Das VIII. capitel.

Circe begert Ulyssem zum ehegemal, aber vergeblich.


"Das sagt Circe und nicht bedacht,

Das sie es selbst eben so macht;

Denn als sie ihre fremde gest

Nun hat erquickt aufs allerbest,

Das sie al ihrs leides vergaßen

Und wider eilten auf die straßen[40]

Mit ihren schiffen hin nach haus,

Brach auch der Circe herz heraus.

Den Ulyssen sie bat und fleht,

Das er sein schiffart gar hinlegt

Und blieb bei ihr in ihrem schloß,

Wer ihr man, ehe- und hausgenoß,

Alles was sie het, wer sein eigen,

Sie wolt ihm er und lieb erzeigen;

Beschlossen het sie vor der zeit,

Jungfrau zu sein in ewigkeit,

Derhalben vil freir abgewandt,

Ihr er und nam bewart für schand:

Nun het sein adel, mut und tat,

Sein schön gestalt, weisheit und rat

Im ersten anblick sie erschreckt,

Im herzen ein wild feur erweckt.

Wie ein fieber gift und pest anbrent,

Wie der blitz leucht von ort zu end,

Geist, blut und fleisch entzündt, bewegt,

Mut, kreft, leben zugleich erlegt,

Als wenn mauren, gewölb und tach

Im erdbeben auf stücken brach:

Ein solch wildfeur het sie durchgangen,

Bekriegt, gewonnen und gefangen,

Das ihr kunst und kraut nicht kunt zemen,

Es wolt ihr gar das leben nemen,

Herschet über sel, witz und sin,

Sie wust sonst nirgends damit hin,

On das sie frei heraus bekent,

Ihn ihrn herzallerliebsten nent,

Der ungezweifelten zuversicht,

Er würde sie verlassen nicht,

Sie hinwider lassen genießen,

Das sie ihm er und guts bewiesen

Und noch könt zu eim herren machen,

Sein weinen verkeren in lachen,[41]

Seinen dienern glegenheit geben,

Zu füren ein gewünschtes leben,

Das sie nicht in wasser und wind,

So ihre feind und mörder sind,

Mit ihm in leibsgefar umfaren,

Allen wolt sie das leben sparen. –

Damit ward sie bald kalt, bald warm,

Und fiel ihm freundlich in die arm,

Herzet und küsset ihn mit trenen,

Mit einbrünstiger seufzer senen

Wie ein mutter ihr verloren kind,

Das sie unversehens wider findt.

Ulysses erschrak von der red,

Wust nicht, wie er den sachen tet,

Was er zur antwort sagen solt,

Weil er mit dank gern scheiden wolt.

Sprach doch zuletzt: Frau hochgeborn,

Das du deins herzen fried verlorn,

Und ich des solte ursach sein,

Wer mir fürwar ein große pein.

Lieb ist ein solch geferlich gift,

Wenn sie recht in das herz trift,

Das sie brennet durch mark und bein

Wie der donner durch stal und stein,

Bis sie erlang, was sie erwelt,

Oder sich selbst zu tode quelt;

Als mir vil lieb herzen geklagt

Und mein eigen erfarung sagt,

Denn mein gemal Penelope

Schreit nun zwanzig jar ach und we,

Das ich nicht wider wil heimkeren,

Ihr ehelich lieb und treue geweren,

Die ich ihr zusagt am altar

Und als ich zuletzt bei ihr war.

Verließ ich nun mein weib und kind,

Mein leut, ob der gleich wenig sind,

Mein allerliebstes vaterland,

Von dem ich mich ungern abwandt,[42]

So wer ich nicht allein untreue,

Für dem jeder hett ein abscheue,

Sondern der grösten narren ein,

So mit ihrm stand nicht friedlich sein,

Immer trachten nach andern sachen,

Damit ihr elend schwerer machen,

Das du selber an uns gestraft,

Und bin desfals nicht unlerhaft.

Dazu bin ich nun wolbetagt,

Mit krieg und reisen abgeplagt,

Ernst, traurig, mürrisch und verdrossen,

Mein freud und scherzzeit ist verflossen:

Dir ziemt ein frischer junger held,

Von allen fürsten auserwelt,

Vernünftig, sittig, tugendhaft,

Der dir lieb, dienst und freude schaft,

Klagt nicht von seinem weib und kind,

Wo und wenn er die wider sind.

Gleich man, gleich magd, gleicher ehestand,

Die gleichheit ist der liebe band.

Für mich sag ich von herzen dank

Jetzund und al mein lebelang,

Got vergelt dir deine woltat

Und hilf uns heim durch seine gnad,

Helf dir auch dein herz überwinnen.

Got sei bei dir! Ich far von hinnen. –

Dis geschach zu der zeit und stet,

Als niemand on der mensch noch redt

Und nicht alle tier, sagt Bausback,

Und bleibt noch war auf diesen tag:

Der ist ein weisr glücklicher man,

Der sich in seim stand schicken kan;

Wer das nicht kan, der ist elend

Und bleibt ein narr bis an sein end.

Darum dein red mir wolgefelt,

Die alls zu gottes willen stelt."
[43]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 1, Leipzig 1876, S. 40-44.
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