Dritter Akt


[766] Die gleiche Szenerie, wie in den vorhergehenden Akten. An der Decke ist ein Lüster befestigt, dessen Petroleumlampen angezündet sind. Auch die Wandlichter brennen. An den Wänden, zwischen den weißgedeckten Tischen, sowie rechts und links vom Podium sind Tannenbäume aufgestellt, aber so, daß die kleine, linke Bühnentüre sowohl, als auch der mit Tannenreisern umwundene Bierbanzen, rechts, völlig freibleiben. Auf den Tischen stehen Maßkrüge, Gedecke, Weinflaschen und Gläser, alles wohl geordnet. Mit Buntpapier umwundene Girlanden sind von den Wänden zur Decke gezogen. Dicht vor dem Podium auf zwei geschmückten Schragen ruht parallel mit dem Vorhang die zusammengerollte Findelhaus-Vereinsfahne.

Die ganze Stimmung ist festlich und erwartungsvoll.

Beim Aufgehen des Vorhanges stehen Hulda, Flora und Minna, alle mit gebrannten, lang herabhängenden Locken, aber noch in Straßentoilette, vor der Fahne. Hulda, die in der Mitte befindliche, macht einen tiefen Knicks gegen Götzensperger.


GÖTZENSPERGER der rechts, in die Hände klatschend, von einem Stuhle springt. Bravo, bravo, ganz brillant, Fräulein Hulda!

HULDA. Hab ich mei Gedicht schön aufg'sagt?

GÖTZENSPERGER. Feit si nix, feit si nix! Und dann gehen Sie alle drei von der Bühne herunter und schwingen die Palmen über die ganze Gesellschaft. Sehen Sie, so! Er winkt mit beiden Armen feierlich in der Luft herum.

DIE CHORISTINNEN machen es lachend nach.

GÖTZENSPERGER. Famos, famos! Ach, es geht ja alles großartig.

HERR VON BECK der links in seinem Smokingkostüm sitzt. Großartig!

GÖTZENSPERGER. Net wahr, Herr von Beck? Ja, mit Künstlerinnen! Des is a bisserl was anders als mit dene Bauernrammel.

HULDA lachend. Des war a Wirtschaft heut nachmittag mit dem Vertreter vorn Seehansele!

FLORA. No!

MINNA. Wie sich der dumm ang'stellt hat!

HERR VON BECK. Der Seehansele ist wohl auf ewig verbannt vom Theater?

DIE CHORISTINNEN lachen.

GÖTZENSPERGER. Wir werd'n do' den nimmer mitspiel'n lassen!

HERR VON BECK lässig. Ich dächte auch.[767]

GÖTZENSPERGER. Nix! Fort mit Schaden! Es geht ohne den Kerl a.

MINNA. Oh, brillant geht's.

GÖTZENSPERGER. Ein feiner Abend wird's.

HULDA. Oh, wir freuen uns.

FLORA. Wir freuen uns.

MINNA. Auf die Fahnenweih!

HERR VON BECK. Wenn es nur mit dem Besuch nicht hapert.

HULDA. Sie meinen, daß am End nicht viel Leut kommen?

MINNA. Ah, das wär aber ...

GÖTZENSPERGER. Wie denn?

HERR VON BECK. Sind Sie wirklich fest überzeugt, Herr Aktuar, daß die Honoratioren ohne Ausnahme erscheinen werden?

GÖTZENSPERGER. Der Pfarrer muß ja jetzt kommen.

HERR VON BECK. So?

GÖTZENSPERGER. Wo der Posthalter doch die Wiesen definitiv im Besitz hat und die große Schenkung macht! Da kann er nimmer z'rück.

HERR VON BECK. Mir soll's ja recht sein.

GÖTZENSPERGER. Des war a feiner Streich vom Schlegel, des hat er gut ang'fangt, alle hat er s' ins Netz zogen, die Gimpel.

HULDA. Da sieht ma' halt wieder, was man mit 'm Geld machen kann.

FLORA. Das heißt, mit 'm Rettinger sei'm Geld. Die Choristinnen lachen.

SEPPL, BURGL, EINE BAUERNDIRNE UND ZWEI BURSCHEN treten rechts auf und begeben sich zur Bühnentüre.

GÖTZENSPERGER schmunzelnd. Des derf ma' net so laut sagen, wenn 's a wahr is. Er dreht sich um. Wollt's ihr euch scho' ferti machen?

SEPPL. Freili, 's is ja lang scho' siebene vorbei.

GÖTZENSPERGER. Also, nacher geht's 'nein in euern Kasten, wir wollen die Damen jetzt auch nimmer aufhalten, Herr von Beck, sie müssen sich ja umziehen als weißgewaschene – Hüstelnd. – Jungfrauen, respektive Fahnenschutzengel. Er geht mit Herrn von Beck zur Verandatür, die Choristinnen begleiten ihn.

HULDA. Warten's, Herr Aktuar, Sie sind a Schlimmer!

FLORA. Ja, a ganz a Schlimmer!

GÖTZENSPERGER lachend. Adje, adje!

HERR VON BECK. Meine Damen!

MINNA. Also, adje, meine Herren![768]

FLORA. Auf Wiedersehen!

GÖTZENSPERGER UND BECK Ab.

HULDA mit Pathos. Auf dem Schlachtfeld! Stürmt lachend nach vorne. Ha, ha, ha, ha! Des kann lusti wer'n! Paßt's auf, wie i heut abend dem hochnäsigen Amtsrichter 'n Kopf verdreh, bal er kommt.

MINNA. Da hast recht, i hilf dir dabei.

FLORA. Ja, und i schaug 'n Hochwürden recht schmachtend an. Siehst, – Sie macht eine kokette Bewegung. – a so!

HULDA. Ha, ha, ha, ha! Und die Minna, die soll 'n Rettinger abfangen.

MINNA. Nacher ärgert si' d' Posthalterin recht.

FLORA. Da hilft 's ihm nix, da muß er 'n Champagner zahlen!

HULDA faßt beide an den Armen. No, du! Unser Premierleutenant in München, der tat lachen, wenn er die versimpelte G'sellschaft hier sehen könnt!

FLORA. I, hi! Der leget si' auf'n Boden!

HULDA. Wenn er d' Frau – Rentbeamte sehet, ha, ha, ha!

FLORA. Und d' Frau – Spezialkassier, ha, ha!

MINNA. Und 'n Herrn Assessor erst. Alle drei lachen unbändig.

HULDA. Ha, ha, der lachet si' schief.


Wallys Kopf erscheint, von Flora bemerkt, an der linken Türe und verschwindet sofort wieder.


FLORA. Psst! Da war eine von der G'sellschaft.

HULDA. Wer denn?

MINNA. Wer denn?

FLORA. Die Rentbeamtenstochter.

HULDA. Du, die holen wir 'rein. Des gibt a Viecherei.

MINNA. Aber wir sollen uns eigentlich anziehn.

FLORA. Das hat scho no Zeit.

HULDA. Freilich. Man kann auf uns warten. Sie eilt mit Flora zur linken Türe und öffnet. Oh, bitte, gnädiges Fräulein, kommen S' doch ungeniert herein!

FLORA. Wir tun Ihnen ja nix.

WALLY in Haustoilette, tritt verlegen ein und blickt erstaunt herum, kleine Pause.

MINNA mehr neckend als höhnisch. Sie hätten sich fast nicht 'reingetraut?

FLORA mit Betonung. Zu »Choristinnen«, wie man uns hier zu nennen beliebt.

WALLY sehr verlegen. Ich hab nur den Saal anschauen wollen![769]

HULDA. Den sehen Sie aber heut abend ja noch lang genug!

WALLY sehr nahe dem Weinen. Ich? ... Ich darf ja net kommen.

FLORA leise zu Minna. Hörst du's?

HULDA. Is mögli, erlaubt's die Frau Mama net?

WALLY nickt. Und d' Frau Spezialkassier?

MINNA. Weshalb denn?

WALLY. Ja, wenn i des wüßt!

MINNA nach einer kleinen Pause, halblaut. So unschuldig noch!

FLORA leise. Ja oder was!

HULDA. Sie wissen wohl auf der Welt überhaupt noch gar nix?

WALLY blickt sie groß an. Was soll ich denn wissen?

HULDA. Ich mein' ja nur, weil Sie noch so ganz naiv sind.

FLORA. So jung!

MINNA. Und so schön. Alle drei lachen.

WALLY fängt zu weinen an.

HULDA. Aber was haben S' denn?

WALLY schluchzend. Lassen S' mich wieder 'naus!

RETTINGER erscheint links, er trägt schwarzen Salonanzug.

FLORA. Aber Sie können ja gehen.

MINNA. Es halt Sie ja niemand.

HULDA. Höchstens vielleicht der Herr Rettinger!

WALLY fährt zusammen und bewegt sich hin und her, immer das Tuch vor den Augen.

RETTINGER eilt, als er Wally erblickt, hastig nach vorne. Ja, was seh' ich denn? Fräulein Wally, Sie weinen ja! Wer hat denn Ihnen was getan?

WALLY weint fort.

RETTINGER Wer denn? Die drei da vielleicht?

FLORA laut und entrüstet. Die drei da!

MINNA. Jee!

HULDA frech. Die drei da haben dem Fräulein gar nix getan, Herr Rettinger.

RETTINGER. Bitte, lassen Sie Ihre Bemerkungen und schauen Sie, daß Sie sich empfehlen.

FLORA. Schau, schau! Kleine Pause.

HULDA. Immer galant, halt.

MINNA. Galant wie ein Ritter.

FLORA. Gegen eine verfolgte Unschuld!

RETTINGER. Gehen Sie jetzt oder nicht?

HULDA. Wir wollen nicht mehr stören![770]

FLORA. Müssen uns sowieso umkleiden.

MINNA. Ins Gewand der Unschuld!


Alle drei lachen übermütig und stürmen durch die Bühnentüre ab, die sie offen lassen.


RETTINGER eilt ihnen nach, haut die Türe krachend zu. Bagage, verdammte!

WALLY. Was haben S' g'sagt, Herr Rettinger?

RETTINGER kommt nach vorne. Ach, nix ... Ärgern Sie sich nicht mehr über diese nichtsnutzigen Frauenzimmer, Fräulein Wally, geh, schauen Sie mich an. Sie sind ja so ein reizendes Mädchen!

