Das VII. capitel.

Doctor Sperlings rat.


"Fleißig betracht auch diese ding

In seinem rat Doctor Sperling,

Sprach: Mein mutter hat ihre nest

Zubereitet weich, warm und fest

An eim kirchfenster in der stat,

Da ein schwalb gebauet hat

Und ehemals davon war gestorben,

Vielleicht in dem wasser verdorben,

Wenn sie den winter für tot lag

Bis auf des frülings warme tag.

Darin hat sie fünf kinder leben,

Must einen fürs mietlon hingeben,

Das unser überblieben vier,

Und drei wollen ausfliegen schier,[260]

On das unser eltern erbarmt,

Das mich niemand ernert, erwarmt,

Wenn sie ihnen allein nachhiengen,

Von mir als dem jüngsten abgiengen.

Weil meine flügel noch kurz waren,

Nicht konten auf den winden faren.

Als aber beid vater und mutter

Abwesend suchten unser futter,

Rauschet daher plötzlich und laut

Eine erschrecklich starke windbraut,

Als wenn viel wagn und pferde liefen

Und die menschen und hunde riefen,

Das die glocken in türmen klüngen

Und die ziegel von techern sprüngen,

Und das fenster, da unser nest

An vermauret aufs allerbest.

Mit glas und blei, eisen und stein

Abriß und sturz zur kirchen ein,

Und wir im fall und windetoben

Erschrockn verflogen und verstoben,

Das keiner den andern vernam,

Auch zu seinen eltern nicht kam. –

Bis endlich auf ein warmen tag.

Als der gersten im schwade lag,

Uns got bracht alle vier zusamen,

Da unser eltern zu uns kamen,

Uns mit schrecken erkanten, grüßten,

Für freuden weintn, uns herzten und küsten.

Der vater sprach insonderheit:

Vergessen ist nun all mein leid,

Nun ich meine liebe kinder sind,

Nun wir gesund beisamen sind,

Das ich euch gtreulich warn und ler,

Womit ander euch sein gefer,

Womit man euerm leben stellt,

Ehe denn ihr reiset in die welt.[261]

So klein und zart kein vöglein war,

Es must auswarten groß gefar.

Got habe dank, verleih ferner gnade.

Das uns darauf zukom kein schade! –

Mein eltster son, wie ist dirs gangen,

Das du nicht irgends bist gefangen? –

Mein vatr, als unser nest zubrach,

Fürt mich der wind weit übers tach

Hin in das wilde wüste feld.

Da saß ich als ein armer held

Beim farweg auf einer dornhecken,

Darin ich mich pflag zu verstecken,

Rief: hilf, got hilf! Da war niemand,

Wedr lerch noch stelz, die mich erkant,

Das ich in der kindheit verdorben

Und vielleicht wer hunger gestorben,

Wenns nicht got hett also geschickt,

Das ein baur seinen sack geflickt

Und etlich korn daraus verzettelt,

Das ich am weg zusamen bettelt,

Und dabei erst lernte verstehen:

Wo viel leut auf- und niedergehen,

Sich ein ander auch wol ernert,

Der arbeitet und sparsam zert. –

Der vater sprach: Du sagest recht,

Erbeit und sparn macht reiche knecht;

Der aber müssig geht am wege,

Bedenkt auch mancherlei anschlege.

Darum, sihestu ein jung mantier

Etwa die hand strecken herfür,

Die erd greisen, die zene beißen,

So fleug, es pflegt grimmig zu schmeißen.

Desgleichen solt du haben acht

Wo es im feld ein heuslein macht,

Gras und stoppeln dabei abkratz,

Aufs neu beseet den bloßen platz,

So trau ihm nicht, sein schleuf es setzt,

Gibt dir für brot den tod zuletzt. –[262]

Der son antwort: Wie ists gewandt,

Wenn es den stein hat in der hand

Oder zeucht ihn aus seiner tasch?

Da muß man fliegen frisch und rasch,

Als ich teglich mit leibsgefar

Bei der bergburs und hirten erfar.

Odr wenn sichs hinter den busch legt

Und mit den schleufn seins stellwerks pflegt?

Ich hab auf solch verreterwerk

Verlangst mein sonderlich gemerk;

Spür ich an einem dicken strauch,

Das sich herauswindet der rauch,

Als wenn ein feur darunter wer,

So trau ich dem geleit nicht mer,

Es liegt ein hund drunter begraben.

Solchn dunst pflegt das mantier zu haben,

Wenn es nur seinen mund auftut,

Damits uns frißt, wirds ihm so gut. –

Der vater sagt: Du listigr laur,

Weist das, so ist dirs worden saur.

