1. Führer

[41] Du fährst auf aus dir wie ein entflammtes Zündholz, schwankend dünn im großen Taglicht-Umkreis

Vor dir atmet das Völkergeschöpf vorfühlend und rück die Glieder in brauner Angsteshaut.

O steh grade, halte die Augen entgegen, streck die Hände.


Du siehst die Löcher aus den Augen schaun, die Arme tastend, Leiber hilfegedrängt, die Köpfe weiß und viel, als blicktest du lang in den schmerzenden Spiegel.

Sieh dein Gesicht groß wächsern dir entgegen,

Das Blut läuft über die Augen vom erdig weißen Haar,

Hungerfalten um deinen zerknirschten Mund, der breit zum Schrillen aufklappt.

Sieh dein Gesicht weich und rund, rotfleischig, zahnlos, sanft erschreckt bei der Geburt.

Sieh dein Gesicht in der Abendstunde der schwesterlichen Nachdenklichkeit.

Sieh die Augen spiegelnd über Nasen, gekrümmt in Jahrtausendgestalt,

Sieh die Augen blaß ausgelaugt von Verfolgungen,

Sieh den Mund, der faltig blieb von den Flammen der Scheiterhaufen, den Mund, der dünn ist von den Überfällen der Truppen, er schloß sich nicht seit den Handschellen der Gerichtsdiener.

Führer, sieh dein Ewigkeitsgesicht, schmal. Brüderlich.

Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 41.
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