VII.

[167] Die »Law-Office« der Advocaten Griswald und Duncan galt als die bedeutendste im County, wenn auch die äußere Erscheinung derselben wenig davon wahrnehmen ließ. Ein vorderes Zimmer, das drei abgenutzte, mit langjährigen Tintenflecken verzierte Schreibtische und verschiedene halbzerbrochene Stühle enthielt – und ein hinteres mit besonderm[167] Eingange, welches einige Reihen Gesetzbücher, einen kleinen eisernen Geldschrank und sechs wackelige Sessel um einen eben so ausgedienten eirunden Tisch zeigte, bildeten die ganzen Räumlichkeiten, denen man es daneben noch ansah, daß jährlich kaum einige Mal sich der Besen darin blicken ließ.

Es war Abend und die Office geschlossen; in dem hintern Zimmer waren jedoch sämmtliche sechs Stühle von theils ältern, theils jüngern Männern besetzt, während ein siebenter auf dem niedern Geldschranke Platz genommen hatte. Zwei Talglichter auf verrosteten Leuchtern gaben eben Licht genug, um die einzelnen Gesichter erkennen zu lassen.

»Well, Gentlemen,« begann Griswald, welcher am obern Ende des Tisches saß, »es ist jedenfalls gut, wenn wir unsere Sache gemeinschaftlich betrachten und uns vollkommen verständigen. Mr. Murphy will, wie Sie wissen, den in seinen Händen befindlichen Anspruch an das uns bekannte Eigenthum durch den hiesigen Theil der allgemeinen Advocaten-Association vertreten wissen und dafür fünfzig Procent des Ertrages an die hiesigen Mitglieder der Association abgeben. Die einzige Frage, welche jetzt noch in Betracht zu ziehen wäre, ist die: ob die Klage auf vollständige Abtretung des Eigenthums eingeleitet, oder ob der jetzige Inhaber desselben zur Zahlung eines Abstandsquantums vermocht werden soll. Die Frage ist offen, Gentlemen, und ich werde meine eigene Meinung mir bis zuletzt vorbehalten.«

»Wie ich die Angelegenheit betrachte,« ließ sich ein ältlicher Mann vernehmen und bog seinen Stuhl schaukelnd auf die beiden Hinterfüße, »so sieht der Fall beim ersten Anblick allerdings bestechend genug aus; indessen glaube ich doch, daß unser Freund Murphy zu sanguinisch in seinen Hoffnungen gewesen ist. Die Giltigkeit indianischer Besitztitel in unserm Staate ist im Allgemeinen eine höchst zweifelhafte Sache und hängt zum großen Theile von der Auffassung des einzelnen Falles ab; und daß in dem gegenwärtigen der Titel in der Land-Office angemeldet worden[168] ist, thut nichts zu seiner Verbesserung. Die Anmeldung hat durchaus keine andere Bedeutung, wie die jedes einfachen Claims, und die betreffende Person hätte sich auf dem beanspruchten Lande niederlassen müssen, was augenscheinlich nicht geschehen ist. Als einfacher Proceß zwischen zwei streitenden Parteien angesehen, würde der Fall sicherlich ein ausgezeichneter zu nennen sein; es läßt sich von beiden Seiten für den Advocaten viel daraus machen; soll aber die Association selbst Partei darin ergreifen, so muß ein schneller, reeller Erfolg vor allen Dingen ins Auge gefaßt werden, den ich bei einer Klage auf Eigenthumsabtretung im vorliegenden Falle nicht sehen kann, und es wäre deshalb meine Meinung, die nöthigen Anordnungen zu treffen, um den jetzigen Inhaber des Eigenthums zur Zahlung eines verhältnißmäßigen Abstandsgeldes für den erhobenen Anspruch zu bestimmen. Ich glaube, daß selbst Mr. Murphy mit mir darin einverstanden sein wird.«

»Well, Gentlemen,« klang Murphy's Stimme vom Geldschranke, »ich habe in den letzten Tagen privatim die Ansicht der meisten hier gegenwärtigen Herren gehört, und allerdings stimmt diese mit der des vorigen Redners überein. Aber was man nicht direct erreichen kann, Gentlemen, läßt sich vielleicht auf einem Umwege erlangen. Ich habe mir als Minimum eines Abstandsgeldes 30,000 Doll. gedacht, etwa der sechste Theil dessen, was der Boden und die Gebäulichkeiten der Farm werth sind, welcher Betrag in einer Mortgage auf das gesammte Eigenthum zu zahlen sein würde. Wie aber mit 30,000 Doll. Mortgage bei der Verfallzeit ein noch viel größerer Werth als das in Rede stehende Eigenthum erlangt werden könnte, wenn nur einigermaßen richtig und auf den Zweck gearbeitet wird, brauche ich den Herren nicht erst aus einander zu setzen.«

Ein Kopfschütteln Griswalds unterbrach den Sprechenden. »Ich glaube, daß derartige Speculationen über den Zweck der Association hinausgehen,« sagte der alte Advocat;[169] »ich stimme ganz mit dem ersten Redner überein, daß nur ein schneller, reeller Erfolg ins Auge gefaßt werden kann, wie er durch ein Abstandsquantum zu erzielen ist, mag dieses auch durch Mortgage gezahlt werden; die Verwandlung derselben in baares Geld wird auf keine Schwierigkeiten stoßen und die Ansprüche eines Jeden von uns sofort befriedigt werden können.«

