Achte Szene

[120] Der Mann. Klotz.


KLOTZ stürzt auf. Ich bin zu euch quer durch die ganze Stadt gerannt.

DER MANN. Daß du kommst! – Dein Auge, dein Mund, ob dieses Volk reif ist? –

KLOTZ. Spring heraus aus deiner Hirnwelt, Freund! Wir müssen unter sie, arbeiten, als hätt jeder von uns tausend Leiber – sonst wär alles verloren! Aus Kellerlöchern komm ich her, von Unratswinkeln, aus Versammlungen, suchte euch zusammen. Sie plündern, Menschen sind erschlagen, eigene Genossen auch. Raub wo ein Bissen. Ein Zündholz ist Besitz. Und dabei geht die Arbeit weiter. Eine unsichtbare Hand greift in die Massen und[120] treibt sie gegen ein Haus. Durchsuchung. Zwei Schritte daneben läuft das Leben, als sei seit Unendlichkeit nichts verändert.

DER MANN. Und alles spielt den Bürgern in die Hände?

KLOTZ. Das alles spielt den Feinden in die Hände. Wenn nicht, eh noch die Bürger in die Stadt dringen, eine Umkehr kommt, ungeheure Umkehr geschieht, dann ist das Volk verloren. Zerhackt wird alles, erstickt die Freiheit.

DER MANN. Kamerad, ist's jetzt nicht gleich, was geschieht? Wird nicht ewig in diesem Volk die Idee leben, wird nicht unsterblich unter ihnen die Freiheit umhergehen?

KLOTZ. Nein, nein, nein! Das Schlimmste kommt, das Entsetzlichste: eine Sklavenhorde. Die Freiheit wird ewig gestorben sein. Wir taten noch nichts, nun müssen wir alles tun.

DER MANN. Alles tun, Kamerad! Ja, alles in einem Augenblick.

KLOTZ. Betrug! Wer das sagt: Alles oder nichts! – denkt alles und bleibt beim Nichts. Schritt für Schritt mußt du vorgehen. Dein Leben hingeben ganz an die Tat – selbst ohne Freude, nur um es zu geben!

DER MANN. Aber Plündern sagtest du! Raub! Sie morden! Wo bleibt das ewige Bild des Menschen, wo bleibt unsere ewige göttliche Abkunft, wo bleibt das freie Menschenleben, dafür wir herkamen? Ich werfe mich ihnen vor den Weg!

KLOTZ. Nein, nie! Halte sie nicht. Wenn du sie hältst, wenn du ihnen Licht predigst, um sie zurückzuhalten, dienst du der Finsternis.

DER MANN. Aber Mord? Sie dienen dem Teufel.

KLOTZ. Nein, sie dienen Gott. Sie müssen hindurchgehen durch die Niedrigkeit, um die Niedrigkeit zu erkennen. Sie müssen sich beflecken, um Reinheit sehen zu können.

DER MANN. Aber wofür zertrümmern sie? Wir, wir sind Brüder der Gemeinschaft. Wir kämpfen für die Menschheit. Aber sie, ihr Leben ist eine Blutlache. Und wofür?

KLOTZ. Auch sie für die Menschheit!

DER MANN. Und wir? Was müssen wir also tun?

KLOTZ. Uns opfern.

DER MANN. Untergehen? Befreit von der Welt?

KLOTZ. Nein, nicht befreit von der Welt, sondern mit der[121] Last aller Weltkugeln des Himmels auf den Schultern. Nicht untergehen, sondern unter sie gehen. Einer von ihnen werden.

DER MANN. Wie – mit ihnen morden? In welchen reißenden Absturz setzte ich den Fuß!

KLOTZ. Nicht das Morden. Wir morden nicht. Nein – breite die Arme und schwimm unter ihnen. Du mußt ihre Welle verstärken, daß ihr großer Gleichstoß durch dich rinnt und nur mit dir noch lebt!

DER MANN. Aber wir sind die Führer.

KLOTZ. Lausche auf die Stimmen, die aus dem Dunkel ans Tageslicht steigen. Höre das Geheimnis der Erde: Es gibt keine Führer. Führertum ist Betrug! Du mußt ein Teil sein, eine geringe Zelle von ihnen; ein Zucken nur in ihren Muskeln.

DER MANN. Und das Letzte? Die Ewigkeit? Das Unbedingte, daran nichts abzuschneiden ist? Die Freiheit?

KLOTZ. Mann, nur zu ihm mußt du! Zum Letzten, Höchsten, wovon wir stammen. Aber hindurch mußt du zu ihm durch unsere endlichen, zeitlichen, befleckten Leiber, durch die Schwierigkeit des Kleinen, durch den Schweiß der Sünde. Alles mußt du wollen, die allerletzte größte Freiheit der Menschen, so groß, daß sie selber die Erdkugel durch den Raum schicken können – mußt es wollen, und mußt wissen, daß du es nach und nach erst machen wirst, von Volk zu Volk, Stadt zu Stadt, von Mensch zu Mensch. Hart ist das. Zu dem unendlichen Glück der Menschheit müssen wir durch den ganzen Trümmersturz des Menschseins.

DER MANN. Und du meinst, das ginge so leicht? Die Idee umgibt uns mit einem Stachelpanzer, wir können ihr nicht folgen, ohne unsere Umgebung zu verwunden.

KLOTZ. Dreh ihn um den Stachelpanzer; verwunde nicht die andern, stich dich selbst! Unser Opfer müssen wir bringen, unser eigenes Opfer.

DER MANN. Abtreten?

KLOTZ. Mehr, mehr, das ganze Dasein geben! Wir waren die Führer, wir ragten auf, sandten Ströme von uns, die die Massen bewegten. Das war unsere Sünde! Die Welt wird neu. Wir haben kein Recht mehr, zu sein. Wir dürfen nicht mehr dasein. Über uns hinweg muß die Freiheit[122] kommen. Nicht wir mehr befreien die Menschen, sie selbst tun es auf unserem Leib. Das Opfer unseres Lebens ist unsre letzte Wahrheit – unsere erste Tat. Wir müssen dahingehen, verschwinden – durch das Volk!

DER MANN. Verschwinden durch das Volk. Die Welt, aus der wir kamen, ist versunken.

KLOTZ. Das Opfer unsres Lebens durch das Volk: Das erst ist deine Liebe! Und nur dann wird unser Blut in ihnen kreisen, dann erst wird unser Herzschlag im Volke ein Riesenstoß zum göttlichen Geiste sein.

DER MANN. Durch unser Opfer wird die Welt neu! So lauf ich mit ihnen? Rase mit ihnen durch die Straßen, breche Türen auf? Schreie mit ihnen »Hunger!«?

KLOTZ. Du schreist »Hunger!« mit ihnen, und du weißt: Freiheit.


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 120-123.
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