WALLY geniert, ein bißchen läppisch. Gehen S', Herr Rettinger, so was darf man net anhören.

RETTINGER auf dem immer der Druck der Ereignisse lastet. Fräulein Wally ... Fräulein Wally ... Sie täten mir einen großen Gefallen, wenn Sie sich weiter keine Gedanken machten über mich, weil ich hier mit solchen Leuten verkehre.

WALLY mit blödem Ausdruck. Ach, ich mach mir überhaupt nie 'n Gedanken.

RETTINGER. Wirklich nicht? Das ist sehr lieb von Ihnen.

WALLY. Die Mama sagt immer, die jungen Mädeln sollen net soviel denken.

RETTINGER. Da hat Ihre Frau Mama aber sehr recht, das imponiert mir.

WALLY schaut ihn groß an. So?

RETTINGER. Is wahr! Das zeigt, daß Ihre Frau Mama eine sehr gescheite Frau ist, die nichts auf das Geschwätz der Leute gibt.

WALLY lacht dumm.

RETTINGER forschend. Und so darf ich wohl hoffen, daß sie heute abend die Fahnenweihe besuchen wird? Nicht?

WALLY sofort wieder mit Tränen kämpfend. Nein, eben net.

RETTINGER einen Schritt zurücktretend. Faktisch nicht?

WALLY. D' Frau Spezialkassier und d' Fräul'n Marie erlauben 's ja net.

RETTINGER. D' Fräulein Marie? Wer ist das?

WALLY. D' Schwester vom Herrn Pfarrer!

RETTINGER ärgerlich. A die! Forschend. Also kommt der Herr Pfarrer wohl auch nicht?

WALLY. Des weiß i net, aber auf d' Fräul'n Marie dürfen Sie sicher net rechnen!

RETTINGER wütend. Ach, ich pfeif' auf das alte ... ah, pardon,[771] ich bin eben ganz außer mir, weil ... weil ... weil Sie nicht kommen, Fräulein Wally, ich hatte mich schon so gefreut.

WALLY. Ich auch.

RETTINGER. Sehen Sie: Ich habe gewollt, Sie sollen was recht Gutes von mir denken, denn ... wenn Sie auch sonst nichts denken ... über mich haben Sie sich doch vielleicht schon ein paar Gedanken gemacht. Nicht?

WALLY lacht dumm. Herr Rettinger!

RETTINGER. Ohne Übertreibung! Ich bin besser, als es Ihnen und Ihrer Frau Mama vielleicht vorkommt, ich bin gar kein solcher ... wie soll ich denn sagen? Nun, Sie verstehen mich schon, denn ich kann Sie versichern, ich habe Ehre im Leib, ich ... ich muß schon eine haben, ich bin ja Reserveoffizier!

WALLY gedehnt. Ja.

RETTINGER leichthin, als wollte er nicht damit protzen. Bei der Kavallerie! Nun können Sie sich doch denken, daß mir alles d'ran liegen muß, tadellos dazustehen und deshalb möchte ich ...

FRAU WANNINGER kommt mit Frau Specht von links, beide in Haustoilette. So, Wally, da bist endlich, wir suchen dich ja wie a Stecknadel im ganzen Haus.

FRAU SPECHT. Allerdings, da herin hätten wir d' Fräulein Wally nicht vermutet.

FRAU WANNINGER mit fragendem Blick auf Rettinger. Geh' Wally, komm 'rauf ins Zimmer!

WALLY fängt laut zu heulen an und rührt sich nicht vom Platze.

FRAU SPECHT. Hat Ihnen vielleicht jemand was Unschickliches gesagt?

RETTINGER. Bitte, Frau Spezialkassier, das Fräulein war in meiner Gesellschaft.

FRAU SPECHT. Ja eben, das scheint sie immer zu sein.

RETTINGER. Ob sie das darf, das hat soviel ich glaube, – Er deutet auf Frau Wanninger. – die gnädige Frau zu entscheiden.

FRAU SPECHT. Im Punkte der Moral haben alle anständigen Leute ein Wort mitzureden.

RETTINGER. Moral?

FRAU SPECHT. Jawohl, Moral.

FRAU WANNINGER. Ich bitt' Sie, Frau Spezialkassier, werden S' net so heftig.

FRAU SPECHT. Oh, Frau Rentbeamte, wenn Ihnen das paßt, daß[772] Ihre Tochter hier so ungeniert und unbewacht aus und ein geht, dann brauch ich nix mehr zu reden.

FRAU WANNINGER. Es wär' mir schon lieber, Sie täten nix mehr sagen, was meine Tochter angeht.

FRAU SPECHT. Gut, gut, ich misch' mich nicht mehr hinein, aber i bin so frei und denk' mir mein' Teil. An der linken Türe kurz vor dem Hinausgehen. Wünsch' Ihnen vergnügten Abend, Frau Rentbeamte. Ab. Pause.

RETTINGER. Gnädige Frau! Es ist mir sehr peinlich, daß die Dame so fortgeht, aber ich bin unschuldig daran, ich habe mich Ihrer Tochter in aller Ehrerbietung genähert.

FRAU WANNINGER spricht erst eigentlich mehr für sich selbst. Die Frau Spezialkassier ist halt gleich so hitzig, aber ... aber sie hat recht, wir dürfen hier net bleiben.

RETTINGER nach einer Pause. Schade! ... Sehr schade ... Beklage es ... Beklage es ungemein! Jedenfalls wollen Sie überzeugt sein, daß ich nur die besten Absichten hatte.

WALLY weinend. Mama!

FRAU WANNINGER mit erlöschender Stimme. Oh, Herr Rettinger ... mir is ja selbst der größte Kummer, aber ... meine Bekannten ... ich darf net reden, wie i will ... ich bin eine Witwe ...

RETTINGER teilnehmend. Hm, hm.

FRAU WANNINGER. Schauen S' Herr Rettinger, Sie sind hier in Verhältniss' drin ...

RETTINGER. Wenn Sie mir Zutrauen schenken möchten ...

FRAU WANNINGER fast weinend. In schreckliche Verhältniss'. Und wie froh ... wie froh wär oft a jungs Mädel, wenn s' so a gute Partie machen könnt!

RETTINGER. Beurteilen Sie mich nicht nach dem, was Sie hier sehen. Mit einem Anstrich von Wichtigtuerei. Ich bin eben ein Lebemann, der die Welt bereist hat, ich war ein halbes Jahr in Wien, zwei Monat in Berlin, und auf der Durchreise nach London auch acht Tage in Paris ... natürlich war ich leichtsinnig, ich mach kein Geheimnis draus, ich hab gelebt ... aber zu meiner, und auch zu ... zu Ihrer Beruhigung muß ich doch sagen, daß solche Leute in der Regel noch die besten Ehemänner werden.

FRAU WANNINGER fast gerührt. Wenn ich Sie so schön reden hör, nacher können Sie mir fast leid tun.

RETTINGER stutzig. Was? Leid tun?[773]

FRAU WANNINGER. Ja, leid tun! So a hoffnungsvoller, junger Mann!

RETTINGER. Ah, jetzt versteh ich! Fassen Sie es nicht zu schroff auf, gnädige Frau. Er ergreift ihre Hand. Vertrauen Sie mir und der Zukunft. Kommen Sie heute abend.

POSTHALTERIN erscheint an der linken Türe. Sie trägt ein schweres Festkleid aus rotem Plüsch mit weißem Atlaseinsatz im Rock. Hohe Ärmel. Elegante Frisur. Fächer. Brillantenkollier. Entschuldigen Sie, daß ich hier eine zärtliche Szene unterbreche.

FRAU WANNINGER in gänzlich verändertem Tone und in diesem Augenblick doppelt gereizt auf die Eintretende. Nein, Frau Posthalter. Wir müssen uns entschuldigen, daß wir Sie stören.

POSTHALTERIN. Wieso?

FRAU WANNINGER. Weil wir durch 'n Zufall in ein Lokal geraten sind, wo wir nicht hingehören.

RETTINGER begütigend. Gnädige Frau!

FRAU WANNINGER. Wally, wir gehen jetzt.

POSTHALTERIN bissig. Das wird der Herr Rettinger am meisten bedauern, der wird Sie mehr vermissen, als alle anderen Leut'.

RETTINGER geht wütend im Hintergrunde auf und ab.

FRAU WANNINGER. Frau Posthalterin! Solche Anzüglichkeiten stehen Ihnen lang net so gut, wie das auffallende Kleid, was Sie tragen!

POSTHALTERIN. Hab' ich Ihnen eine Bemerkung gemacht über Ihren Verzug?

FRAU WANNINGER. Verzug? ... Freilich, so kostbar ist er nicht, aber er hat den Vorteil, daß ich ihn selbst bezahlt hab'.

POSTHALTERIN. Nun, wenn Sie amal 'n recht reichen Schwiegersohn bekommen –

FRAU WANNINGER. Dann laß ich mir kein'n Anzug schenken. Mit Wally nach links zur Türe gehend. Übrigens hab' ich noch kein'n Schwiegersohn.

POSTHALTERIN. Wird schon kommen. Schwere Mühen finden immer ihren Lohn, ha, ha, ha, ha!

FRAU WANNINGER. Aus Ihnen spricht nur die roheste Eifersucht.

POSTHALTERIN lachend. Möcht' wissen auf wen?

FRAU WANNINGER. Nichts weiter! Und damit Adieu! Komm Wally! Beide ab.

POSTHALTERIN. Guten Abend, Frau Rentbeamte! Guten Abend!


Geht erhitzt vorne auf und ab und fächelt sich.


RETTINGER kommt wütend nach vorne. So! Jetzt hast du's glücklich[774] erreicht, daß die letzten, anständigen Menschen, die vielleicht noch gekommen wären, auch nimmer 'reingehen.

POSTHALTERIN. Die »anständigen Menschen«! Des is sehr gut! Ha, ha, ha!

RETTINGER. Du hast Grund zum Lachen nach deiner heutigen Aufführung mit dem Lorenz da!

POSTHALTERIN ganz leichthin. Geh', verschon' mit einer Predigt.

RETTINGER. Du! Weißt! Bring mich net zum Äußersten, du kennst mich noch net.

POSTHALTERIN lachend. Dich kenn ich!

RETTINGER. Lach net! Ich sag dir, wenn ich einmal an die Grenze komm, da bin ich zu allem fähig.