Ein vielfaches Nicken in dem Kreise der Anwesenden bekräftigte Griswalds Einwurf, und dieser fuhr nach kurzem Räuspern fort: »Wenn der hier anwesende Theil der Association in der Angelegenheit richtig verfährt, den Fall als einen hoffnungslosen für den bedrohten Theil ansieht und ihn so im Gespräche mit Andern behandelt, wenn wir den Einfluß, welchen unsere längere Erfahrung uns über die jüngeren Collegen in der Stadt gibt, richtig verwenden, wenn besonders Mr. Murphy den Besitztitel entfernt von einer möglichen allzugenauen Prüfung Unberufener hält, so bin ich fest überzeugt, daß der jetzige Inhaber des Eigenthums, schon wenn er die allgemeine Meinung der Gesetzkundigen gegen sich sieht und bei der dadurch naturgemäß erzeugten Entmuthigung, sich zu dem in Rede stehenden Abstandsquantum herbeilassen wird, besonders da es nicht in baarem Gelde geleistet werden soll. Ich betrachte zugleich den einzuschlagenden Weg als eine vollkommen ehrliche Taktik. Mit Sicherheit kann in dem vorliegenden Falle Niemand den Ausgang eines einzuleitenden Processes bestimmen; selbst aber den günstigsten Ausgang für den Beklagten angenommen, so würde dieser an Kosten und Gebühren dennoch eine jetzt kaum zu berechnende Summe zu zahlen haben, und wenn sich auch das Abstandsquantum etwas höher als die Proceßkosten belaufen dürfte, so wird für ihn der Unterschied reichlich durch die beseitigte Gefahr eines gänzlichen Verlustes seines Eigenthums und die schnelle Ordnung der Angelegenheit ausgeglichen.«

»Einverstanden!« ließ es sich von mehreren Seiten hören,[170] und Murphy, der ungeduldig auf dem Geldkasten umher gerückt war, hielt sichtbar eine Erwiderung zurück.

»Wenn deshalb Niemand gegen den vorgeschlagenen Plan etwas einzuwenden hat,« fuhr Griswald fort, »so möchte ich empfehlen, langsam und vorsichtig unsere Operationen zu beginnen. Mr. Murphy hat versprochen, sich mit mir in fortwährender Verbindung zu erhalten, und sollte sich irgend etwas von Wichtigkeit ereignen, so soll Ihnen rechtzeitig Mittheilung davon werden. – Wer von den Herren noch irgend etwas vorzutragen hat, möge sich melden. – Niemand! Die Sitzung ist aufgehoben.«

Ohne Geräusch erhob sich ein Jeder. – Griswald schloß die Hinterthür auf, und einzeln, in Zwischenräumen von einer Minute verließen die Anwesenden die Office. Hinter dem letzten schloß Griswald die Thür wieder, löschte die Lichter aus und nahm seinen Weg durch das Vorderzimmer nach der Straße. Er hatte hier kaum einige Schritte gethan, als er seinen Namen nennen hörte.

»Halloh, Mr. Nelson!« rief er, den in der Dunkelheit Herankommenden erkennend, und reichte ihm die Hand; »habe Sie ja wer weiß wie lange nicht gesehen; betreiben jetzt angenehmere Geschäfte als Advocatenpraxis, wie ich mir sagen ließ, he?« Er brach in ein herzliches Gelächter aus und schüttelte dem jungen Manne derb die Hand. »Begleiten Sie mich nach dem Hotel, Sir? Mein Magen ist von der Hitze so schlaff, daß ich ihm einen derben Brandy-Smash zu kosten geben muß. Die Arznei schlägt aber auch das junge, hitzige Blut nieder; was meinen Sie also dazu, Sir?« Er lachte von Neuem.

»Well, ich danke Ihnen, Mr. Griswald, vielleicht nachher!« erwiderte der junge Advocat mit gedämpfter Stimme. »Ich möchte gern ein paar Worte ungestört mit Ihnen reden; ich war Nachmittags schon einige Male in Ihrer Office, ohne Sie treffen zu können.«

»Aber, Mann, doch nichts Geschäftliches heute mehr?«[171] sagte Griswald mit komischem Entsetzen; »ich versichere Sie, mein Kopf und mein Magen sind so herunter, daß ich kaum noch einen Gedanken fassen kann – ist es so eilig? Was ist es denn?«

»Es wäre mir allerdings lieb gewesen, Sir, noch heute mit Ihnen zu reden,« war die Antwort. »Squire Elliot ist bis jetzt in der Stadt geblieben, um aus einer Conferenz zwischen mir und Ihnen etwas bessere Laune mit nach Hause nehmen zu können. Sie kennen ja den sonderbaren Fall, welchen Murphy gegen ihn vertritt!«

