Das XXIII. capitel.

Murners eine kunst ist besser denn Reinken sack vol.


"Murnern das herz im leibe kracht,

Das er so schimpflich ward veracht,

Und gieng den ganzen weg und murrt[168]

Wie ein kordubans koller kurrt,

Wolt auch darauf sein antwort tun,

So find Reinik ein weißes hun

Dort weiden an dem meierhof,

Sagt: Nun, gevattr, duckt euren kopf,

Schleifet den schwanz hernach zur erden,

Die jagd will noch am besten werden.

Dort am zaun steht ein hünerbraten,

Ich hoff, der griff sol mir geraten;

Wenns aber felt, so komt zu hülf,

Beist ihm den kopf, das es nicht gilf!

So schlichen sie gar leis hinan,

Reinik zum erstn am nechsten kam,

Wagt nach dem weißen hünlein jung

Einen ser weiten jegersprung,

Das Murner sehe ein meisterstuck;

Er wolts holen im freien ruck,

Ergriff doch nichts, denn nur den schwanz,

Den ließ das hun den zenen ganz,

Riß sich los, hielt ein groß geschrei,

Das Stallwechter sich macht herbei

Mit einem seiner bursgesellen,

Kenten die jeger an den fellen

Und stutzten tapfer zu ihn fort.

Die jeger suchten sicher ort

Und liefen schnell hinan den wald,

Aber die hund folgten zu bald,

Umringten sie bei einem baum.

Murnern gedaucht zu eng der raum,

Die hund auch viel zu frech angehen,

Denn das sie solten den kampf bestehen,

Und fur in eil den baum hinan;

Das war die kunst, die er nur kan. –

Reinik blieb da allein im platz,

Verflucht die ungetreue katz,

Das sie ihn verließ in der not,[169]

Da nichts wer denn der bitter tod,

Wert sich doch so best als er kunt,

Ergriff den einen bei dem mund,

Den andern er mit seich und schwanz

Fast die augen verblendet ganz;

Abr wie Hercules selbst nicht wolt,

Das er mit ihr zween fechten solt,

So warn ihm auch ihr zween zu viel,

Griffen zu mutig in das spiel.

Wie auf den hasen fellt der geier,

Wie zween fallen beizen ein reiger,

Da einer stost von oben nider,

Der ander fast ihn unten wider

Und reißt den feind eins überquer,

Das die federn stieben umher;

Der reiger feilt ihrer auch nicht,

Scheust ihnen sein mist ins gesicht:

So spielten die hund mit dem jeger,

Es war im lauf oder im leger.

Da war kein fried, da war kein ru,

Sie rissen, stießen, bissen zu,

Einer zwackt hie, der ander dort.

Murner gedacht voriger wort

Und rief vom baum zu ihm herunter:

Gevatter, ist das nicht groß wunder,

Das ihr vergesset euren sack,

Keine kunst nemet aus dem pack?

Braucht doch nur eine von den tausend

Wider der hund mördliches zausent!

Es fleugt eur har überal,

Sie werden euch rupfen gar kal! –

Reiniken ward die nas abgebissen

Und der knebelbart weggerissen,

Das man seine schneweiße zen,

Als ob er lacht, alle kunt sehn,

Hub doch nach Murner auf den mund,

Ob er gleich gar nicht reden kunt,[170]

Das er sich des erbarmen solt,

Das er seiner noch spotten wolt!

Er seufzet auch von herzengrund

Und mummelt das mit halben mund:

O treuer freund, ein seltsam gast,

Wer dich findet, halte dich fast!

Ich meint, du werst ein eichenast,

So bist du kaum ein lindenbast.

Murner sprach: Gevatter, der sachen

Müget ihr weinen oder lachen,

Es wird euch warlich hernach schmerzen,

Es ist ein ser unfreundlich scherzen.

Indes lief der ein hund hinweg,

Das er von augen wusch den dreck

Und seine wunden ließ verbinden.

Der ander wolt Reinken gar schinden

Und fast ihn hinten an den hals,

Drückt ihn hart an boden nachmals,

Das ihm der atem gar entgieng

Und er zu seelzogen anfieng,

Sein augen auch heßlich verwandt,

Damit er doch kein licht mer kant,

Sondern die sonn also ansahe,

Als würd sie eitel schwarz und graue. –

Das jammert Murnern gar zu ser,

Kunt dem spiel nicht zusehen mer,

Sprang wie ein luchs im augenblick

Dem Stallwechter auf seinen rück,

Hieng sich an mit den hinterklauen,

Fieng mit den vordern an zu hauen,

In die oren grimmig zu beißen,

Die augen zu kratzen und zu reißen,

Das er schrak von den negeln scharf

Und wie ein aff sich überwarf,

Rief Kain an mit aller macht

Und lief halb blind so aus der schlacht."
[171]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 168-172.
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