Got lob, das du fürsichtig bist:

Die welt ist gar voll böser list. –

Darnach sprach er den andern an:

Was sagstu denn, mein lieber man,

Wie bist du für dem wind genesen?

Wo bist du bis daher gewesen? –

Er antwortet: Ich fiel ins haus,

Da fremde gest ziehen ein und aus,

Herrn und frauen, jungherrn und reuter,

Furleut, kerner, landsknecht, freibeuter,

Sahe zu, wie sie den habern schwungen,

Was die gluck aß mit ihren jungen,

Und fand daselbst auch meine speis;

Gedaucht mich eine gute weis. –

Der vater sprach: Die speis ist frei,

Aber viel große gfar dabei.[263]

Denn großen herrn und schönen frauen

Soll man gern dienen, wenig trauen,

Viel weniger ihrem gesind,

Was reuterburs und furleut sind.

Die furleut wolln die peitschen schwingen.

Die reuter mit dem reuting klingen,

Die jungen die strogabeln schmeißen,

Sperber und blaufuß vogel beißen.

Siehe dich wol für, mein lieber son,

Das nicht der eins dir übel lon! –

Der son antwort: Es ist also,

Für gfar bin ich wedr sichr noch fro;

Doch tun mir die gar wenig schaden,

Darauf der vater hat geraten.

Die burs aber macht haberzapfen,

Das sie den, der drauf sitzt, erschnappen,

Wie mir ein goldammer geklagt,

Das man sein gschlecht im schne so plagt.

Dazu haben sie ein stück holz,

Darauf liegt ein hol eisen bolz;

Wann sie das setzen an den mund,

Ehe denn man sich umsehen kunt,

So blitzt es mit eim donnerschlag,

Und wer getroffen ward, der lag.

Die aber verwundt davon flogen,

Aus der wund klein bleikörnlein zogen:

Darum ich mich auf die flucht schick,

Sobald ich das blank holz erblick. –

Der vater sagt: O lieber son,

Du bist großer gefar gewon.

Für ungnad großer herrn und frauen,

Für der hofjunkern trotz und drauen,

Für stallbuben und reutersknaben,

Die raub und mord gewonet haben,

Kann niemand gnugsam hüten sich;

Sihe für dich, treu ist ser mißlich! –[264]

Zum dritten sagt er: Liebes kind,

Wo bliebst du denn in dem sturmwind? –

Er antwortet: Hin auf die pfarr

Ich ungefer geworfen war,

In desselben schönen lustgarten;

Da wolt ich meines heils erwarten

Und lernt zuerst den pfarrer kennen,

Hört ihn herr Cyriacas nennen,

Gedacht, er wer ein gottesman,

Würde sich meiner auch nemen an;

Aber ob er gleich in garten kam,

Meiner er sich doch nichts annam,

Sondern schlich in gedanken schwer

Einen steig hin, den andern her.

Denn wer eim andern geben soll,

Wird traurig und hört nicht wol;

Umsonst ich Cyriacs, Cyriacs! rief,

Bis eine raup zu mir anlief,

Die aß ich in der hungersnot,

Und weil ich davon nicht blieb tot,

Wie ich mich denn erstlich besorgt,

Weil ihr har im hals brant und würgt,

Sucht ich derselben mer zusamen,

Grün, rot, fal, bunt, wie sie ankamen,

Bis das die erbsen auch reif würden,

Da nam ich den schoten ihr bürden,

Aß maulbern und rot kirslein zu,

So nert ich mich in guter ru. –

Der vater sprach: Mein liebes kind,

Dich hat ser wol gefüret der wind,

Du bist großer gefar entgangen,

Hüt dich nur für die grünen stangen,

So oben ein schwarz löchlein haben,

Damit sich tragen junge knaben,

Für die meiskasten und pechruten,

Wer den zu teil wird, der muß bluten! –

Der son antwort: Wie were das,[265]

Wenn die stang auch geschmerzt was

Und aufs loch angeklebt ein blat?

Fürs kestlein man dratgitter hat,

Das pech man an die zweiglein schmiert,

Wer sich nicht fürsihet, wird verfürt. –

Der vater sagt: Du bist geschwind,

Des pfarrers sön vorwitzig sind,

Habn nicht gleich gute lust zur ler,

Bein büchern sitzen wird ihn schwer,

Gehn lieber vogelstellen und fischen.

Sihe zu, daß sie dich nicht erwischen!

