Dritte Szene

[133] Vorige.

Es treten auf: Der Gouverneur, Klotz, Anna, Offizier, die beiden alten Gefangenen.


FÜHRER DER BÜRGER. Du sprichst als Feind. Ich weiß nicht, warum du feindlich bist – was wollt ihr? Wir verstehen es nicht. Wir wollen eure Freundschaft. Wir wollen euch glücklich machen!

DER MANN. Ihr hört in uns nur den Feind, weil ihr uns nicht versteht. Ihr versteht uns nicht, weil ihr nicht wissen wollt, daß wir die ewige Wahrheit des Lichts in alle Zukunft sind!

FÜHRER DER BÜRGER. Ah, nur ihr seid die Wahrheit, und wir sind nichts. Ist das eure Gerechtigkeit?

DER MANN. Die höchste Gerechtigkeit, göttliche Erden-Gerechtigkeit! Wir, die Söhne der Erde, wir, das Volk, sind die Wahrheit. Und ihr, nein, ihr seid es nicht, ihr seid die Gewalt, und die Bestechung, und die Knebelung, und der Verrat, und die Maske der Finsternis!

FÜHRER DER BÜRGER. Wir wollen euch glücklich machen. Und euer Glück, ist das nichts?

DER MANN. Nichts! Wir brauchen euer Glück nicht. Es gibt kein Glück. Es gibt nur unser Leben, und unsere Arbeit und unsere Schöpfung. Das Glück ist euer Köder. Glück, das habt ihr erdacht, um uns zu kaufen!

FÜHRER DER BÜRGER. Nenn es kaufen – wir sagen Vertrag.

DIE ANDEREN BÜRGER. Vertrag!

FÜHRER DER BÜRGER. Fordert. Wir geben euch. Wir machen[133] euch reich und satt. Wir geben euch Ämter und Wagen, wir zahlen euch zu und geben euch Macht.

DIE ANDEREN BÜRGER. Ämter! Macht!

DER MANN. Was wollt ihr dafür?

FÜHRER DER BÜRGER. Endlich, dieses Wort! – Wir wollen das Volk. Sprecht zum Volk. Macht, daß es ist, wie es früher war, wie es immer war! Dann hat es das Glück.

DER MANN. Wir dürfen nicht.

FÜHRER DER BÜRGER. Dürft nicht? Ihr? Und seid doch die Führer!

DER MANN. Wir sind nicht die Führer.

FÜHRER DER BÜRGER. Ihr seid nicht die Führer? – Dann – wo sind die Führer?

DIE ANDEREN BÜRGER. Eile. Die Führer!

DER MANN. Irgendwo gab es einmal Führer. Es gibt keine Führer mehr. Wir sind Menschen. Wir sind vom Volk. Ihr wollt uns kaufen? Ihr kauftet nur Einzelne, Wesen, die absterben, wie ihr im Moment, da ihr sie kauft. Nie werdet ihr das Volk kaufen!

FÜHRER DER BÜRGER. Und wenn ihr die Führer nicht seid, wenn Führer nicht mehr sind – was will das Volk?

DER MANN. Das Volk will leben. Leben miteinander. Freiheit. Neue Völker zeugen. Die Erde, auf der wir stehen, zu einem einzigen Leib machen, zum Leib des Himmels, der empfängt und gebiert, der seine Nahrung strömt für alle, die er gebar.

FÜHRER DER BÜRGER. Schwärmt. Aber wir haben die Macht.

DIE ANDEREN BÜRGER. Macht!

DER MANN. Ich schwärme nicht mehr. Die Wirklichkeit hat begonnen – die Macht ist aus. Wir wollen die Macht nicht, wir brauchen die Macht nicht mehr. Eure Macht hat verloren. Wir, die Machtlosen, wir, die nichts haben als unser Leben, unsern Willen, unsere Hände, Millionen Menschenhände, wir kneten schon an unserer neuen Erde – und ihr droht uns die Macht? Ich zerblase eure Macht, eure Rüstungen, eure schweren Fleischklumpen, wir zerblasen eure Drohung!

FÜHRER DER BÜRGER. Das sind Fremde.

DER MANN. Euch ist jeder fremd, der die Zukunft schafft. Ihr seid Einzelne, ihr wollt die ruchlose Macht für den Einzelnen. Wir sind das Volk, wir wollen nur das Leben.[134]

FÜHRER DER BÜRGER. Feindschaft also?

DBR MANN. Eure Feindschaft zerstört euch selbst. Eure Feindschaft lebt nur noch bei euch; uns ist sie vergangen, uns ist sie verweht und vergessen, wie eure Giftgase, die einmal noch unsere Freunde morden konnten, aber die dann in die Luft zerströmten und rück auf euch euer eigenes Gewissen zerätzten. Ihr seid uns nicht mehr Gefahr. Wir haben das neue künftige Leben uns selbst abzukämpfen. Zurück mit euch in die Reihen eurer Auflösung, hinab mit euch in die Dunkelheit eurer Gewalt. Vernichtet seid ihr. Geht!

DIE ANDEREN BÜRGER. Kampf!

DER MANN. Zu spät!


Die drei Bürger tauchen in die Versenkung.


DIE FRAU, ANNA, GOUVERNEUR, KLOTZ, OFFIZIER, DIE BEIDEN ALTEN GEFANGENEN jubelnd. Zu spät!

FÜHRER DER BÜRGER zu Nauke. Du vermochtest nichts. Prahlerei. Du hast gelogen. Du hast uns betrogen! Zu den Brüdern. Ihr kamt selbst vom Bürger – nun bekämpft ihr den Bürger! Aber hütet euch vor der Stunde eures Lebens, wo ihr hinter den Kampf blickt und erkennen werdet, daß der Sturz der Bürger euer eigener Fall ist!

DER MANN. Das ist nicht Drohung, das ist Hoffnung! Geht eure Vernichtung nur über unsern eignen Sturz? So reißen wir unser Leben heraus aus dieser Welt!

FÜHRER DER BÜRGER. Die Zeit reißt ihr mit den Wurzeln aus der Erde!

DER MANN. Deine Zeit ist verwest! Eine neue Ewigkeit beginnt!

FÜHRER DER BÜRGER. Ihr lehrt uns Gewaltlosigkeit – damit habt ihr alle Gewalt der Welt gegen euch! Stirb in deiner neuen Ewigkeit! Den andern Bürgern nach. Ab. Nauke bleibt.[135]


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 133-136.
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