»Bah! und da auch noch ein Wort darüber reden!« versetzte Griswald geringschätzig. »Lassen Sie die ganze Sache ruhig gehen und trinken Sie einen Smash mit mir, das ist das Beste, was Sie in der Angelegenheit thun können.«

»Aber, Mr. Griswald –«

»Haben Sie das Document gesehen? Jedenfalls nicht, sonst bin ich von Ihrer eigenen Routine in solchen Dingen überzeugt, daß Sie nur die Achseln gezuckt und Squire Elliot gerathen haben würden, sich auf gute oder schlimme Weise, wie es eben gegangen wäre, mit dem Inhaber des Besitztitels abzufinden. – Ich mag mich irren,« fuhr er, die Schultern hebend, fort, »Elliot mag irgend einen andern erfahrenen Rechtsmann zu Rathe ziehen – ich selbst will aber mit einem solchen verlorenen Posten in keiner Weise mehr in Berührung kommen. Bei Jingo!« setzte er plötzlich lachend hinzu und schlug dem jungen Advocaten auf die Schulter, »da fällt mir ja ein, daß Ihr junges Herz einen Antheil an der Sache hat – Teufelsgeschichte das! Lassen Sie uns unsern Smash trinken und die Sorgen vergessen – das ist wirklich das Einzige, was man jetzt thun kann.«

»Das Document ist mir allerdings noch nicht zu Gesicht gekommen,« sagte Nelson und ging mit halb gesenktem Kopfe neben seinem ältern Collegen dem Hotel zu; »es war immer zur Beurtheilung in andern Händen –«[172]

»Noch ein Wort!« unterbrach ihn Griswald, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen stehen bleibend, »ich nehme im Grunde genommen so viel Antheil an Elliot, daß ich ihn gern von einem unausbleiblichen Ruin retten möchte. Sie haben Einfluß auf ihn, wenigstens kann bei dem Verhältniß, in welches Sie künftig zu ihm treten wollen, kein Verdacht gegen Ihre Aufrichtigkeit in ihm entstehen. Rathen Sie ihm, den alten Titel durch drei unserer erfahrensten Rechtsanwälte prüfen zu lassen – ich glaube kaum, daß Murphy bei der Gewißheit seiner Sache einen Einwand dagegen machen wird – und wenn der Squire dann die Gewißheit von seiner Gefahr, an die er noch gar nicht zu glauben scheint, eingesehen hat, so mag er seinen Stolz einmal in die Tasche stecken, sich zu Murphy begeben und mit diesem über ein Abstandsgeld unterhandeln. Elliot ist im Besitz des streitigen Eigenthums und hat dadurch, dem Sprichwort nach, zwei Drittel des Rechts für sich. Murphy wird jedenfalls alle seine Mittel aufbieten müssen, um, wenn sich Elliot wehrt, den Proceß durchzuführen, und wird so, wie ich mir denke, sein Ohr nicht gegen einen vernünftigen Vorschlag verschließen. Arbeiten Sie für diesen Gedanken, junger Mann, wenn Sie wirklich Elliots Freund sind, bringen Sie ihn zur vollen Erkenntniß seiner Lage; das ist der einzige Weg, um den Ruin von ihm und seiner Familie abzuhalten.«

Griswald ging schweigend weiter, bis sie das Hotel erreicht hatten und er in den Bar-Room eintreten wollte.

»Ich denke, ich trinke jetzt nichts, Sir, Mr. Elliot erwartet mich,« sagte Nelson und ergriff die Hand seines Begleiters, sie kräftig drückend, »es scheint mir wirklich, als sei Ihr Rath der beste, und wenn Murphy den von ihm vertretenen Anspruch einer Prüfung in der Weise, wie Sie es vorschlugen, unterwerfen will, so sehe ich keinen Grund, warum Mr. Elliot sich nicht jeder einigermaßen annehmbaren Forderung unterwerfen sollte. Entschuldigen Sie[173] mich jetzt, Mr. Griswald, ich sehe Sie jedenfalls morgen wieder.«

Er wandte sich die Straße hinab. Griswald sah ihm mit einem kurzen Husten nach und trat dann in den Bar-Room, wo er mit einem gemüthlichen Lachen einen Brandy-Smash »für einen verdrießlichen Magen« forderte.

