[Welch' eine Werkstatt ist's]

Welch' eine Werkstatt ist's,

Die du gehegt im Herzen?

Und welche Götzen sind's,

Die du gepflegt im Herzen?

Es kam der freud'ge Lenz,

Es kam die Zeit der Saaten;

Wer weiss es, welches Feld

Du hast geegt im Herzen?

Den Flor der Heiligkeit,

Der Aeusseres verhüllet,

Gelüftet hast du ihn,

Und weggelegt im Herzen.

Der Fuss des Suchers steckt

Tief in des Schlammes Gründen;

Das Haupt füllt Weindunst ihm,

Der sich geregt im Herzen.

Weit höher steht das Herz

Als selbst des Himmels Zinne;

Sonst würde nimmer dir

Der Mond bewegt im Herzen.

Es mag des Menschen Herz

Wohl eine Hauptstadt heissen:

Du bist's, der immerdar

Die Krone trägt im Herzen.

Das Herz, o Seele, ist

Ein Wunderforst zu nennen:

Du bist's, der Könige

Als Wild erschlägt im Herzen.

Das Meer des Herzens treibt

Wohl tausend hohe Wogen

Voll Perlen, wie man sie

Nur stets erfrägt im Herzen.

Es schweiget jetzt mein Mund;

Zu eng ist der Gedanke

Für jenes Herzensbild

Das du geprägt im Herzen.[113]

Bis die Sonne nicht ihr hehres

Lichtgezelt hat aufgeschlagen,

Wird der Ring der Tagesvögel

Seinen Flug wohl nimmer wagen.

Tulpen sprossen aus der Erde

Durch der Sonne Feuerblicke;

Und wer jetzt im Hause weilet,

Fördert selbst sein Missgeschicke.

Sieh, das Blut der Morgenröthe

Ward vom Sonnenschwert vergossen:

Recht ist's, wenn das Blut von tausend

Morgenröth'gen ihm geflossen.

Liebender, erschliess' dein Auge,

Blick' empor zum Seelenreiche!

Ach, er gleicht dem vollen Monde,

Während ich dem Neumond gleiche.

Immer beut er mir den Becher,

Dem der Dauer Glück entquillet,

Und durch seines Bechers Gnade

Ward ich, Flaschen gleich, gefüllet.

Schlaferfüllten Auges sprach ich:

»König, sieh die Nacht erscheinen!«

»Nacht vor deinem Antlitz – sprach er –

Doch unmöglich vor dem meinen

Graut der Morgen, weiss noch Niemand

Was vom Tage sei zu halten;

Doch im hellen Mittagsglanze

Kann der Zweifel nimmer walten.

Blicke auf die Seelensonne,

Scharfen Auges, voll Vertrauen;

Wenn du von mir dich gewendet,

Wirst die Schönheit du erschauen.

In dem Glanze seiner Scheibe

Prangt der Glaubenssonne König;

Er, die Zier von Tebris' Fluren,

Dem das Glück ward unterthänig.[115]

Deine glanzerfüllte Schönheit

Raubt mir den Verstand, o Herz!

Und ich nenne dich ein Kunstwerk

Aus des Schöpfers Hand, o Herz!

Tausend Sonnen, tausend Augen,

Tausend Fackeln dienen dir:

Dunkel ist vor deinem Strahle

Selbst der Seelen Land, o Herz!

Gränzen gibt es, die die Schönheit

Nicht zu überschreiten wagt;

Doch die deine hat wohl nimmer

Granzen anerkannt, o Herz!

Sanfte Peris, wilde Dive

Harren knechtisch deines Wink's;

Engel, Sterne, Himmel biethen

Dir der Treue Pfand, o Herz!

Welchem Herzen hast du nimmer

Aufgedrückt der Liebe Maal?

Welchem Maal versagst du jemals

Heilenden Verband? o Herz!

Alle ew'gen Schätze stehen

Unter deinem Machtgeboth,

Und du wahrst auch ird'sche Schätze,

Reich an Unbestand, o Herz!

Nicht entziehe den Verbrannten

Deinen Blick; denn sieh, dein Blick

Kühlt und labt gleich Kevser's Quelle,

Heilet jeden Brand, o Herz!

»Jener Mond – so sprach ich – gleichet

Tebris' hellem Sonnenlicht.«

Doch das Herz sprach: »Nein; denn Beide

Trennt ein weiter Rand, o Herz!«

Quelle:
Rumi, Ǧalal o’d-din: Auswahl aus den Diwanen. Wien 1838, S. 111-117.
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