[Wahnsinn fasst mich beim Gefühl der Liebe]

Wahnsinn fasst mich beim Gefühl der Liebe,

Die ich für Derwische stets empfunden;

Hätt' ich doch, zum Lohn für meine Triebe,

Der Derwische Wohnort aufgefunden!


Nimmer sprech' ich vom Derwische heute

Der sich anschickt zu verschmitzten Streichen;

Denn es gibt viel unglücksel'ge Leute

Die im Aeussern den Derwischen gleichen.


Nur von dem Derwische will ich reden,

Den, so oft er seufzt aus banger Seele,

Eine Stimme, tönend wie aus Eden,

Freundlich frägt, was dem Derwische fehle?


Mohammed, hold dem Derwischen-Pfade,

That gar stolz auf den Derwischen-Orden;

Viele Zeichen sind, von Gottes Gnade,

Zum Derwischen-Ruhm gesendet worden.


Wenn Derwische ihren Tanz beginnen,

Bei dem Klange ihrer frommen Lieder,

Schwebt der Schöpfer von des Himmels Zinnen

In das Gasthaus der Derwische nieder.


Wenn der Becher im Derwischen-Kreise,

Vollgefüllt mit Liebeswein, erklinget,

Ist es Chiser, der Prophet, der Weise,

Der als Derwisch-Schenke sich verdinget.[159]


Selbst Hăidēr, der Fürst der gläub'gen Lande,

Des Propheten Schwäher, reich an Segen,

Sprach, er wolle in des Knecht's Gewande

Gern die Schwelle der Derwische fegen.


Lasse deinen Blick, o Tebris' Sonne,

Den Derwischen Huld und Gnade künden!

Dann nur wirst du ew'ge Lebenswonne

Durch die Herzen der Derwische finden.

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 157-161.
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