Es waren kaum zwei Tage vergangen, als auch die Gefahr, welche über dem Besitzer von Oaklea schwebte, schon das allgemeine Gespräch nicht nur in der Stadt, sondern auch im ganzen County bildete. Elliots Besitzrecht, welches dieser von den Vereinigten Staaten erworben hatte, war als so unantastbar betrachtet worden, daß unter die Grundbesitzer, welche aus zweiter Hand gekauft hatten, mit der Nachricht von der Bedeutsamkeit des erhobenen Anspruchs ein fast panischer Schrecken gefahren war. Alle die Advocaten, welche als routinirt in den Land-Verhältnissen galten, hatten beide Hände voll zu thun, um längst geprüfte Besitztitel einer neuen sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen; kleine Fehler darin, welche sonst stets unbeachtet gelassen worden waren, erhielten plötzlich eine beängstigende Wichtigkeit; man erzählte sich, daß den beiden Nachbarn Elliots, welche, wenn auch nur zu einem geringen Theile, von dem neu aufgetauchten Besitztitel betroffen wurden, von ihren Advocaten achselzuckend der Rath ertheilt worden war, abzuwarten, welchen Weg Elliot einschlagen werde, und sich diesem dann anzuschließen, wenn sie überhaupt sich Kosten zu machen gedächten; die erfahrensten Rechtsanwälte der Stadt sprachen es unverhohlen aus, daß nur in einem Uebereinkommen und einem großen Opfer von Elliots Seite einige Aussicht zur Rettung für diesen zu suchen sei, und keiner von Allen, welche Einsicht in das alte Document erhalten hatten, schien es nur der Mühe werth zu finden, sich in eine weitere Deduction des Falles einzulassen. Oaklea hatte in diesen Tagen mehr Besuche erhalten als jemals zuvor; jedem Ankommenden aber war durch die Schwarze der Bescheid[174] geworden, daß der Squire mit der Familie ausgefahren sei, und die Neugierigen hatten unverrichteter Sache wieder abziehen müssen.

Es war am fünften Abende, als Elliot in seiner Bibliothek mit großen Schritten auf- und abging. Zur Seite des Fensters wiegte sich seine Frau mechanisch im Schaukelstuhle und am Tische saß Nelson, den Kopf leicht in die Hand gestützt.

»Ich mag überlegen wie ich will,« sagte der Hausherr stehen bleibend, »so ist ein solcher Betrag kaum geringer als ein Ruin. 30,000 Doll. in einer Mortgage gegeben, machen jährlich 3000 Doll. Zinsen. Woher soll ich diese fortlaufend schaffen, wenn ich nicht nur für das Bestehen meiner Familie arbeiten will?« Er setzte seinen Gang von Neuem fort.

»Nehmen Sie meinen Vorschlag an, Mr. Elliot,« begann Nelson, den Kopf erhebend, »veräußern Sie einen Theil der Farm, und wenn es ein ganzes Viertel sein sollte, und decken Sie mit dem Erlöse die Mortgage, ehe sie zu viele Zinsen frißt. Sie haben das Gutachten unserer ersten Advocaten über den Fall gehört, Sie denken selbst nicht mehr an einen Proceß, und so heißt es jetzt, aus dem Schlimmen das Beste zu machen, was sich machen läßt. Murphy wird bald hier sein, und Sie sollten bis dahin einen klaren Entschluß gefaßt haben.«

»Ich weiß Alles und Sie haben vollkommen Recht!« erwiderte Elliot hastiger schreitend, »wenn der Entschluß nur so leicht wäre, als Sie meinen. Sie kennen meine Farm nicht, Sir, sie ist ein so abgerundetes Besitzthum, daß ich nicht weiß, wo lostrennen, wenn ich für einen Käufer nur ein halbwegs Ganzes daraus schaffen soll. Meine Nachbarn haben schon mehr Land als sie bewirthschaften, und wer würde außer diesen dreißigtausend Dollars für ein Eigenthum zahlen, das nichts Halbes und nichts Ganzes ist? Mein Land hat seinen Werth, die Höhe desselben liegt[175] aber dennoch viel in der Liebhaberei und stützt sich auf den Zusammenhang der ganzen Farm – dazu sind die Zeiten nicht eben brillant. Reißen Sie heute ein Stück ab, das erst neuer Gebäulichkeiten und neuer Einrichtungen bedarf, lassen Sie die Leute wissen, daß ich verkaufen muß, und ich will Ihnen danken, wenn Sie mir einen Käufer bringen, welcher nur die Hälfte des hier geltenden Ackerwerthes zahlt. Ich weiß, daß ich in den sauren Apfel beißen muß, nur weiß ich noch nicht wie, um mir nicht die Zähne für alle Zeit zu verderben.«

Nelson sah trübe vor sich nieder, und die Frau vom Hause verfolgte mit ängstlichem Auge den Gang ihres Mannes.

»Warten wir, bis dieser Murphy kommt, und erzählen Sie mir während der Zeit etwas Anderes,« begann Elliot nach einer Weile wieder und strebte sein Gesicht aufzuklären. »Haben Sie nichts von dem Thun und Treiben des Deutschen wahrgenommen, der noch ein Stein in unserm Wege ist? Ich denke, er wird in den nächsten Tagen selbst kommen und mir seine Propositionen stellen – aber billiger als Mr. Murphy!« fuhr er bitter lächelnd fort.

