Friede / Friede komm' itzt bald

Und erfüll' uns das Verlangen!


5.

Laß denn / Himmel / unsre Klagen

Steigen auff in dein Gezelt /

Und vernimm die schwere Plagen /

Welche Mars uns hat bestelt /

Steure dem / der uns gefangen /

Der die teutsche Stände plagt /

Komm' O Friede / schönste Magd /

Und erfüll' uns das Verlangen.


Quelle:
Johann Rist: Sämtliche Werke. Berlin und New York 1972, S. 242-250.
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