POSTHALTERIN. Da muaßt di guat ausnehmen.

RETTINGER. Du!

POSTHALTERIN. I mag mi jetzt net ärgern, weil alle Augenblick die Gast kommen können, also laß mir mei Ruh!

RETTINGER. Gut! Aber morgen früh, da stell' ich dich zur Red' für alles! Mei Geduld is erschöpft.

POSTHALTERIN. Schön. Morgen! Hab jetzt schon a schreckliche Angst davor, ha, ha, ha!

RETTINGER geht in furchtbarer Erbitterung im Saal herum und pfeift eine Melodie.

POSTHALTER von links. Er trägt schwarzen Gehrock, den er offen läßt und hellgraue Beinkleider. So! 's letzte is besorgt! Jetzt kann's losgehen! Geht zweimal auf und ab, betrachtet die Dekorationen und schiebt ein wenig an der Fahne herum. Endlich fällt ihm die Stille der anderen auf. Er fixiert sie. Was habt's denn!

POSTHALTERIN setzt sich vorne rechts. Ach, der war wieder amal narrisch!

RETTINGER. Was war ich?

POSTHALTER. Tut's mir den G'fallen und vertragts euch jetzt, es ist scho' halb achte, der Findelhausverein muß alle Augenblick aufziehen und die anderen Gäst' werd'n auch gleich kommen.

RETTINGER immer herumgehend, sehr gereizt. Wenn s' kommen!

POSTHALTER. Brauchst kei' Sorg net haben. Heut woll'n wir amal sehn, wer den andern nunterzieht. Der Pfarrer mi, oder i 'n Pfarrer.

RETTINGER. Das woll'n wir seh'n.[775]

POSTHALTER. Ich weiß scho, ich zieh' 'n nunter, denn so m' Geld kann er net standhalten.

RETTINGER immer auf- und abgehend. Dem Geld, ha, ha, ha! zweitausend Mark für die Wiesen, die fast 's vierfache wert is.

POSTHALTER will etwas sagen.

POSTHALTERIN winkt ihm heftig ab, leise. Jetzt net!

RETTINGER. Wollen 's abwarten, was geschieht!

POSTHALTER. Wollen 's abwarten! Nach einer Pause zu seiner Frau. Du, deine Brillanten sitzen schlecht. Wart', i richt' dir's. Jetzt stimmt's ... Zieht die Uhr. Fünf Minuten nach halb acht. Jetzt kann 's losgehen. Horch, da kommen die ersten schon!

GÖTZENSPERGER UND HERR VON BECK treten rechts ein.

POSTHALTER. Ihr seid's es!

GÖTZENSPERGER. Gut'n Abend, Frau Posthalterin!

HERR VON BECK. Guten Abend.

GÖTZENSPERGER. Is no' kei' Mensch da?

RETTINGER geht immer parallel der Bühne spazieren. Keine Seele.

POSTHALTER. Wer'n scho' kommen, laßt's euch nur Zeit. Pause.

POSTHALTERIN. Is alles in Ordnung drin im Theater, Herr Aktuar?

GÖTZENSPERGER setzt sich vorn links mit Herrn von Beck. Alles, die Damen warten bloß auf die Gäst.

POSTHALTER. Brauchen nimmer lang z' warten, müssen ja alle Augenblick eintreffen. Ah, jetzt hör i die ersten auf der Veranda. Lorenz, Rosl und Hies treten festlich gekleidet von rechts auf. Hies trägt einen Holzhammer und Bierwechsel.

POSTHALTER etwas ärgerlich. Was wollt's denn?

LORENZ. 'n Banzen anstechen, 's ja scho' höchste Zeit.

POSTHALTER. Wann 's Zeit is, des sag' i, da braucht 's euch net z' kümmern, jetzt gibt 's no kei' Bier.

GÖTZENSPERGER. Ah, ja, Posthalter! Laß anstechen! I hab' Durst.

POSTHALTER. Bringt's 'm Herrn Aktuar a Maß von der Bauernstuben, wenn er gar so Durst hat.

HIES, LORENZ, ROSL rechts ab.

POSTHALTER muckt ihnen nach. Dumme G'sellschaft. Ziemliche Pause.

HERR VON BECK. Es dauert aber sehr lang, bis die Leute kommen.

GÖTZENSPERGER. Auffallend lang.[776]

POSTHALTER. No ja, no ja, seid's nur net so ungeduldig.

POSTHALTERIN. Die Leut' sind hier immer so unpünktlich.

GÖTZENSPERGER. Auch nacher, wenn 's a Freibier gibt? Da san's in München scho' a Stund' zuvor am Platz.

POSTHALTER mit zunehmender Ungeduld. Pressiert's euch denn gar so?

HERR VON BECK lässig. Uns durchaus nicht.

GÖTZENSPERGER lachend. Absolut net.

POSTHALTER. Horch! Jetzt hör' i wieder was!

ROSL bringt die Maß von rechts.

GÖTZENSPERGER. Ha, ha! Des is ja mei Rosl. Da geh her, Mädel, trink an, laß dir 's schmecken!

ROSL. G'sundheit, Herr Aktuar! Trinkt.

GÖTZENSPERGER. Sollst scho leben a!

ROSL. Dank schön, Herr Aktuar!

POSTHALTER der während dieser Szene lebhafte Zeichen der Ungeduld von sich gab. Ja, ja, wir glauben 's dir scho! Rosl rechts ab. Schwatzt dir die Person was z'samm.

POSTHALTERIN. Sie hat halt »G'sundheit« g'sagt.

GÖTZENSPERGER. Und »Dank schön«, des werd s' wohl no sagen dürfen.

POSTHALTER. I kann das Frauenzimmer net leid'n.

GÖTZENSPERGER. Warum denn?

POSTHALTER. Weil ich's halt net leiden kann.

GÖTZENSPERGER. Du bist aber schlecht aufg'legt.

HERR VON BECK. Für eine Fahnenweihe sehr schlecht.

POSTHALTER. Ah, das Warten is so z'wider. Pause.

HULDA hat langsam die Bühnentüre geöffnet. Sie ist ganz weiß gekleidet. Herr Aktuar!

GÖTZENSPERGER. Ha, der erste Engel!

HULDA. Wann geht's denn los?

GÖTZENSPERGER geht zu ihr. Es ist ja noch niemand da. Kommen S' nur 'raus, meine Damen!

HULDA UND FLORA diese ebenfalls in Weiß, wollen in den Saal treten.

POSTHALTER eilt ihnen entgegen. Gehen die Damen doch wieder 'nein, bitte!

GÖTZENSPERGER. Warum denn? 's pressiert ja net.

POSTHALTER. So? Alle Augenblick wer'n die Gäst' kommen!

HERR VON BECK vorne den Krug hebend. Wollen die Damen kein Bier?

HULDA. Oh, ja![777]

POSTHALTER. Bitte, bitte, gehen Sie hinein! Er schiebt sie zurück.

FLORA. Aber da herinnen is gar net schön.

POSTHALTER haut die Türe zu. Is mir gleich!

GÖTZENSPERGER. Aber i begreif di net.

POSTHALTER sehr gereizt. Wo jetzt die Leut glei' kommen!

GÖTZENSPERGER. Es kommt ja kei' Mensch!

POSTHALTER wütend. Wer sagt denn dir das?

POSTHALTERIN erregt. Glauben S' wirklich net, Herr Aktuar?

POSTHALTER. Ah, was weiß denn der? Die Leut sind eing'laden. Abg'sagt hat keiner. Sie müssen ja kommen!

POSTHALTERIN. Daß aber der Bürgermeister no net amal da is!

GÖTZENSPERGER. Und der Nusser!

HERR VON BECK. Unfaßlich!

RETTINGER kommt mit wütendem Gesichte nach vorne. Unfaßlich? Ha, ha, ha! Ich weiß es besser, kein Mensch kommt!

POSTHALTERIN. Hat dir das vielleicht dei geliebte Frau Rentbeamte g'sagt, ha?

POSTHALTER. D' Rentbeamte?

POSTHALTERIN. Mit der ihrer Tochter hat er vorhin 'rumcharmiert, und jetzt sitzt die Person auf ihrem Zimmer und find't 's net der Müh' wert, 'runter z' kommen.

POSTHALTER. So? Du steckst mit derer G'sellschaft unter einer Decken?

RETTINGER auffahrend. Ich ...

POSTHALTER plötzlich heftig winkend. Pst ... Pst ... Pst ... Jetzt kommt jemand! Fährt wütend auf die rechts eintretende Rosl. Was willst denn du scho' wieder?

ROSL. I hab' bloß nach 'm Bier vom Herrn Aktuar schaug'n woll'n.

POSTHALTER. Fahr ab! Rosl durch die Verandatüre ab. 'n Maßkrug könnt' ich der Person nachschmeißen.

GÖTZENSPERGER. No, no, no, no!

POSTHALTER sehr böse. Und dir möcht' ich 's grad so machen.

GÖTZENSPERGER ergreift seinen Krug ganz ruhig. Mein Lieber! Du wirst mir z' ungemütli', da mach' i, daß i 'naus komm' und mei' Bier in Frieden trink'. In der Bauernstub' is 's mir lieber, da san d' Leut' net so grob. Gehen S' mit, Herr von Beck?

HERR VON BECK. Ich begleite Sie.

GÖTZENSPERGER. Is recht. Wir warten da draußen bis 's losgeht. Adje derweil, Posthalter, du holst mi' scho' wieder. Beide rechts ab.[778]

POSTHALTER schreit ihnen nach. Kannst lang warten! Pause.

POSTHALTERIN. Nun sind die letzten no' draußen, die no' da war'n.

RETTINGER. Die allerletzten, das is recht!

POSTHALTER der durch den ganzen Saal wanderte, kommt nach vorne. Grimmig. Und wir drei san allein beieinander, ganz gemütlich und lustig, und wir bleiben beieinander bis in alle Ewigkeit.

RETTINGER zum Äußersten bereit. So? Bild'st du dir das ein?

POSTHALTER. Ja, des is mei' Glauben und mei' feste Überzeugung.

RETTINGER. Dann sag' ich dir jetzt: Ich mach' mich los, ich geh' fort und lass' euch elend sitzen.

POSTHALTERIN. Du gehst fort? Wohin denn?