»Es ist schwer, über die jetzige Lage des Menschen ein Urtheil zu fällen,« versetzte Nelson aufblickend. »So oft ich ihn sehe, liegt eine Ruhe und Sicherheit in seinem Gesichte, als könne nichts seine Stellung hier erschüttern. Seit er aus der Akademie entlassen ist, verbringt er regelmäßig die Stunde nach Mittag bei den Zeitungen im Hotel, woraus er sich Notizen macht; außerdem hat er sich, wie ich höre, von seinem Tischnachbar die ›Reden großer amerikanischer Staatsmänner‹ geliehen, und ich glaube, daß er seine meiste Zeit mit einem Studium der englischen Sprache ausfüllt. In Geldverlegenheit scheint er durchaus nicht zu sein. Gestern hat er sein Kostgeld im Hotel für einen Monat vorausbezahlt, und am Abend sah ich seinen Schwarzen einen Wagen voll Welschkorn zu Pferdefutter abladen. Es will mir fast scheinen, als ständen ihm Mittel zu Gebote,[176] welche ihm seinen Verdienst als Musiklehrer ganz entbehrlich machen.«

»Mittel – hah, ich kenne seine Verhältnisse!« sagte Elliot mit dem Ausdruck gründlicher Verachtung. »Was er hat, stammt von mir oder ist aus Ellens früheren Ersparnissen angeschafft worden. Er mag noch etwas von seinem bisherigen Verdienst übrig haben, mit dem er vielleicht glaubt, den Leuten Sand in die Augen streuen zu können; das kann aber nur noch kurze Zeit anhalten, und dann sitzt er hier ohne auch nur das nöthige Geld zu haben, um nach dem Osten zurückkehren zu können. Ich glaube kaum, daß weitere Schritte gegen ihn nothwendig sind. Hat er noch Umgang?«

»Wol kaum nennenswerth, Sir – seine früheren Besuche bei den Familien der Stadt hat er, so viel ich erfahren, vollständig eingestellt – wie lange das aber anhalten wird, weiß ich nicht. Erst vorgestern sprachen sich ein halbes Dutzend Ladies dahin aus, er habe eine Manier zu grüßen, wenn er ein bekanntes Gesicht auf der Straße treffe, man wisse nicht, solle man es stolz, oder verbindlich, oder beides zusammen nennen, jedenfalls aber sei es durchaus unmöglich, ihn unbeachtet zu lassen. Und wenn ich dazu das Bedauern rechne, welches sich bereits hier und da über den eingetretenen gänzlichen Mangel an Musikunterricht ausspricht, so scheint mir, daß wir bald die Zeit erleben können, wo er, wenn auch nicht in der Akademie, doch in den einzelnen Familien seine Beschäftigung wieder aufnimmt.«

»Er wird es nicht thun, Gir, – niemals unter den jetzigen Umständen!« entgegnete Elliot mit zusammengezogenen Augenbrauen; »entweder läßt er seinen Hochmuth fahren und geht auf meine Bedingungen hin eine Scheidung ein, oder er verläßt den Staat. Lassen Sie mich nur das Dringendste, den Murphy'schen Anspruch, geordnet haben, und dann nennen Sie mich einen Lügner, wenn ich nicht binnen Kurzem mein Wort löse.«[177]

Er setzte finster seine Wanderung durchs Zimmer fort, während sich Nelson, den Kopf wieder in die Hand gestützt, seinen Gedanken überließ, und die Hausfrau matt zurückgelehnt aufs Neue sich in ihrem Stuhl zu wiegen begann.

Fünf Minuten mochten wortlos verstrichen sein, als sich die Thür halb öffnete und das Gesicht einer Schwarzen erschien. »Mr. Murphy ist im Parlor, Sir!«

Elliot blieb stehen und sah nach seiner Frau zurück. »Es ist besser, Liebe, du läßt uns jetzt allein,« sagte er halblaut, »ich mag die Angelegenheit nicht im Parlor verhandeln. – Ich lasse Mr. Murphy bitten, sich nach der Bibliothek zu bemühen. Zeige ihm den Weg, Flora,« wandte er sich dann gegen die Schwarze, während die Hausfrau sich erhob und an den Pflanzer herantrat. »Ordne die Sache so glatt und so schnell als du kannst, John, und mache dir keinen Kummer um mich,« sagte sie, ihre Hand auf seine Schulter legend, »was geopfert werden muß, geht ohne unsere Schuld verloren, und darum mache dir das Herz nicht zu schwer damit.«

Er küßte sie leicht auf die Stirn und führte sie nach der Thür, welche in diesem Augenblick durch die Schwarze von außen geöffnet ward, um den angekommenen Advocaten einzulassen. Murphy verbeugte sich tief vor der heraustretenden Hausfrau und wandte sich dann grüßend zu Elliot.

»Treten Sie ein, Sir!« sagte dieser und schloß hinter dem Advocaten die Thür. »Sie müssen entschuldigen, daß ich Ihnen die Mühe des Weges hierher gemacht habe, während ich selbst Sie hätte aufsuchen sollen; ich gestehe Ihnen aber, daß ich eine wahre Angst vor den neugierigen Gesichtern in der Stadt habe, so lange unsere Angelegenheit noch nicht geordnet ist. Sie haben mich durch Ihre Bereitwilligkeit, die Sache hier in Oaklea zu besprechen, wirklich zu Dank verpflichtet. Setzen Sie sich, Sir!«

Murphy neigte nur als Erwiederung auf die Worte des Pflanzers langsam den Kopf, warf Nelson einen vertraulich[178] grüßenden Blick zu und ließ sich auf dem nächststehenden Stuhle nieder.

