Das XX. capitel.

[156] Reinik hört des haselwurmes antwort auf des bauren bericht.


"Ich sahe einen und andern an

Und antwortet zuletzt dem man:

Ungern ich mich des unterfieng,

Was mich und mein stand nicht angieng;

Weil aber groß gefar darauf stehet,

Beiderseits leib, er, gut angehet,

So muß ich hören beide part,

Darnach bleibt das recht ungespart.

Denn wenn ehemals einer den andern

Verklagt beim großen Alexandern,

So hielt er das eine or zu,

Und wenn man fragt, warum ers tu,

So antwort er: damit das or

Auch des beklagten antwort hor.

So bewar ichs ihm unbetört,

Jedes part wird billig gehört.

Darum sol die schlang zuvor sagen,

Ob sie nichts hab wider dein klagen;

Darnach ichs recht und urteil find,

Entscheid die parteien geschwind.

Der haselwurm mich scharf ansahe

Und sprach: Ich sag auf diese klage,

Das ich dem kleger, diesem man,

Hab einen teuren eid getan,

Wenn er mir würd retten mein leben,

Den höchsten lon wolt ich ihm geben,

Damit die welt alle woltat

Ihren freunden bezalet hat.

Das aber klegern nicht gefelt,

Das undank sei der lon der welt,

Und wenns gleich wer, so seis unrecht,

Das man so lon eim frommen knecht,

Das laß ich ihm gar nicht gut sein[156]

Und bleib bei dieser red allein,

Es sei gleich krum, schlecht oder recht,

Die welt lon also ihrem knecht.

Darum ich denn sein mörder bin.

Und hab zwei urteil wider ihn,

Das drit wil ich damit erhalten,

Das heut am loch saßen zween alten,

Wolten hin zur baurhochzeit hinken,

Daselbst betteln, essen und trinken. –

Der eine klagt, wie er viel jar

Seines junkern reuterknecht war,

Ihn beleitet, bewacht, bewart,

Sein treu, fleiß und mühe nie gespart,

Ja die besoldung, raub und gut,

So er warb mit seim schweiß und blut,

Behielt der junkher für das sein,

Er dürft nicht sagen: das ist mein.

Dafür tat er mir diese er,

Sprach er, das ich sein pförtner wer.

Wie aber kam ein starker man,

Der erbeit kont mit greifen an,

Da must der alte reuter wandern,

Sein psörtenamt lassen dem andern,

Gaben ihm hinfort nicht ein bon,

Sagten: nimmer dienst, nimmer lon.

Es bleibt auch dis zu hof ein recht,

Das nun erfar ich armer knecht:

Wer ind stub scheist, und wers auskert,

Sein beid eins lons und eren wert. –

Der ander klagt, zu seiner zeit

Hett keiner gwust besser bescheid,

Ein festung und schloß aufzubauen,

Künstlich werkstück und bild zu hauen;

Kein stein wer an des fürsten sal,

Er het sie bereit alzumal,

Darum man auch sein bild könt sehen

Unten am schönsten erker stehen.[157]

Dafür wer ihm endlich vergönt,

Das er am schloßtor betteln könt

Und da andern bettlern erzel:

Für dank sei undank sein gesell.

Es wer zwar oft schriftlich geklagt,

Man hett ihm auch gnad zugesagt,

Wenn er abr bei alten hofleuten,

Die sein verdienst wüsten vor zeiten,

Anhielt, sie wolten sein gedenken,

Der fürst auch lonen oder schenken,

Das ihn der hunger nicht ermord,

Bekam er alzeit zur antwort:

Er hett einen gnedigen herren,

Solt nur erwarten seiner eren,

Die gnad zu hof wer krank und lam,

Darum werts lang, ehe sie ankam.

Die ungnad wer gesund, stark, frisch,

Darum lief sie und sprünge risch,

Das wenig ihr mochten entlaufen.

Abr da könt er kein brot für kaufen. –

Zu diesem noch der dritte kam,

Den nanten sie herr Abraham,

Der tröst sich und die andern beid,

Die welt geb solche dankbarkeit,

Wie alle wolverdiente heiden,

Auch die heilign hetten bescheiden.

Denn nicht allein der Socrates,

Aristides, Alcibiades,

Fabricius und Scipio,

Kaiser Julius und Cicero,

Sondern auch die heiligen propheten,

Die got und engel bei sich hetten,

Die welt das best taten und lerten,

Auch vom teufel zu got bekerten,

Kriegn nichts zu lon, denn hon und spot,

Gefengniß und schmelichen tod.

Drum, wer nicht undank leiden kan,

Sei der welt ein unnützer man,[158]

Dienet zu keinem amt und eren,

Darin man raten sol und leren,

Darin man erbeit, gut und leben

Für ander leut wolfart sol geben.

Er selbst wer gewesen ein pfarr

Nun über seine fünfzig jar,

Hett fast getauft all, die noch leben,

Ihn sacrament und weiber geben,

Sie geleret, getröst, vermant,

Allen getreuen fleiß angewandt,

Das sie einig und christlich lebten

Und alzeit nach dem himmel strebten;

Ja in sterbensnöten und pesten

Und viel abscheulichen gebresten,

Wenn die eltern ihr kinder ließen,

Die menner ihr weiber verstießen,

War ich, sagt er, getreu allein,

Tag und nacht must ich bei ihn sein,

Sie erzten, trösten und beklagen,

Oft selbst zu grab singen und tragen,

Auch weib und kind dabei zu setzen.

Nun muß ich mich so mit ihn letzen,

Das ein junger verwegner gast

An meiner stat sitzet in rast,

Ich muß für kirch, haus, brot und lon

Fürüber gehn mit spot und hon,

Darum, das meine hende beben

Und ich den kelch nimmer kan geben.

Wer dient, bis das er wird unwert,

Dem ist undank zum lon beschert;

Abr got ist seiner diener lon,

Der bezal uns im himmelstron.

Dies dritt urteil stöst auf einmal

Des mans einred um alzumal. –

Das viert ich an mir selbst erfar,

Denn weil ich so leutselig war,

Dem wandersman kroch aus dem weg,[159]

Das er sicher gieng seine steg

Und von mir nicht würde verletzt,

So ward ich in dem loch versetzt.

Hett ich ihn aber tot gebissen,

So würd ich sein friedlich genießen.

Darum hof ich, euer weisheit,

Die gerümet wird weit und breit,

Wird nun das urteil also fellen,

Das ich töten mag den gesellen.

Denn das er sagt von alten sachen,

Von den wilden leuen und drachen,

Stell ich alles an seinen ort,

Man leugt oft um das ander wort.

Denn eine schwalb macht keinen sommer,

Ein betler im land keinen kommer.

Ich beruf mich aufs gmeine recht,

Das in der welt trift herrn und knecht,

Das werdet ihr auch selbst nicht brechen

Und darnach euer urteil sprechen.

So hab ich desfalls all gewalt

Auch zu euren machtspruch gestallt."
[160]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 156-161.
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