Sechste Betrachtung.

[172] DER SCHUZGEIST gehet ab.

Das urtheil ist geschöpft, der schlus ist nun ergangen,

Das Jesus müß und werd an hochen Creuz baum hangen.

Diß ist die lezte stimm, die Volckh, und Richter spricht,

So werd die unschuld selbst zu ihren todt gericht.

Die unschuld welche doch durch disen todt wird sigen,

Der Richter, Haß und Neyd noch werden unterligen.

Die Unschuld der die schmach zu ihrer größten zird,

Weill sie nach diser maas dereinst gecrönet wird.

Wie aber, sinder! wirst du deinen handl schlichten,

Wan diser Jesus dich am jüngsten tag wird richten?

Wan er dir dises Creuz und seine wunden zeigt,

Wan dein verlohrne sach sich zur Verdamnuß neigt?

Wan wider dich die höll, und das gewissen klaget,

Wan weder gott noch Mensch mit dir erbarmen traget?

Wan man dir ebenfahls das lezte Urthl spricht,

Und der erzürnte gott in jene worth ausbricht:

Vermaledeyts geschöpf geh hin ins ewig feyer!

Geh, bake dich von hier! Verhaßtes ungeheuer!

Weill du den teuffl mehr, dan mich als gott geehrt,

So bist du seiner nur, als deines herren werth.

Wie! sinder? glaubst villeicht es werd nicht so ergehen,

Was Christus vorgesagt das würd, und mus geschehen.

Er ist die wahrheit selbst, die nie mahls fehlen kan,

So fasse seine worth, und nemme theil daran.[172]

Weill es noch in der zeith, thue deine sinden büßen,

So wird er dir alldorth ein gnaden Urthl schließen.

Dan eines zähers, der in dir die sindt versehrt,

Ist ja die ewigkeit, ist ja der himmel werth.

Führ dises wohl zu sinn: nun aber sehet eben,

Was uns die schrifft aufs neu zum Vorbericht gegeben.

Alls, was man zu dem Zwekh in ihr ergründen kan,

Zeigt den Messias uns, und auch sein leyden an.


Quelle:
Bitteres Leiden, Oberammergauer Passionspiel, Verfasst von Pater Ferdinand Rosner O.S.B., Leipzig 1934, S. 172-173.
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