»Well, Sir,« begann Elliot, dem Advocaten gegenüber Platz nehmend, »lassen Sie uns sofort der Sache auf den Leib rücken. Mr. Nelson hat mir Ihren Vorschlag über die Höhe eines Abstandsgeldes für Ihren Anspruch mitgetheilt; ich habe ihm aber auch vor kaum einer Viertelstunde bewiesen, daß die Höhe des Betrages mit meinem Ruin und dem meiner Familie auf gleicher Stufe steht. Wenn ich einmal zu Grunde gehen soll, so gestehe ich Ihnen, daß ich das lieber im offenen Kampfe thue als erst Jahre lang alle Sorgen und Qualen durchzumachen, um die Zinsen für eine Mortgage aufzubringen, die mir am Ende doch noch den Hals brechen muß. Ist es Ihnen daher wirklich um einen Vergleich zu thun, Sir, so stellen Sie eine Summe auf, die ein Mensch in unsern Verhältnissen hier erschwingen kann, wenn es auch selbst mit großen Opfern geschehen müßte.«

Murphy hob den Kopf mit einem kalten Lächeln. »Ich weiß nicht, ob Sie die Verhältnisse richtig beurtheilen, Sir,« sagte er, »ich stehe nicht hier für einen Anspruch meinerseits, sondern bin nur Anwalt für die Erben eines Nachlasses, in welchem sich das bekannte Document vorgefunden hat. Wenn ich nun auch mit völliger Machtvollkommenheit bekleidet bin, um zur Vermeidung eines kostspieligen Processes ein Arrangement mit Ihnen zu treffen, so müßte ich doch die schwerste Verantwortung auf mich laden, wenn ich aus irgend welchen Rücksichten den sichern Erfolg eines so bedeutenden Processes für einen Betrag, der im Verhältniß dazu eine Bagatelle genannt werden könnte, eintauschen wollte. – Ich hatte nicht erwartet,« fuhr er fort, das dunkle Auge ruhig auf dem Pflanzer ruhen lassend, »daß mir hier überhaupt noch ein Einwand entgegentreten würde. Der Weg, welchen ich ursprünglich einzuschlagen beabsichtigte, war ein anderer, und nur ein längeres Gespräch mit meinem Freunde[179] Nelson, dem ich, schon unserer gemeinschaftlichen Zukunft halber, gern einen Einfluß auf meine Handlungen als Anwalt gestatte, bewog mich, einen Betrag als Abstandsgeld zu stipuliren, welcher kaum den sechsten Theil des Werthes Ihrer Farm ausmacht, und die Verantwortlichkeit dafür auf mich zu nehmen, bewog mich auch zu gleicher Zeit, Ihnen als dem Freunde Nelsons selbst entgegen zu kommen. Ich fühle mich unglücklich, störend in Ihr häusliches Glück treten zu müssen; das ist nun aber einmal des Advocaten Loos im Allgemeinen. Ich will Sie durchaus nicht zu einem Vergleich drängen, Mr. Elliot; ich werde mich vielleicht ruhiger fühlen, wenn ohne weitere Verantwortlichkeit meinerseits die Angelegenheit den gewöhnlichen Proceßweg nimmt. Da aber einmal ein Vorschlag gemacht ist, so lassen Sie mich einfach wissen, ob Sie ihn anzunehmen gedenken oder nicht.«

Der Pflanzer blickte in finsterm Schweigen vor sich nieder und schüttelte nur dann und wann, wie einen einzelnen Gedanken verfolgend, den Kopf.

»Wenn Sie auf ein einfaches Ja oder Nein dringen und keiner andern Verhandlung Raum geben wollen,« sagte er endlich aufsehend, »so ist es mir ganz unmöglich, Sir, mich sofort zu entschließen; wenigstens müßten Sie mir eine kurze Zeit lassen, um mich über die Möglichkeit zu versichern, einer Mortgage von so hohem Betrage zur rechten Zeit begegnen zu können.«

Murphy schien nachzudenken.

»Ich will Sie, wie gesagt, nicht drängen, Squire,« sagte er nach einer Weile; »ich glaube mit einer Bedenkzeit meinen Clienten nichts zu vergeben. Sind Ihnen acht Tage genug?«

»Wenn Sie glauben, mir nicht längere Zeit geben zu können, so muß ich zufrieden sein.«

»Gut, Sir, mag es so sein!« erwiderte Murphy, sich erhebend. »Heute über acht Tage mag mir Freund Nelson[180] Ihren definitiven Bescheid überbringen. Die ganze Angelegenheit ist mir herzlich leid, Mr. Elliot, und ich kann Sie nur bitten, mich als Menschen nicht entgelten zu lassen, was der Advocat gegen Sie zu thun hat.«

»All right, Sir!« versetzte Elliot mit einem sauren Lächeln und verließ ebenfalls seinen Stuhl. »Jeder hat auf seinen eigenen Vortheil zu sehen, das ist der Welt Lauf.«

»Gute Nacht, Mr. Elliot!«

»Gute Nacht, Mr. Murphy« –

»Glauben Sie mit dem Aufschub etwas gewonnen zu haben?« fragte Nelson, als der Advocat das Zimmer verlassen hatte.

