[72] Der Mann. Der zweite Wächter.
ZWEITER WÄCHTER kommt. Hier die Schlüssel, deine Tochter bringt die Buckeljucker.
DER MANN. Zu spät. Wir sind allein.
ZWEITER WÄCHTER. Maul gehalten endlich, Sträflinge! Wo bis du, Alter?
DER MANN. Was nützen deine Folterwerkzeuge. Wir sind allein.
ZWEITER WÄCHTER. Still. Der Alte kommt gleich; dann vergeht dir das Geschwätz.
DER MANN. Der Alte ist fort, für immer.
ZWEITER WÄCHTER. Was heißt das? Du bist fest in Ketten, du hast ihn nicht erschlagen. Wo ist er? Im Hause geht was vor. Meuterei!
DER MANN. Freiheit. Er ist in die Freiheit!
ZWEITER WÄCHTER. Zu Hilfe!
DER MANN. Niemand hilft dir. Du kannst dir nur selbst helfen.
ZWEITER WÄCHTER. Was soll ich tun? Ich steh unter seinem Befehl.
DER MANN. Befiehl dir selbst. Was willst du?
ZWEITER WÄCHTER. Ich kann nicht. Ich weiß nicht wohin. Wenn der Gouverneur kommt, werde ich davongejagt.
DER MANN. Dann bist du frei.
ZWEITER WÄCHTER. Ich kann nicht. Ich sollt seine Tochter kriegen; feste Anstellung, doppelte Dienstjahre. Ich verhungere. Was soll ich denn machen?
DER MANN. Halte dich an die Menschen.
ZWEITER WÄCHTER. Ich kenne keine. Vielleicht bist du ein Mensch. Vielleicht kannst du helfen. Sträfling, hilf mir!
DER MANN. Du mußt die Tochter lassen.[72]
ZWEITER WÄCHTER. Mir ist sie gleich, die Hure. Sag nur, was ich tun soll!
DER MANN. Du bist jung. Du hast Kraft. Draußen vor der Stadt warten die Kameraden im Schiff. Geh zu ihnen.
ZWEITER WÄCHTER. Ja, ich gehe. Ich tue alles, was du sagst. Aber wem soll ich da gehorchen?
DER MANN. Du sollst keinem Menschen gehorchen, nur dir.
ZWEITER WÄCHTER. Ich kann nicht. Ich muß meinen Befehl haben. – Gleich kommt die Tochter, dann weiß ich nichts mehr. Ich schließe deine Zelle auf, ich nehme deine Ketten ab. Schnell, komm mit mir. Sag, wohin!
DER MANN. Nein!
ZWEITER WÄCHTER. Ich flehe dich an, komm mit mir.
DER MANN. Nein!
ZWEITER WÄCHTER. Komm mit mir, du bist frei, du sollst nicht mehr gefangen sein. Hier sind die Schlüssel. Ich halt es nicht mehr aus, das Haus erwürgt mich. Rette mich!
DER MANN. Besinne dich, du bist ein Mensch, du bist frei. Hast du eine Mutter?
ZWEITER WÄCHTER. Nein, was fragst du? Ich kann nicht mehr! Ich hab sie erschlagen, als ich zu den Soldaten ging, niemand weiß es. Oh, die Schlüssel brennen wie glühend in meiner Hand, weg mit ihnen! Verdammt, warum bin ich je hergeraten!
DER MANN. Aufs Schiff, in das neue Leben, die Kameraden helfen dir.
ZWEITER WÄCHTER. Es ist aus; die Tochter kommt!
DER MANN. Fort mit dir. Vergiß diese Festung. Laufe! Schnell in die Freiheit, unter Menschen, in ein neues Leben.
ZWEITER WÄCHTER. Menschen! Hilfe! Menschen! Ab.
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