POSTHALTER. Nach München? Da können wir di scho no derfragen.

RETTINGER. Du wirst dich wundern! Ich bleib kein'n Tag länger, sonst riskier' ich mit euch noch mei Stellung.

POSTHALTER. Dei Stellung? Was bist denn du?

RETTINGER. Was ich bin?

POSTHALTER. Du hast a Masse Geld von dei'm Vater g'erbt, so was kann der dümmste Esel a.

RETTINGER. So?

POSTHALTER mit Nachdruck. Jawohl, das hätt' i a ferti bracht!

RETTINGER. Aber des Geld war dir gut genug zum Nausschmeißen? net?

POSTHALTER zuckt die Achseln.

RETTINGER wütend. Fünf Hypotheken hab ich auf die elende Baracken da, dreimal hab ich euch vom Gerichtsvollzieher loskauft, Brillanten hab ich deiner Frau schenken müssen, blamieren hab ich mich lassen für euch und was hab ich dafür bekommen? Nix, nix, nix, gar nix!

POSTHALTER gereizt. Geh, geh, geh, geh! Sei so freundli und b'sinn di a bissel.

POSTHALTERIN sehr geniert. Geh, Mann, hör auf!

POSTHALTER. No ja, weil der redt, als ob man gar nix tan hätt! Wart nur, mei Lieber, wenn i amal d' Augen aufmachen wollt!

RETTINGER schlägt eine gellende Lache an.

POSTHALTERIN immer unruhiger. So ein Diskurs! Seid's jetzt net glei still?

POSTHALTER. Geh, tu net so g'schami, du bist den wert, und wenn du net ang'fangt hätt'st, wär's nie so weit kommen.[779]

POSTHALTERIN ganz überwältigt. Ja ... ja ... i find ja keine Worte mehr, schamst di net, mir so was ins G'sicht z' sagen?

POSTHALTER. Mir is jetzt alles wurscht: Halten wir amal Abrechnung mitanander, alle drei, wie wir da sind.

RETTINGER. Da fang nur bei dir selber an!

POSTHALTER. Bei mir? Na, Freunderl! Bei dir fang i an. Du bist jeden Tag in München drin in unser Café kommen, du hast meiner Frau 'n Hof g'macht, du hast net g'ruht, bis wir in das Nest 'zogen sind ...

RETTINGER. Ich will nix mehr hören.

POSTHALTER. Glaub's, glaub's. Aber i sag's trotzdem: Du hast in mei häusliche Ruh eingriffen, du hast mich kompromittiert ...

RETTINGER. Wa – Was? Was? Kompromittiert? Schau du, daß dich andere net mehr kompromittieren, wie ich.

POSTHALTER. Was soll das heißen?

POSTHALTERIN in größter Angst. 'n Fried gebt's alle zwei.

POSTHALTER. Nein, i will wissen, was er damit will.


In der Ferne hört man einen immer mehr anschwellenden Spektakel.


RETTINGER in sehr provozierender Haltung. Frag 'n Wehrmüller Lorenz, der gibt dir Antwort.

POSTHALTER. Was?

POSTHALTERIN. Oh, des is g'logen, niederträchtig g'logen!

POSTHALTER ganz rasend zu seiner Frau. Wenn's wahr is und du hast mein' guten Namen befleckt, nachher is dei' End!

POSTHALTERIN. 's is net wahr!

RETTINGER. So?

POSTHALTER. Mei Haus is a anständig's Haus und wer mir da ...

POSTHALTERIN. Mit aufgehobene Händ bitt' ich dich, sei still.

POSTHALTER. Nein, nein, nein! ich will ...

GÖTZENSPERGER UND HERR VON BECK stürzen zur Verandatür herein.

GÖTZENSPERGER freudig eregt. Sie kommen, sie kommen!

HERR VON BECK. Sie kommen!

GÖTZENSPERGER. Hurra, hurra!

POSTHALTER hat sich wütend umgedreht. Wer kommt?

GÖTZENSPERGER. No', wer denn? Der Findelhausverein rückt an. Hörst 'n net?


Alle horchen in den zunehmenden Lärm. Pause.


POSTHALTERIN halblaut. Herr meines Lebens, i dank dir, was i ausg'standen hab'![780]

POSTHALTER noch ganz betäubt, ob des jähen Umschlags. Sie ... Sie ... Sie kommen?

RETTINGER ungläubig. Kommen s' wirklich?

GÖTZENSPERGER an der halboffenen Verandatüre. Freili, de Kerl schrei'n ja wie b'sessen. Die haben Durst.

HERR VON BECK neben Götzensperger. Durst für tausend!

POSTHALTERIN. Ach, des Glück!

POSTHALTER zu seiner Frau noch immer ganz verwirrt. No, nachher tu di a bissel abkühl'n, du schaust ja schreckli aus.

POSTHALTERIN vorwurfsvoll. Wenn du mi so b'handelst!

GÖTZENSPERGER stürzt zur Bühnentüre. Meine Damen! Bereit halten.

POSTHALTER hat sich jetzt wieder gefunden und schreit zu Götzensperger. D' Flügeltür weit aufg'rissen, daß s' alle reinkönnen. Eilt selbst mit zur Verandatüre und öffnet. G'schwind, g'schwind!

HERR VON BECK. Da kommen schon die ersten.

POSTHALTER. So? Wer is 's denn?

GÖTZENSPERGER. Der Herr Bürgermeister und der Herr Hoflieferant!

POSTHALTER. Hurra!

FOITENLEITNER UND NUSSER erscheinen auf der Schwelle rechts, hastig und aufgeregt, Foitenleitner hat den Hut schief auf, Nusser, ohne Hut, hat einen braunen Lodenmantel übergeworfen. Beim Anblick der beiden, todbleichen Ankömmlinge fahren die Versammelten zusammen.

So schnell wie möglich.

POSTHALTER der eben noch einmal Hurra rufen wollte, tritt zurück. Herr Bürgermeister! Ja was is denn?

GÖTZENSPERGER. Wie schauen S' denn aus?

POSTHALTERIN. Und der Herr Hoflieferant!

HERR VON BECK. Was hat 's denn gegeben?

POSTHALTER. Warum sind S' denn so g'laufen?


Foitenleitner läßt sich rechts, Nusser links auf einen Stuhl fallen.


FOITENLEITNER. Aus is, aus is!

NUSSER. Alles is aus.

POSTHALTER. Was denn?

GÖTZENSPERGER. Was is aus?

HERR VON BECK. Die zwei sind verrückt.

POSTHALTERIN. So reden S' doch![781]

FOITENLEITNER. La ... Lassen S' uns ein' Augenblick aus ... ausschnaufen.

NUSSER. Wir sind noch ganz dumm.

POSTHALTER. Warum denn?

FOITENLEITNER. Weil ... weil wir selber bald 'nein kommen wär'n in die G'sellschaft.

POSTHALTER. In was für a G'sellschaft denn?

FOITENLEITNER laut schreiend. In d' Haberer!

ALLE mit Ausnahme von Nusser. In d' Haberer, in d' Haberer?

POSTHALTER. Wo sind denn nur Haberer?

NUSSER. Hier! Da, dort! Überall!

FOITENLEITNER. Wie d' Ratzen.

NUSSER. Fünfhundert Mann stark.

POSTHALTER. Ja, is denn des net der Findelhausverein, den ma da hört?

FOITENLEITNER. O na, des san d' Haberer.

POSTHALTER. Des ... sind ... d' Haberer?

NUSSER sehr eindringlich. Ja, ja, das sind die Haberer.

FOITENLEITNER. Z'erst da waren s' drunten im Dorf, uns zwoa haben s' a scheußliche Katzenmusi' bracht, und jetzt ziehen s' alle da 'nüber zu der Gregoriwiesen.

POSTHALTER. Zu der Gregoriwiesen?

POSTHALTERIN in größter Angst. Was wollen s' denn dort?

FOITENLEITNER. Treiben wollen s' Ihnen.

NUSSER zu Posthalter und Posthalterin. Ja, jetzt kommen Sie an die Reihe.

POSTHALTERIN schreit entsetzt. Wer?


Das Geschrei draußen wird stärker.


NUSSER. Hören Sie 's?

POSTHALTERIN fällt vorn rechts auf einen Stuhl. Gott, o Gott!

RETTINGER mit stierem Blick am Tisch links. Die Haberer sind da? Die Haberer?

HERR VON BECK. Jetzt haben wir die Bescherung!

GÖTZENSPERGER. Recht sauber!


Größere Pause. Der Lärm dringt fortwährend herein, einmal stärker, dann wieder schwächer, aber immer so, daß man die Konversation im Saale gut verstehen kann. Die Entfernung der Gregoriwiese ist etwa auf zweihundert Meter gedacht.


POSTHALTER geht auf und ab. Endlich beginnt er in heftiger Bewegung. Und der Pfarrer? Der Amtsrichter? Die zwei[782] hochmögenden Herrn! Is dene net a trieben wor'n? Ang'sagt hat man 's ihna doch a so halb und halb? Ha?

FOITENLEITNER ganz vernichtet. Bloß zu uns is die Bande kommen.

POSTHALTER. Natürli'! Weil die Herren no' zur rechten Zeit von mir abg'fallen san. Des is nacher die Moral von de verkommenen Bauernkerl.

NUSSER. Furchtbar! Furchtbar!

POSTHALTER. Also kommt niemand?

FOITENLEITNER. Kei' Mensch kommt! Der Pfarrer hat 's 'm Findelhausverein heut' nachmittag ausdrückli' verbieten lassen, und wir zwei, i und der Nusser, san auf morgen um neune ins Pfarrhaus vorg'laden. Die Hände verkrampfend. Da kann's was geben!

POSTHALTER. Warum? warum?

NUSSER. Weil wir Ihnen die Wiesen doch verkauft haben.

FOITENLEITNER. Der Pfarrer hat 's gleich erfahr'n.

NUSSER. Und soll ganz rasend gewesen sein.

FOITENLEITNER. Jetz' samma unmögli' im Dorf.

NUSSER steht auf. Herr Posthalter, seien Sie vernünftig und redressieren Sie den Kauf, wir geben Ihnen Ihr Wort zurück.

FOITENLEITNER. So is vielleicht noch eine Rettung für uns.

NUSSER. Der Preis war ja sowieso ein Wahnsinn.