»Jedenfalls Zeit, die nichts kostet,« erwiderte der Pflanzer. »Die Hauptsache aber ist, daß ich während dieser Woche irgend eine Möglichkeit zum Verkaufe eines Theils meiner Ländereien ausfindig mache, und dazu sollen Sie mir helfen, junger Freund. Sollte ich auch alle die Opfer, welche ich voraussehe, dabei bringen müssen, so will ich lieber ein kleineres, freies Eigenthum haben, als ein großes mit einer Mortgage belastet, welche jede Nacht als ein Alp meine Träume heimsuchen würde. Kommen Sie jetzt zum Abendtisch, der wol schon lange auf uns wartet – wir sprechen später mehr über die weitern nothwendigen Schritte. –«

Murphy hatte die Stadt wieder erreicht, das gebrauchte Pferd wieder in den Leibstall zurückgeliefert und ging im Globe-Hotel die Treppe nach dem von ihm bewohnten Zimmer hinauf, um sich von dem Straßenstaube zu reinigen, als er einen Tritt hinter sich vernahm, der sich genau dem seinigen anpaßte. Er sah sich nur flüchtig nach der ihm folgenden Person um, schloß sein Zimmer auf und stellte hier das mitgebrachte Licht auf den Tisch. – Als er sich umwandte, fiel sein Blick auf die Gestalt eines Mannes neben der Thür, von dem sich indessen in der schwachen Beleuchtung nichts Bestimmtes erkennen ließ. »Wer ist da?« fragte Murphy barsch.[181]

Die Gestalt kam einige Schritte näher, nahm den Hut ab, verbeugte sich und sagte: »Mein Name ist Wells, Sir – Henry Wells, Ihnen zu dienen!«

Der Advocat starrte den Mann eine Weile sichtbar betroffen an. Schwarzes, lockiges Haar umgab ein glattrasirtes Gesicht; über einer goldenen Brille zeichneten sich ein Paar dunkle, geschwungene Augenbrauen ab, und nur ein eigenthümlicher Zug von Sarkasmus um Mund und Kinn mahnte den Advocaten an frühere Bekanntschaft.

»Bei Gott, jetzt erkenne ich Sie erst wieder, Seifert,« rief dieser endlich wie in unangenehmer Ueberraschung. »Ihre Verwandlung ist gut, aber in des Himmels Namen, was führt Sie denn hierher, wo Sie keinen Augenblick sicher sind, festgenommen zu werden? Sie entsinnen sich doch noch des Sklavendiebstahls beim Squire Elliot?«

»Sklavendiebstahl – festnehmen – hm! Aus dem Loche pfeift also jetzt der Wind!« sagte der Andere ruhig, beide Arme über einander schlagend, »ich denke, wenn man Wells heißt und selbst von dem eigenen Geschäftepartner nicht wieder erkannt wird, so kann die Gefahr nicht so groß sein. Ist Ihnen denn mein Besuch so unangenehm, Sir, daß Sie gleich versuchen müssen, mir die Freude des Wiedersehens zu verbittern? Oder hatten Sie mit etwas zu großer Sicherheit darauf gerechnet, daß mir der Boden hier zu heiß sein würde?«

»Well, Sir, um kurz zu sein: was führt Sie eigentlich hierher?« fragte Murphy mit gerunzelter Stirn.

»Sonderbare Frage!« erwiderte Seifert mit anscheinender Befremdung den Kopf schüttelnd. »Sind wir nicht Partner in dem Geschäfte, welches Sie jetzt hier betreiben, habe ich nicht meinen Theil Arbeit gewissenhaft erfüllt, so daß ich jetzt als Zuschauer Ihre weitern Schritte beobachten darf? Fürchten Sie durchaus nicht, daß ich Ihnen lästig werde, Sir; ich habe bereits zu meinem großen Vergnügen gehört, wie meisterhaft Sie alles Nöthige eingeleitet haben,[182] am unserm Geschäft einen vollständigen Erfolg zu sichern. Ich habe das größte Vertrauen zu Ihrem Talente, und ich gestehe Ihnen, daß ich bereits in der Idee schwärme, endlich einmal etwas wie ein wohlhabender Mann zu werden.«

In Murphy's Gesicht bildete sich ein Zug, halb stiller Aerger, halb Hohn. »Und wenn ich Ihnen nun sage, Sir, daß Sie sich wegen des erwarteten Erfolges verrechnet haben,« sagte er sich gegen den Tisch lehnend, »daß der Proceß gar nicht eingeleitet werden wird und, Alles in Allem, kaum so viel bei dem Unternehmen herausspringen kann, um die von mir daran gewandten Kosten zu decken? Wenn ich Ihnen deshalb sage, daß durchaus keine Ursache für Sie vorhanden ist, um sich hier einer Gefahr der Erkennung preiszugeben?«

