Das I. capitel.

[61] Bröseldieb klaget über meusfallen.


Darauf antwortet Bröseldieb:

"Was von mir fordert euer lieb,

Tu ich alles one beschwern,

Wil nach der leng erzelen gern

Und dem könig frei offenbaren,

Was ich von den sachen erfaren

Oder von meinen eltern hort,

Und gleub auch billig ihren wort.

Daraus wird euer lieb verstehen,

Wie unser feinde uns nachgehen,

Wie mantier, katzen, wiesel, falk,

Das ihn der teufel walk den balg!

Und wie got so reichlich sein gnad

An uns meusen bewiesen hat,

Das unsr dennoch unzelig leben,

Den preis sol man got billig geben:

Wie auch mer schaf sein denn der wülf,

Würgt man sie gleich teglich on hülf,

Hat gleich das schaf nur eins im jar,

Der wolf auf einmal etlich par,

Und selten ein wolf wird gefangen,

Er muß die scheflein lassen prangen.[61]

Was got nicht helt, das geht zu grund,

Wenns gleich auf eisern mauren stünd;

Was aber got auch wil erneren,

Das kan je kein unfal verzeren.

Wenn davon mein wort lenger weren,

Dann sichs wol gebüret zun eren,

Euer lieb mirs zu gut halten wolt,

Ich schweig jederzeit, wo ich solt.

Ich muß aber für andern allen

Den anfang machen von den fallen,

Welche teglich auf neue weis

Gemacht werden mit großem fleiß

Von den rachgierigen mantieren,

Die aufs greulichst tyrannisieren;

Denn der fallen sind mancherlei,

Des gifts so vielfaltig dabei,

Das der allerweiseste man

Sich davor nicht wol hüten kan,

Wie euer lieb zuvor gemeldt,

Das Ulysses der maus erzelt.

Da steht ein schönes heuselein,

Mit türn und fenstern gzieret fein,

Als wers des priesters losament,

Der speckbraten am balken hengt;

Sobald man abr hinein wil gehen,

Sich nur ein wenig da besehen,

Schmecken ob dem koch auch der braten

Ganz allerding sei wol geraten,

Das er kein mangel hab am schmalz

Oder etwa zu wenig salz,

Obs aller gar sei oder roh:

Da wird man der kurzweil nicht froh,

Da platzen zu fenster und tür,

Des mantiers kinder springen herfür,

Rufen: Wir habn den feind gefangen!

Wollen wir ihn brennen oder hangen? –

O got, wie sind gefangen arm,

Da ist niemand, der sich erbarm![62]

Drum wir weder fenster noch tür

An unsern heusern machen für,

Das aus- und eingang offen stehe

Und uns solch unfal nicht geschehe.

Groß weisheit ist, schaden verwaren,

Das er eim nicht mög widerfaren;

Groß torheit ist, die feust verbrennen

Und das feur nicht meiden, nicht kennen.

So doch der fischr hendschuh antate,

Als ihn der krebs geknippen hatte. –

Desgleichen macht der mensch ein brück

Und hengt jenseits von speis ein stück,

Die man vermeint gar fest zu stehn,

Und wil zur speis hinüber gehn:

So sinkt die brück verreterlich,

Stürzet das meuslein unter sich

Ins wasser oder narrenkasten,

Muß den braten ser teur ausfasten.

Ueber das nimt der mensch ein bret

Oder ein breiten stein zur stet,

Spert den auf mit eim kreuzelein,

Als wers ein schön betkleuselein;

Wenn denn die maus nach dem gebet

Dem gekreuzigten speck zugeht,

Ergreift in andacht den querstecken,

Wil mit eim kuß die wunden lecken,

So schlegt das kreuz und klaus hernider,

Niemand kam von dem gbet herwider. –

Wenn dadurch gewitzigt die maus

Nicht mer nein wil in das mordhaus,

So setzt man ein schön zuckermel,

Das einem schmeckt durch leib und sel,

Oder ein feisten Sachsenspeck

Und was sonst ist der meuse schleck,

Bis mans gewont, so mengt man drein

Ein rötlichs tödtlichs pülverlein,

Als wenns roter streuzucker wer,

Genant arsenic realger,[63]

Oder venedisch scheibenglas,

Das zuvor klein zerstoßen was.

Es braucht auch dazu mancher schalk

Ungeleschten gemalen kalk,

Odr klein zerschnitten baderschwem,

In speck gebraten, gar bequem

Auf einem tischlein ausgebreit,

Zur herrenmalzeit wol bereit;

Und setzt zu trinken gnug dabei,

Das man desto frölicher sei:

Der teufel dank ihn der woltat,

Die nichts denn gift in töpfen hat;

Denn kalk vom wasser muß anbrennen,

Die schwem aber davon aufschwemmen

Und unser herz im leib ersticken.

Das heist die gest frölich erquicken,

Das auch die ratzen davon sterben,

Der könig und sein volk verderben.

Es pflegt abr sonst also zu gehen,

Das naschmaul muß gefar ausstehen."
[64]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 61-65.
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