RETTINGER wird aufmerksam.

FOITENLEITNER. Zwölftausend Mark!

RETTINGER hüpft in die Höhe. Was? Wer hat zwölftausend Mark boten?

NUSSER. Der Posthalter.

RETTINGER. Du? Du? So hast du über mei' Geld verfügt?

POSTHALTER. Ach, laß mir meine Ruh!

RETTINGER. Herr Bürgermeister, ich erkläre hiemit, daß ich kein' Pfennig bezahl', also ist der Kauf hinfällig.

FOITENLEITNER. Lassen Sie 's sein, Herr Posthalter.

NUSSER. Treten Sie zurück!

POSTHALTER. Wer hat 's Geld boten, der oder i? I hab 's boten und übermorgen liegt 's am Tisch, dafür steh i ein.

RETTINGER. Dann pump 's von 'm andern, ich geb kein Pfennig her! Er läuft in höchster Erregung hin und her und zupft an seinem Bärtchen.

POSTHALTER. Übermorgen, sag i, liegt das Geld am Tisch! Jetzt will i die Wiesen erst recht haben! Wart! Wart! Wart!


[783] Geschrei draußen sehr stark.


FOITENLEITNER der ängstlich hinaushorchte. Wenn Sie kei' Vernunft annehmen wolln, nacher haben wir nix mehr z' sagen.

NUSSER. Sie haben uns ruiniert.

FOITENLEITNER. Sie haben 's dahin bracht, daß uns trieben wor'n is.

NUSSER. Daß wir nimmer gewählt werden.

FOITENLEITNER. Daß uns der Pfarrer wie Schulbuben behandeln wird!


Das Geschrei ist jetzt am stärksten.


POSTHALTERIN. Um Gottes willen!

FOITENLEITNER verrät eine furchtbare Angst in seinen Bewegungen. Die Kerl werd'n am End noch da 'rein kommen.

NUSSER. Sie werden doch nicht?

POSTHALTER. Wenn Sie Angst haben, dann verstecken S' Ihnen, i bleib da, i hab 's mit 'm Pfarrer aufg'nommen, i nimm 's mit die Haberer auf, i nimm 's mit der ganzen Welt auf.

HULDA UND FLORA erscheinen wieder an der Bühnentüre.

HULDA. Wir warten und warten noch immer.

FLORA. Wann geht denn das Theater an?

GÖTZENSPERGER. Des hat scho ang'fangt, die Haberer sind da!


Draußen starkes Geschrei.


FOITENLEITNER zitternd. Oh, oh!

HULDA. Wie? die möchten wir a sehn!

POSTHALTER wütend. Fort, fort, fort, mit der ganzen Komödibagage!

FLORA. Was?

NUSSER in furchtbarer Erregung. Herr ... Herr Posthalter.

POSTHALTER. Und weil Sie so Angst haben, Herr Hoflieferant, gehen S' mit dort 'nein, Sie und der tapfere Bürgermeister! Er faßt beide beim Arme, zerrt sie nach rückwärts und schiebt sie mit den kreischenden Choristinnen durch die kleine Türe fort. So! Jetzt können wir der Musi da draußen ungeniert zuhören.


Er nimmt seine Wanderung wieder auf und horcht ab und zu hinaus. Sehr große Pause. Der Lärm dringt ununterbrochen herein. Die Posthalterin hat ihr Gesicht verhüllt und weint so laut, daß man es stoßweise hört. Rettinger, links, hat den Kopf auf die rechte Faust gestützt. Neben ihm sitzen Götzensperger und Herr von Beck. Letzterer, elegant, mit überschlagenen Beinen, verliert nie seine Haltung und blickt sicher herum. Während der[784] folgenden Worte des Posthalters nimmt er eine Zigarette aus einem eleganten Etui und zündet sie bedächtig an.


POSTHALTER beginnt endlich laut zu lachen. Ha, ha, ha! Es is famos! Alles is ausg'rissen, 's ganze Dorf, vom Pfarrer bis zum Wegmacher vor der b'soff'nen Sippschaft da drüben.


Das Geschrei dauert immer fort.


GÖTZENSPERGER. Und wie die Kerl schrei'n!

POSTHALTER stets auf der Wanderung, die Hände in den Hosentaschen. Möcht' nur wissen, warum die Bande g'rad mir treibt, was hab' i denn tan? I laß' a Geld springen, i tritt auf wie a Kavalier, i halt neun Roß, i gib die Bauern z' verdienen, i leb und lass' leben, was gehen denn die Kerl nacher meine privaten Familiensachen an?

POSTHALTERIN schluchzt laut.

POSTHALTER. Warum treiben s' denn also g'rad mir? Warum denn net de andern, die nix verzehren im Ort, als alle Tag 'n Fetzen Rindfleisch? Warum net 'm Amtsrichter, der jedem Madel nachlauft, warum net 'm Apotheker, der a gemeiner Geizkragen is, warum net 'm Postoffizianten, der mit seiner Haushälterin lebt, warum denn net 'm Pfarrer, der ... Es kracht eine Gewehrsalve, alles fährt zusammen.

GÖTZENSPERGER stürzt an die Türe.

POSTHALTERIN. O du meine Welt!

POSTHALTER. Waren des die Gendarm'?

GÖTZENSPERGER. Na, na, des war'n die Kerl scho' selber.

POSTHALTER. Natürli, wenn mir trieben wird, da kommt kei' Gendarm.

GÖTZENSPERGER horcht hinaus. Kei' Wort kann man von da drüben versteh'n.

POSTHALTERIN schluchzend. Des is ja no' 's einzige Glück bei der G'schicht.

POSTHALTER ballt die Fäuste. Oh, oh, wenn ich 's nur g'rad wüßt, wer die Kerl san, was wollt i zahln dafür!

GÖTZENSPERGER tritt von der Türe weg. Man kennt kei'n 'raus!

POSTHALTER. Heißt des, i weiß ja ganz gut, wer des is, aber antun kann i ihnen nix.

POSTHALTERIN weinend. Wer is denn?

POSTHALTER. Des hat alles der schuftige Mohrenwirt anzettelt, der hat 'n Kederbauer zahlt, daß er die andern aufhetzt, der Kederbauer, der Hauptlump, der hat 'n Mutzenbauer aufg'hetzt, der Mutzenbauer ...[785]

MUTZENBAUER erscheint an der Verandatür, lachend und torkelnd. Hi, hi, hi, hi, Posthalter ... red'st von mir? Hi, hi, hi.

POSTHALTER erschrickt heftig. Du ... Du bist ...

MUTZENBAUER. I bin no amal kommen, weil i di fragen möcht wegen der ... der Gregoriwiesen.

POSTHALTER schreiend. Du bist a Haberfeldtreiber.

MUTZENBAUER. Na, na, des bin i net, i möcht di bloß fragen ...

POSTHALTER. Aber du g'hörst dazu, du und der Kederbauer –

MUTZENBAUER. Schaug nunter auf d' Gregoriwiesen, hi, hi, hi, auf dei' Gregoriwiesen!

POSTHALTER. Ihr zwei habt's mein' Erzfeind, den alten Seehansele, aufg'hetzt, ihr habt's ...

SEEHANSELE taumelt rechts schwer betrunken herein.

POSTHALTER erschrickt furchtbar. Du – Du – Du –

SEEHANSELE. Grü ... Grüß Gott, Posthalter!

POSTHALTER ganz rasend. Was? Du kommst a zu mir 'rein?

SEEHANSELE. I hab, ha, ha, ha, i hab di fragn wollen, Posthalter, wie dir 's Haberfeld g'fallt?

MUTZENBAUER. Hi, hi, hi!

POSTHALTER packt Mutzenbauer, schiebt ihn links hinaus. 'naus mit dir a mal! Dann eilt er zu Seehansele und packt ihn. Du treibst mir 's Haberfeld und kommst noch zu mir?

SEEHANSELE. I treib dir's net, aber ha, ha, ha, i woaß, wer dir da drüben einheizt.

Zugleich.

GÖTZENSPERGER. Wer?

HERR VON BECK. Wer?

POSTHALTERIN. Wer?

POSTHALTER. Wer is?

SEEHANSELE. Ja, balst drei Mark zahlst, nacher sag' i dir 's.

GÖTZENSPERGER. Der schwindelt di' bloß an!

POSTHALTER zieht die Börse. Da hast d' deine drei Mark. Jetzt 'raus damit! Wer is?

SEEHANSELE. Der Kederbauer is!

POSTHALTER triumphierend. Was hab' i g'sagt?

SEEHANSELE. Der is der Habermeister von der ganzen Gegend.

POSTHALTERIN. Der is 's?

SEEHANSELE. Ja, der und kei' anderer.

POSTHALTER sehr schnell. Wart, Kederbauer! Des zahl' i dir heim. Jetzt lauf i g'schwind auf d' Gendarmeriestation und[786] alamier die Kerl. Die müssen in 'n Kederbauer sei Haus laufen, und wenn der Schuft net in sei'm Bett liegt, nacher is er 's, nacher bring' i ihn aufs Schwurg'richt! Wart', du Tropf, du elender!


Als er zur Türe stürzt, tritt ihm Kederbauer entgegen. Alle schreien auf mit Ausnahme von Rettinger, der immer teilnahmslos bleibt. Seehansele wankt nach links an den zweiten Tisch und bricht ganz haltlos zusammen.


POSTHALTER ist wie vor einem Gespenst zurückgefahren. Ah ... ah ... der ... der Gauner da, der kommt jetzt daher?

KEDERBAUER. Wo is mei' Bruder?

POSTHALTER. Was? Du, Habermeister, du!

KEDERBAUER. Wer is der Habermeister?

POSTHALTER. Du, du, du, bist 's, einer muß 's sein.

KEDERBAUER. Der Habermeister steht auf deiner Gregoriwiesen, i bin 's net.

POSTHALTER. Der Seehansele hat 's g'sagt.

KEDERBAUER lachend. Nacher muß 's ja wahr sein.

POSTHALTER. Du bist vom Mohrenwirt zahlt worn und hast alle Leut z'samm trieben.

KEDERBAUER. Vom Mohrenwirt? Ha ha! Der Moosreiner wär a guter Haberfeldtreiber.

POSTHALTER. Wenn 's der net war, nacher war 's a anderer.