»So, so – hm, hm!« entgegnete Seifert mit vollkommener Ruhe. »Trotz alledem, lieber Herr, gedenke ich doch ein Weilchen die hiesige Landluft zu genießen. Ich habe nun einmal die fixe Idee, daß Henry Wells hier keine besondere Gefahr zu fürchten hat, selbst wenn Sie, Sir, um ihn los zu werden, ihm ein Freundschaftsstückchen spielen und die alten Geschichten, welche der Mann Seifert begangen haben soll, wieder aufwärmen wollten. In einem solchen Falle könnte ich eine unterhaltende Historie von einem gestohlenen Depositenscheine aus dem Nachlasse des Pedlars Isaak Hirsch erzählen, könnte ganz merkwürdige Enthüllungen über die Weise geben, wie der Anspruch gegen Squire Elliot in die Hand eines hiesigen Advocaten gespielt worden ist, und dergleichen mehr, was jedenfalls die Glaubwürdigkeit meines Anklägers etwas erschüttern dürfte. Ich halte mich nach dieser Seite hin nicht nur für gedeckt, sondern glaube auch noch erwarten zu dürfen, daß mich Mr. Murphy als seinen alten Freund Henry Wells aus New-York identifiziren würde, wenn es irgend einem andern Jemand einfallen sollte, daran zu zweifeln.«

Murphy hatte sich verfärbt. »Wer sagt Ihnen denn,[183] Sir, daß ich etwas gegen Sie unternehmen will? Ich weiß leider nur zu gut, wie ich mit Ihnen stehe,« sagte er und suchte seinen Zügen sichtlich Festigkeit zu geben; »aber ich frage, was ist der Zweck Ihres Hierseins, das nichts nützen, Sie aber jeden Augenblick in Verlegenheit bringen und mich mit hineinziehen kann?«

»Und wenn es nun kein anderer gewesen wäre, als das Andenken meiner geringen Person bei Ihnen etwas aufzufrischen – käme ich nicht gerade jetzt zur rechten Zeit?« lächelte Seifert mit seiner ironischen Höflichkeit. »Sie sagten so eben noch, es könne bei unserm Unternehmen kaum etwas für mich abfallen, – wäre es nicht besser, Sie überlegten sich die Sache noch einmal?«

»Ich habe Ihnen gesagt, daß der Fall nicht zum Proceß kommen kann,« versetzte der Advocat finster; »ich habe den Werth des Documentes, auf welchem die ganze Speculation ruht, überschätzt. Eine Kleinigkeit werde ich jedenfalls durch den erzeugten Schrecken herauspressen können, und Sie sollen nicht um Ihren Antheil kommen.«

»Very well, Sir!« unterbrach Seifert, ein ernstes, bedenkliches Gesicht ziehend, »ich darf natürlich an Ihrer Wahrheitsliebe nicht zweifeln – ich muß Ihnen aber Eins sagen. Wie es Leute gibt, welche hunderttausend Dollars mit Vergnügen stehlen würden, wenn sie könnten, während sie vor einem Diebstahl von fünf Dollars zurückschaudern, so würde ich selbst mir die größten Gewissensbisse machen, einen armen Judenjungen zu Tode und eine achtbare Pflanzerfamilie dem Ruin nahe gebracht zu haben, wie dies Letztere wenigstens die ganze Stadt behauptet – wenn ein reichlicher Erfolg diese Sünden nicht lohnte. Und Gewissensbisse sind ein erschreckliches Ding, Sir, wenn sie den Menschen treiben, wieder gut zu machen, was er verbrochen. Ueberlegen Sie also noch einmal, Mr. Murphy, was sich thun läßt, um dem Uebel vorzubeugen – in einigen Tagen sehe ich Sie wieder, und wir werden dann bestimmter mit einander[184] reden. Einstweilen leben Sie wohl. Sollten wir uns heute noch im Bar-Room sehen, so wissen Sie, wer ich bin und wie lebhaft unsere alte Freundschaft für einander ist.« Er nickte dem Advocaten lächelnd zu und schritt langsam aus dem Zimmer.

Murphy, an den Tisch zurückgekehrt, hatte sich während der letzten Worte gezwungen, dem Sprechenden fest ins Gesicht zu sehen, und blieb in seiner Stellung, bis er Seiferts letzte Schritte auf der Treppe verhallen hörte. Mit einem unterdrückten Fluch schlug er dann mit der Faust auf den Tisch und warf sich auf den nächsten Stuhl. Eine Weile sah er finster sinnend vor sich nieder, plötzlich aber, wie von einem lichten Gedanken erfaßt, sprang er auf und sah nach seiner Uhr. »Noch Zeit!« brummte er, griff nach seinem Hut und verließ raschen Schrittes das Hotel. Er bog von der Hauptstraße des Städtchens in einen Nebenweg ein, bis er die Rückseite von Griswalds Office erreichte, wo sich durch die geschlossenen Jalousien ein schwacher Lichtstrahl stahl. Auf ein dreimaliges Klopfen öffnete sich die Thür und er verschwand dahinter.

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als er, von Griswald begleitet, wieder heraustrat. »Keinen Schritt darf er unbeaufsichtigt thun, und Sie müssen noch heute die nöthigen Anstalten deshalb treffen,« sagte Murphy mit gedämpfter Stimme, »und sollte sich Ihre Vermuthung bestätigen, so werde ich für das Uebrige Vorsorge treffen.« Beide schieden, sich die Hände schüttelnd.

Quelle:
Otto Ruppius: Das Vermächtnis des Pedlars. Leipzig [o.J.], S. 167-185.
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Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

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