Die wölf pflegn auch die hund zu fressen,

Die sich großer klugheit vermessen;

Der listigen füchs belg auch kamen

Noch zuletzt in der beiß zusamen. –

Endlich mein vater mich ansahe,

Wie ich der muttr in armen lage,

Wie sie mich in den federn mauset,

Aus mutterlicher lieb mich lauset.

Wo findt man kinder, die verstehen,

Wie sie der mutter zu herzen gehen!

Und sprach: Was sagt mein jüngster schatz,

Wo helt er seine weid und hatz?

Du warst der schwechest alle zeit,

Kamst weg in der blöden kindheit,

Magst wol bei deiner mutter bleiben,

Ihre große fürsorg vertreiben. –

Ich sprach: Ihr wißt, das in dem wind

Ich war das allerkleinste kind,

Darum kont ich mich nicht erheben

Und in die lust aufs fliegen geben,

Stürzt also in die kirch hinunter

(Das ich nicht tot fiel, hat mich wunder)

Und blieb besitzen in dem schrecken

Unversehens auf der kanzeldecken.

Am morgen als der tag herkam,

Der pfarrer sein sermon vornam,[266]

Dafür ich so heftig erschrak,

Das ich bestürzt für tot da lag,

Bis das ich von dem pfarrer hort

Diese schöne tröstliche wort,

Das Jesus Christus, gottes son,

Wer kommen aus des himmels tron

Und hett seinen jüngern gesagt,

Als sie gewesen gar verzagt,

Solten nicht so kleingleubig sein,

Ihr sorg got befelen allein,

Der alle creatur erhielt,

Viel mer den menschen, sein ebenbild.

Denn ob man gleich acht ser gering

Auf den haustechern die sperling,

Solt ihr doch keiner herab fallen,

Es wer denn gottes wolgefallen.

Ja den raben müst got auch geben

Davon sie erhielten ihr leben.

Er speist aus seiner milden hand

Was lebt in der luft, wasser und land.

Die wort mich wider zurechtbrachten

Und von neuen lebendig machten;

Gedacht: was hast du nun für not?

Wenn dich schützt der almechtig got,

Solt du zu seinen eren leben,

Er wird dir speis und herberg geben;

Sagt er aber: du gfellst mir nicht,

So macht er seins gefallens schicht.

Was got macht, das war alles gut,

Got seim geschepf nicht böses tut.

Gots gnedign willn will ich mich geben,

Für dem himmel und erden beben.

Die wort hat ich kaum ausgesprochen,

So kömt ein große spinn gekrochen,

Die aß ich und sucht ihrer mer,

Damit die kirch on kanker wer.

Kein flieg must auch ihr gschmeiß ankleben,

Der unfletr ließ ich keinen leben.[267]

Das gift macht mir auch sonst kein leid,

On etlich federn weiß als kreid;

Dabei mich denn die kinder kennen,

Ihren bunten kirchsperling nennen. –

Der vater sprach: Du lieber son,

Dein beruf, erbeit und dein lon

Ist für allen andern das best.

Got die seinen nimmer verleßt,

Hat dich aus deinen brüdern erwelt,

Für ein kirchendiener bestellt,

Dir ler und brot dabei gegeben,

Das du fürst ein geruigs leben.

Im gotteshaus zu aller frist

Ein stund bessr denn sonst tausend ist.

Ich wolt da lieber pförtner sein.

Denn fürst bei gotloser gemein.

Wills gleich nicht gehn zu aller zeit

Wie du wilt nach deiner torheit,

Und ist nicht alles eitel prassen,

Must dich am gringen gnügen lassen.

Dringt auch das groß eulengeschlecht

Sich in die kirch widr er und recht,

Der uhu oder sein gesandten

Alte diener helt für bachanten,

Dich hasset, verfolget, ermordt,

So halt dich fest an gottes wort,

Gedenk, du dienst dem grösten herrn,

Der endlich lont mit gut und ern,

Bei dem endlich den himmel erben

Die in seim dienst bleiben und sterben.

Derselb mit gnaden bei euch stehe,

Das ihr lang lebt, das euchs wolgehe! –

Dies waren meines vatern red,

Die er zu seinen kindern tet.

Wenn ich nun auch hie raten wolt,

Das jeder got vertrauen solt,

Seins berufs wartn, nemen in acht

Womit das mantier ihm nachtracht,[268]

Sich nicht on not und offenbar

Unvorsichtig stürzn in gefar

Und folgen wollet meinem rat,

Es solt mer frommen tun denn schad.

Mir hat es gut und er gebracht

Und endlich zum doctor gemacht. –"
[269]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 260-270.
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