KEDERBAUER. Posthalter! 's Haberfeldtreiben kann ma net kaufen wie d' Gregoriwiesen.

POSTHALTER. So, net?

KEDERBAUER fest. Na.

POSTHALTER. Wenn i morgen tausend, i mein hundert Mark, na, zehn Mark bloß herleg, nacher treibt 's ihr 's 'n jeden andern grad so.

KEDERBAUER höhnisch. Is wahr?

POSTHALTER immer ganz wütend und heftig. I kann 's euch beweisen. Warum habt's heut 'm Pfarrer net trieben? Weil er abg'falln is von mir.

KEDERBAUER. I treib ja net, Posthalter, i steh da und net da drüben.

POSTHALTER wie wahnsinnig. Was willst du nacher hier?


Der Lärm läßt nach.


KEDERBAUER. Mein'n narrischen Bruder such i, der is in seiner Dummheit zu dir g'schoben![787]

POSTHALTER. Such du dir dein' Bruder beim Teufel und seiner Großmutter! Götzensperger, tu mir den Kerl naus! Sonst vergreif i mi no!

GÖTZENSPERGER winkt Kederbauer zur linken Türe und geht mit ihm hinaus.

POSTHALTER wie ein gereizter Stier herumtaumelnd. Ha, ha, ha, ha! Nix und wieder nix! Keiner is 's g'wesen, a jeder kommt daher wie a unschuldigs Lamperl und du – Er stürzt zu Seehansele. – hast mi ang'logen, du hast mir drei Mark aus der Taschen g'stohlen und bist doch a Haberer.

SEEHANSELE lallt. Na, na ...

POSTHALTER. Und doch bist's!

SEEHANSELE. Ha, ha! Mir is selber scho trieben wor'n, da darf ma kei Haberer mehr sein.


Der Lärm außen wird noch schwächer und verliert sich nach und nach ganz in der Ferne.


POSTHALTER hebt die Hand. Du!

SEEHANSELE fällt im Ausweichen unter den Tisch und bleibt regungslos liegen.

POSTHALTERIN. Laß doch den Kerl liegen!

HERR VON BECK. Kommen Sie doch zu sich!

POSTHALTER beide Fäuste schwingend. Oh, oh, oh, wenn i nur ein'n derwischen könnt, wenn i nur ein'n derwischen könnt ...

POSTHALTERIN die Hände ringend. Oh, was is das für eine Prüfung!

POSTHALTER. Wenn mir nur einer in die Händ laufet! In höchster Raserei. Packen wollt' ich ihn, daß ihm Hören und Sehen verging.

LORENZ eilig von rechts.

POSTHALTER. Halt! Da kommt einer, der paßt mir grad.

POSTHALTERIN fährt in die Höhe. Alle Heiligen!

LORENZ. Herr Posthalter, Herr Posthalter! Lassen S' Ihnen sagen, die Haberer, die ...

POSTHALTER geht auf ihn zu wie ein zum Sprung bereites Raubtier. Was ... Was soll i mir sagen lassen von dir? Du, du ...

LORENZ. Was habt's denn? Ärgert's Enk nimmer! Sie zieh'n ja fort und ... denken S' Ihna ...

POSTHALTER noch näher. Ha? ha? Was tun die Haberer?

LORENZ mit beiden Händen winkend. Laßt S' mi nur ausreden, sie zieh'n fort und ...[788]

POSTHALTER. So? Sie zieh'n ab? Und du, du, Lump, du bist no da? Du bist so frech und kommst mir no amal unter die Augen? Ha? Du?

POSTHALTERIN. Mann! Um alles in der Welt!

POSTHALTER. Laß mi aus, du hast Angst für den Kerl, weil er dei Liebhaber is.

HERR VON BECK. Was?

LORENZ sehr frech. Geht's da naus, Posthalter? Da pack'n Rettinger an, der is scho vor mir da g'wesen.

POSTHALTERIN. Lorenz!

POSTHALTER ergreift die Fahne. I schlag dich tot.

LORENZ. Geh', Posthalter, des glaubst ja selber net.

POSTHALTER schwingt die Fahne. So?

LORENZ weicht aus. Z'erst mußt mi haben. Ab durch die Verandatüre.

POSTHALTER haut mit der Fahne daneben, die mit der Spitze scharf auf den Boden schlägt. Der Fahnenengel zerbricht krachend in Stücke.

POSTHALTERIN. Oh, der schöne Engel is kaputt!

POSTHALTER die Fahne loslassend, auf einen Stuhl fallend, halbtot und seiner kaum mehr mächtig, mit gurgelnder Stimme. Alles soll kaputt sein, alles, alles!

POSTHALTERIN. O Gott, o Gott, warum sind wir net in der Stadt blieben, da war'n wir so ungeniert. Warum sind wir in die Berg zogen zu dem Volk?

POSTHALTER noch ganz dumpf, in der gleichen Stellung. Jawohl, zu dem Volk, zu diesem verkommenen Auswurf der Menschheit, zu dem miserablen Volk, des muß ma' kennen des Volk. Er deutet auf den durch die linke Türe wieder eintretenden Götzensperger. Aber net so, wie der da muß ma' 's kennen, der weiß nix vom Gebirgsvolk, der Kerl da!

GÖTZENSPERGER. Meinst du mi'. Ha?

POSTHALTER springt auf. Wieder lebhaft und schnell. Ja, dich mein' i, du Schnadahüpflhanswurst!

GÖTZENSPERGER. Du, sei so gut! Gelt?

POSTHALTER. Du kennst ja kein' Bauern, du hast ja noch gar kein'n g'seh'n in dei'm Leben.

POSTHALTERIN. Mann! Mann!

GÖTZENSPERGER. Du, erlaub mir!

POSTHALTER. Sonst tatst kein solchen Mist schreiben.

GÖTZENSPERGER. Schlegel![789]

POSTHALTER liest vom Proszenium in meckerndem Tone ab. Und geben schlicht ohn' Falsch und Spott, nur unser biederes Grüß Gott! Jawohl! Mit geballter Faust und rollenden Augen gegen Götzensperger. Du mit dei'm schlichten Gebirgsvolk balst mir net gehst! Im tollsten Ausbruch. A Lumpeng'sindel is de ganze G'sellschaft!

GÖTZENSPERGER. I verbitt mir jedes weitere Wort über meine dichterische Tätigkeit.

POSTHALTER. Der Dichter! Ha, ha! So schaut a Dichter aus!

GÖTZENSPERGER. Immer besser no, wie a Mensch, der de Leut 's Geld aus der Taschen zieht.

RETTINGER der allmählich aus seiner Betäubung erwacht ist. Bravo, sehr gut!

POSTHALTER zu Götzensperger. Du unterstehst dich, mir so etwas z' sagen? Gib mir erst amal des Geld wieder, was i dir schon pumpt hab, nacher kannst reden.

GÖTZENSPERGER. De paar Markln, herrje, da sitzt du anders in der Kreiden bei – Auf Rettinger weisend. – dem da!

RETTINGER. Jawohl!

POSTHALTER auf Götzensperger losfahrend. Kerl!

POSTHALTERIN. Jessas, Mann! Herr Aktuar!

GÖTZENSPERGER. Wer meine poetischen Werk angreift, Frau Posthalterin, den greif' i wieder an, b'sonders, wenn 's einer is, der selber net sauber is.

RETTINGER. Ganz meine Ansicht.

POSTHALTER. I werd' dir zeigen, ob i sauber bin oder net, dir, und dem elenden Nest. Ins G'sicht spring ich der ganzen Welt und wenn i des verdammte Findelhaus aus Marmor bauen müßt'.

POSTHALTERIN ganz gebrochen. Geh, sag' do' so was net!

POSTHALTER. A Tingel-Tangel mach' i d'raus, und alle Sonntag lass' i halbnackte Chansonetten d'rin 'rumhupfen.

RETTINGER grimmig. Des wirst dir jetzt überlegen.

POSTHALTER. Nix überleg i mir.

RETTINGER. So? Aber moralisch zugrund richten hast du mich können, mei' Reputation hast du in 'n Schmutz treten.

POSTHALTER. Jetzt fangt der a no' an.

GÖTZENSPERGER. Dem wird's halt z' dumm.

POSTHALTER zu Götzensperger. Dich wirf i 'naus.

GÖTZENSPERGER auf Rettinger weisend. Der is der wahre Hausherr, du hast nix z' sagen.[790]

RETTINGER. Jawohl, du hast, oder vielmehr Sie, Sie haben, Sie haben zu schweigen.

POSTHALTER. Du sagst Sie zu mir? Net schlecht! Nimm mir's net in übel, wenn i di auslach.

RETTINGER schreiend. Sie haben mich Sie zu titulieren!

POSTHALTER. Fallt mir ein! Wenn du zu mir Sie sagen willst, so sag Sie, i sag du zu dir!

RETTINGER steht fassungslos.

POSTHALTER sieht ihn erst einen Augenblick an. Ha, ha, ha! Mit solchen Witzeln kommst bei mir net durch.

RETTINGER. Aber meine Rehabilitierung vor der Welt, die will ich haben.

POSTHALTER. Laß mi' aus mit deine Fremdwörter!

HERR VON BECK. Herr Posthalter!

RETTINGER ganz verzweifelt. Das Haberfeldtreiben hat den Skandal noch vollständig gemacht, alle Leut' wissen davon. Was fang ich an? Was fang ich an?

POSTHALTER. Mach, was d' willst!

RETTINGER in heller Verzweiflung. Ich bin verloren, zugrund g'richt, wenn morgen alles besprochen wird. Drum muß was g'schehen, ich kann des net auf mir sitzen lassen, daß ich mit dem Herrn da – Er deutet auf den Posthalter. – überhaupt verkehrt hab.

POSTHALTER. Mit dem Herrn? Ich gib dir glei' den Herrn!

GÖTZENSPERGER. Rettinger, da bist reing'fallen.

RETTINGER. Elend, elend bin ich reing'fallen, aber ich will, ich weiß net, was ich will ...

GÖTZENSPERGER. Da is nix mehr z' machen.

RETTINGER. Schrecklich! Schrecklich! Er läuft vorne herum. Wenn ich nur einen Ausweg wüßt, wenn mir nur jemand helfen könnt! Sein Blick fällt auf Herrn von Beck, der noch immer sehr ruhig auf dem gleichen Platze sitzt. Beck, Beck, weißt du gar nix, ich bitt' dich, sag mir was! Du bist doch sonst in solchen Sachen bewandert. Red, red, warum red'st denn nix?

HERR VON BECK ganz ruhig. Wer kann denn reden bei einem solchen Geschrei?

RETTINGER hastig. Weißt du vielleicht was? Kannst mir was raten?

HERR VON BECK wirft die Zigarette weg. Fest und klar. O ja!

RETTINGER. Warum sagst denn nacher nix?[791]

HERR VON BECK. Weil die Herren bis jetzt endlose Reden gehalten haben, die alle nichts nützen.

POSTHALTER. I sag ja nix mehr, der red't die ganze Zeit.

RETTINGER heftig. Ich hab' meine Stellung verteidigt.

POSTHALTER. Und ich hab' dir ...

HERR VON BECK. Erlauben Sie mir! Wenn Sie so fortfahren, finden wir keinen Ausweg.

POSTHALTER. I brauch kein' Ausweg.

RETTINGER. Weil du eben ein ganz ...

POSTHALTER. Was bin i?

HERR VON BECK. Bitte, bitte, Ruhe vor allen Dingen! Er horcht einen Augenblick. Die munteren Herren da draußen scheinen sich ja ohnehin verzogen zu haben.

GÖTZENSPERGER an der Verandatüre. Sie sind wieder ins Dorf 'nunter.

HERR VON BECK. Ins Dorf?

POSTHALTER mit geballten Fäusten. O wenn 's nur grad m' Pfarrer und 'm Amtsrichter no' d' Fensterscheibn ...

HERR VON BECK scharf. So fromme Wünsche helfen jetzt nichts. Besser, wir überlegen uns, was zu tun ist, dann kann manches wieder ins Gleiche kommen.

RETTINGER ungeduldig. So fang doch endlich an!

POSTHALTERIN. Ach, Herr von Beck, Sie sind der Engel in der Not!

HERR VON BECK. Danke! Ich habe mir ja in der Zwischenzeit so manches überlegen können. Dabei bin ich zu einem sehr guten Resultat gelangt.

POSTHALTER. No', ich bin neugierig.

RETTINGER. Los! los!

HERR VON BECK. Betrachten wir uns einmal die Situation! Zu Rettinger, Posthalter und Posthalterin. Ihnen allen ist Haberfeld getrieben worden. Das ist gleichgültig diesen Bauerntropfen gegenüber, nicht aber vor der Welt. Da geben Sie mir doch recht?

RETTINGER rasch. Freilich, freilich!

POSTHALTER. Die Welt, was geht mi die Welt an?

HERR VON BECK. Bleiben Sie nur noch einige Zeit hier, dann werden Sie es schon sehen.

POSTHALTER. O mein!

POSTHALTERIN. O ja, o ja, er hat recht, der Herr von Beck.

HERR VON BECK zum Posthalter. Sie schädigt die Sache materiell,[792] meinen Freund moralisch, weil er eine exponierte Stellung einnimmt.

POSTHALTER. Die Stellung! die Stellung! die Wirtschaft mit derer Stellung!

RETTINGER. Wenn dir des am End nix is, dann ...

HERR VON BECK Rettinger fest am Arme packend und sehr laut fortfahrend. Deshalb mache ich Ihnen einen Vorschlag, der Ihnen im Anfang vielleicht etwas sonderbar klingen mag, der aber einmal für Freund Rettinger den Ausweg eröffnet.

POSTHALTER. Und für mi?

HERR VON BECK. Sie kommen gleich nachher.

RETTINGER. Raus damit!

HERR VON BECK sehr laut. Sie müssen sich fordern.

POSTHALTER. Fordern? So 'n Unsinn!

POSTHALTERIN. A Duell?

GÖTZENSPERGER. Auf zogene Hypothekenwechsel vielleicht?

RETTINGER. Ach, was fallt dir denn ein? Der kann mir doch kei Satisfaktion geben.

POSTHALTER sehr schnell. Wenn 's da drauf ankäm, mein Lieber! I hab a d' Realschul absolviert.

RETTINGER. Ha, ha, ha!

POSTHALTER. Und wenn i net militärfrei word'n wär, wär i grad soviel wie du.

RETTINGER. Ich tat mich bedanken für die Kameradschaft!

POSTHALTER. So?

HERR VON BECK. Bitte, bitte meine Herren. Nach einer kleinen Pause. Es braucht ja gar nicht zum Duell zu kommen.

POSTHALTER. Könnt mir a passen.

RETTINGER. Was hilft denn dann die ganze Verabredung?

HERR VON BECK. Verstehst du denn nicht? Der Welt gegenüber muß was geschehen, das ist das erste.

RETTINGER. Weiter! Weiter!

HERR VON BECK. Zweitens werd' ich zum Amtsrichter gehen, der meinen Freund heute an dieser Stelle beleidigt hat. Da gibt's ebenfalls eine Forderung, aber eine richtige.

RETTINGER. Und drittens werd' ich mich noch heut abend zur Frau Rentbeamte begeben und offiziell um ihre Tochter anhalten.

POSTHALTER. Wie?

POSTHALTERIN. Was?

GÖTZENSPERGER. Aha![793]

POSTHALTERIN. Sei so gut.

HERR VON BECK. Pardon! Das ist jedenfalls weitaus das beste Beruhigungsmittel für alle Welt.

POSTHALTERIN. No, und was soll denn aus uns wer'n, wenn wir hier unmöglich sind, wie Sie immer sagen?

POSTHALTER. Von dene Forderungen und von der Heirat, da seh i no kein' Vorteil für mi.

HERR VON BECK. Ganz richtig, ich zweifle nicht, daß mein Freund Rettinger, wie immer, so auch diesmal der noble Mann sein wird und Ihnen anderweitig, wo Sie ungestört von Haberern sind, ein neues Heim gründet. Zu Rettinger. Nicht wahr?

RETTINGER zugeknöpft und sehr formell. Ich ... ich wäre dazu eventuell bereit, aber unter der Voraussetzung, daß man mich mit meiner künftigen Frau in Ruhe läßt.

HERR VON BECK. Nun, sehen Sie, es geht ja famos, wenn man sich nur richtig versteht.

POSTHALTERIN. Mir tat alles passen, bis auf die Heirat.

RETTINGER wieder heftig. So? Dann ist 's aus, dann tu ich nichts mehr für euch ...

HERR VON BECK faßt ihn beim Arm und schiebt ihn zur linken Türe hinaus. Du regst dich am besten nicht mehr auf, sondern tust sofort, was du nicht lassen kannst. Schnell, schnell!

RETTINGER links ab.

HERR VON BECK kommt schnell nach vorne. Ängstigen Sie sich nicht so sehr, schöne Frau, ich bin überzeugt ..., wenn Sie Herrn Rettinger – Lächelnd. – richtig zu behandeln verstehen ..., wird er mit Ihnen auch fernerhin befreundet bleiben.


Ganz in der Ferne hört man wieder eine Menschenmenge.


POSTHALTERIN. Meinen Sie?

HERR VON BECK. Er ist ein guter – Mit Betonung des »u«. – Mensch, wirklich ein sehr guter Mensch.

POSTHALTER. Dafür laß nur mi sorgen, ganz verlieren wir 'n Rettinger no' net.

GÖTZENSPERGER lächelnd. Glaub 's a!

HERR VON BECK. Also ist alles in Ordnung, und Sie sind ein für allemal befreit von diesen Haberern.


Lärm etwas näher.


POSTHALTERIN horcht auf. Was is denn des?

POSTHALTER. Der Spektakel?

GÖTZENSPERGER. Kommen vielleicht gar de Kerl wieder?

POSTHALTERIN. De Haberer?[794]

HERR VON BECK. Was?

POSTHALTERIN. Oh, des war' entsetzlich!

GÖTZENSPERGER an der Verandatür. Wahrhaftig sie sind 's!

POSTHALTERIN. Is wahr?

POSTHALTER herumlaufend. No' amal der Schwindel? Aber jetzt hab' i g'nug.

POSTHALTERIN. Des is furchtbar.

POSTHALTER. Desmal soll 's ihnen aber schlecht geh'n.

POSTHALTERIN. Nun hat man g'meint, es wär' 'rum.

POSTHALTER rasend. Mein' Revolver hol' i und mitten in die Bande schieß' i 'nein. Er will nach links.

HERR VON BECK stellt sich ihm entgegen. Herr Posthalter! Keine Unbesonnenheit!

POSTHALTER fährt ihn an. Sie mit Ihre verruckten Duellforderungen!

HERR VON BECK. Sie sind besessen!

POSTHALTER deutet auf die Verandatür. Da haben Sie 's, was Ihr G'schwatz wert is, i hol mein' Revolver.

HERR VON BECK. Dann wird Ihnen das ganze Haus demoliert.

GÖTZENSPERGER. Die Kerl kommen näher.

POSTHALTER. Mein'twegen zünden s' es mir über 'm Kopf an, aber schießen will i. Eilig links ab.

HERR VON BECK ruft ihm nach. Das ist ja heller Wahnsinn.


Stärkeres Geschrei draußen.


GÖTZENSPERGER. Es scheint, die Bande kommt wirklich 'rauf zu uns.

HERR VON BECK. Nicht möglich?

POSTHALTERIN wankend. Des is mei End.

HERR VON BECK der zur Verandatür geeilt ist. Donnerwetter!

POSTHALTERIN mit ausgebreiteten Armen herumlaufend. Helft's mir! Helfens mir!

GÖTZENSPERGER. Da is nix z'machen.

POSTHALTERIN. Wenn s' uns derwischen!

POSTHALTER kommt wieder von links mit einem Revolver. So, da bin i.

HERR VON BECK will ihn fassen. Weg mit dem Revolver!

POSTHALTER. Lassen S' mi' aus!

HERR VON BECK. Hören Sie!

GÖTZENSPERGER springt von der Türe fort. Jetzt kommen die ersten.

HERR VON BECK. Was?[795]

POSTHALTERIN flieht mit wahnsinnigem Schrei links hinaus, draußen hört man sie noch laut »Hülfe, Hülfe, Hülfe!« rufen.

POSTHALTER spannt den Hahn und legt an. An jeden brenn' i nieder. Er fährt zusammen und läßt jäh den Revolver sinken, als er den Pfarrer und den Amtsrichter erblickt, die atemlos herein- und direkt auf den Posthalter losstürzen. Amtsrichter voran, dann Pfarrer, gleich darauf ein Gendarm, der in strammer Haltung an der Türe stehen bleibt.

So schnell wie möglich.

AMTSRICHTER. Herr Posthalter!

PFARRER. Herr Posthalter!

AMTSRICHTER. Guten Abend.

PFARRER. Guten Abend.

AMTSRICHTER. Hat sich niemand zu Ihnen geflüchtet?

PFARRER. Von dem Gesindel?

AMTSRICHTER. Von den Haberern?

PFARRER. Ist der Bürgermeister nicht da?

AMTSRICHTER. Und der Hoflieferant?

PFARRER. Der Nusser?

AMTSRICHTER. Wir suchen sie überall.

PFARRER. Denen ist auch getrieben worden.

AMTSRICHTER. Dem Mohrenwirt ebenfalls.

PFARRER. Denken Sie sich!

AMTSRICHTER. Dem ganzen Dorf ist getrieben worden.

PFARRER. Vor nichts ist dieses Gesindel zurückgeschreckt.

AMTSRICHTER. Unerhört!

PFARRER. Sie hat man auch belästigt?

AMTSRICHTER. Deshalb halten Sie wohl den Revolver?

PFARRER. Hat man Ihnen etwas getan?

AMTSRICHTER. Reden Sie!

PFARRER. Reden Sie!

AMTSRICHTER. Daß wir die Bande erwischen.

PFARRER. Schnell, schnell!

AMTSRICHTER. Reden Sie doch!

POSTHALTER der beide mit offenem Munde anstarrte und immer wie vor einer plötzlichen Erscheinung stand, kommt zu sich. Meine Herren ... ich begreif' net.

AMTSRICHTER. Was begreifen Sie nicht?

PFARRER. Die Unverschämtheit dieser Bande?

POSTHALTER läßt wie im Traum den Revolver fallen. Nein ... nein, des net, ich begreif' net, daß Sie jetzt so plötzlich daher kommen?[796]

AMTSRICHTER. Wir müssen doch die Haberer suchen!

PFARRER. Versteht sich!

POSTHALTER. Ja? ... ja? hetzen denn die Haberer net hinter Ihnen daher?

AMTSRICHTER. Die Haberer?

POSTHALTER. Man hat sie doch fürchterlich schreien hören?

AMTSRICHTER. Ach was, Haberer!

PFARRER. Die sind auf und davon.

AMTSRICHTER. Wir suchen sie ja eben.

POSTHALTER. Ja, was is denn das nacher?

PFARRER sehr laut. Das is der Findelhausverein.

AMTSRICHTER. Der will zu seiner Fahne kommen.

POSTHALTER merkt alles und kann seine Freude kaum verbergen. Der Findelhausverein ist des?


In der Ferne setzt ein flotter Marsch ein. Pause.


POSTHALTER blickt triumphierend herum, mit starker Betonung. Der kommt aber spät.

HERR VON BECK der sich inzwischen lebhaft mit Götzensperger unterhalten hat. Allerdings!

GÖTZENSPERGER geht links ab.

AMTSRICHTER. Dieses Haberervolk hat ja alles verzögert und aufgehalten.

PFARRER. Sonst wären wir ja schon viel früher gekommen.

AMTSRICHTER. Natürlich! Der Verein hat sich ja auf der Straße nicht sammeln können.

PFARRER. Daher der Spektakel.

POSTHALTER. Was Sie sagen!

HERR VON BECK winkt ihm verstohlen, klug zu sein.

AMTSRICHTER. Schnell, schnell, Herr Posthalter, ehe die Leute eintreffen! Haben Sie Verdacht auf jemand?

POSTHALTER. Verdacht?

PFARRER. Sagen Sie 's offen!

POSTHALTER. Verdacht? Er bemerkt Seehansele. Halt, Herr Amtsrichter! Der da is vorhin 'reinkommen und hat anzügliche Redensarten g'führt, ich bin überzeugt ...

AMTSRICHTER. Ohne Zweifel.

PFARRER. Des is ja derselbe, der gestern abend ...

POSTHALTERIN kommt mit Götzensperger von links mit strahlendem Gesichte wieder. Jawohl, Hochwürden, der is!

PFARRER. Ah, guten Abend, Frau Posthalterin. Er spricht mit ihr weiter.[797]

AMTSRICHTER zum Gendarm auf Seehansele deutend. Packen Sie dieses Subjekt und fort damit!

GENDARM packt Seehansele.

GÖTZENSPERGER geht inzwischen zur Bühnentüre und läßt Foitenleitner und Nusser heraustreten, die sich erst noch scheu im Hintergrunde halten.

SEEHANSELE. Hi, hi, hi!

AMTSRICHTER. Wir haben den Rechten, der ist ein Haberer.

SEEHANSELE. A Haberer, hi, hi, hi. Vom Gendarm nach rechts gezogen, ab.


Musik etwas näher, aber immer so, daß die Unterhaltung nicht im mindesten gestört wird.


PFARRER der sich inzwischen mit der Posthalterin unterhalten hat. Aber da liegt ja die schöne Fahne am Boden.

POSTHALTERIN. Ja, sie ist vorhin a bissel ...

POSTHALTER. Nunterg'fallen!

POSTHALTERIN. Wir lassen 's aber glei' wieder machen.


Amtsrichter und Posthalter heben die Fahne auf.


GÖTZENSPERGER auf Foitenleitner und Nusser weisend. Herr Pfarrer! Da sind jetzt die beiden Vielbegehrten.

PFARRER dreht sich lebhaft um. Ah, meine Herren! Überall haben wir Sie gesucht.

AMTSRICHTER. Ihnen darf man ja gratulieren.

FOITENLEITNER. Gra ...

NUSSER. Gratulieren?


Die linke Türe öffnet sich. Es erscheinen Frau Wanninger und Rettinger mit Wally. Letztere Arm in Arm. Beim Anblick des Pfarrers bleiben sie betroffen stehen.


PFARRER der sie nicht bemerkt. Weil Sie die Gregoriwiesen so famos verkauft haben.

FOITENLEITNER UND NUSSER starren sich an.

PFARRER. No freilich, das is doch ein Glück für die Gemeinde.


Durch die Verandatüre erscheinen nach und nach Gäste und Bauern, die sich im Hintergrunde des Saales verteilen.


FOITENLEITNER stotternd. Ja ... Ja ...

NUSSER der jetzt auch versteht. Ein großes Glück!

PFARRER. Also gratulier' ich!

HERR VON BECK. Und dort müssen Sie auch gratulieren, Hochwürden, dort kommt ein Brautpaar.

PFARRER. Ist nicht möglich?

AMTSRICHTER. Was?[798]

PFARRER geht den Eintretenden entgegen. Das laß ich mir g'fallen. Jetzt wird's dem Herrn Assessor und dem Herrn Premierleutenant doppelt leid tun, daß sie nicht kommen können.

FRAU WANNINGER ganz in Wonne. Zu gütig, zu gütig.

POSTHALTER. Die Herren kommen nicht?

PFARRER. Beide lassen sich entschuldigen, sie gehen eben stets punkt dreiviertel neun Uhr zu Bett.

ALLE. Ja, ja, ja!


Die Musik bricht ab. Juchzend strömen Burschen und Mädchen herein. Dorfhonoratioren und Bauern folgen. An der Türe drängen sich fortwährend die Ankommenden nach.


FOITENLEITNER macht sich wieder an den Pfarrer und flüstert. Herr Pfarrer! Der Findelhausverein wär da!

NUSSER. Dürfen wir jetzt die Ehrenmitgliedsernennung verkünden?

PFARRER. Wüßte nicht, was ich dagegen haben sollte.

NUSSER laut und mit Pathos. Meine Herrschaften! Zum Beginn des heutigen Festes erklärt der Findelhausverein Herrn und Frau Posthalter Schlegel, sowie Herrn Großhändler Rettinger zu Ehrenmitgliedern.


Allgemeines Bravo.


NUSSER. Stimmen Sie alle mit mir ein in den Ruf: Die neuernannten, verdienstvollen Ehrenmitglieder, sie leben hoch! hoch! hoch!

ALLE rufen mit.

GÖTZENSPERGER. Setzen! setzen! setzen! Die Vorstellung beginnt!

POSTHALTER. 'n Banzen anstechen!


Während sich alles Stühle sucht, zieht Rettinger, der immer wie im Traum herumblickte, Herrn von Beck und Posthalter nach vorne.


LORENZ erscheint rechts und beobachtet den Posthalter.

RETTINGER. Sagt's mir nur, was soll denn das alles heißen? Was gibt 's denn nur?

HERR VON BECK. Kein Duell!

FRAU SPECHT UND FRÄULEIN SCHAITZACH treten rechts ein und begrüßen Frau Wanninger und Wally herzlich.

POSTHALTER. Kei Forderung!

GÖTZENSPERGER. Alles in Ordnung!

HERR VON BECK. Ganz famos![799]

GÖTZENSPERGER. Jetzt könnt's tun, was nur grad wollt's im Dorf und wenn's es no so dick auftragt's.

RETTINGER. Wieso denn?

GÖTZENSPERGER. Merkst no nix?

POSTHALTER mit kaum verhaltener Freude. 'm Amtsrichter und 'm Pfarrer haben s' a trieben, die dummen Esel.

RETTINGER. Trieben?

POSTHALTER. Freili', die Prachtmenschen.

LORENZ der mit dem Bierwechsel nach vorne kam, hat etwas zugehört und spricht zum Posthalter. Des hab i enk ja vorhin sagen wollen!

POSTHALTER. Des war 's?

LORENZ. Freili! Haben 's d' Haberer net guat g'macht?

POSTHALTER aufs höchste befriedigt. Flott haben sie 's hertrieben, die ganze Gesellschaft. I lob mir die Haberer!


Der Bühnenvorhang geht unter den sanften Klängen der auf der Veranda gebliebenen Musikkapelle in die Höhe. Flora, Hulda und Minna stehen als Engel mit langen Flügeln und Palmenwedeln auf dem Podium. Der Vorhang fällt.

Ende der Komödie.
[800]

Quelle:
Dramen des deutschen Naturalismus. Herausgegeben von Roy C. Cowen, München 1981, S. 766-801.
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