Siebente Abteilung:

Von dem Einflusse der Erziehung

Ein Wesir hatte einen schwachköpfigen Sohn; er schickte ihn zu einem Gelehrten und ließ ihm sagen: Erziehe diesen, vielleicht wird er gescheit. Der Gelehrte unterrichtete ihn einige Zeit, aber es wirkte nichts; zuletzt schickte er jemand zum Vater und ließ ihm sagen: Er ist nicht gescheit geworden, und mich hat er zum Narren gemacht.


Wenn die Seele von Natur empfänglich,

Dann nur wirkt Erziehung auf sie ein.

Mag der Feger auch das Eisen reiben,

Ist es schlecht, er macht's nicht gut und fein.

Wasche siebenfach den Hund im Meere,

Naß wird er und drum nur wen'ger rein.

Führt man Jesu Esel auch nach Mekka,

Wenn er kömmt, wird er ein Esel sein.


*


Ein Wesir gab seinen Söhnen Rat und Lehre und sagte: Ihr lieben Seelen eures Vaters, lernet etwas Tüchtiges, denn auf den Besitz und Reichtum der Welt kann man nicht bauen, der hohe Rang geht nicht mit zum Stadttore hinaus, Silber und Gold ist auf der Reise eine Ursache der Gefahr, und zu Hause wird es entweder von dem Diebe auf einmal erbeutet oder von dem Herrn stückweise vergeudet. Aber das Talent ist ein fruchtbringender Quell und ein immerdauernder Schatz; wenn auch der Talentvolle seinen Reichtum verliert, so grämt er sich nicht, denn das[241] Talent ist an und für sich ein Reichtum. Der Talentvolle wird überall, wo er hinkommt, Ehre besitzen und obenan sitzen, wer aber kein Talent hat, wird überall, wo er hinkommt, kümmerliche Bissen aufheben und bittere Not erleben.


Hart ist es, wenn man selbst befohlen, sich befehlen lassen,

Gewöhnt an Schmeichelei, sich von den Leuten quälen lassen.

Einst in Syriens unruhvollen Tagen,

Mußt' aus seinem Winkel jeder gehn.

Kluge Bauernsöhne aus den Dörfern

Durften als Wesir' am Throne stehn;

Unverständ'ge Söhne von Wesiren

Konnte man in Dörfern betteln sehn.

Willst du deines Vaters Erbe, lerne deines Vaters Wissen,

Denn des Vaters Reichtum kannst du nach zehn Tagen schon vermissen.


*


Ein ausgezeichneter Mann war mit der Erziehung eines Königssohnes beauftragt; er schlug ihn auf rücksichtslose Art und behandelte ihn mit maßloser Strenge. Der Knabe, der es nicht mehr aushalten konnte, klagte es seinem Vater und entblößte seinen mißhandelten Körper. Seine Klagen gingen dem Vater zu Herzen, er ließ den Lehrer rufen und sagte zu ihm: Gegen die Söhne der gemeinen Untertanen erlaubst du dir keine solche[242] Gewaltsamkeit und Strenge wie gegen meinen Sohn, warum tust du das? Der Lehrer antwortete: Mit Überlegung reden und auf lobenswerte Art handeln soll ein jeder, besonders aber die Fürsten, denn alles, was durch der Könige Hand und Mund geht, wird gewiß von allen besprochen, das Reden und Tun der gemeinen Leute dagegen wird nicht so beachtet.


Vergeht ein Armer sich auch hundertmal,

Nicht eins von hundert wird bei ihm gesehn;

Doch hat ein König einmal nur gefehlt,

Von Land zu Land pflanzt gleich sich sein Vergehn.


Darum muß man auf die Ausbildung der Fürstenkinder mehr Mühe verwenden, als auf die der gemeinen Leute.


Wer nicht in der Kindheit schon gebildet ward,

Dem ist auch im Alter nicht das Glück gewogen,

Leicht nach Willkür bieget man den grünen Stab,

Doch der dürre wird im Feuer nur gebogen.

»Die grünen Zweige kannst du wohl gerade machen,

Am dürren Holze hilft dir alles Richten nichts.«


Dem Könige gefiel das einsichtsvolle Verfahren und die verständige Rede des Erziehers, so daß er ihm Geld und Ehrenkleid gab und ihn zu einem höhern Rang erhob.


*
[243]

Ich sah im Abendlande einen Schulmeister von bitterer Rede und finstrer Miene, von bösem Gemüte und grausamen Sinne, die Bettlerseele nur gerichtet nach Gewinne; sein bloßer Anblick verwandelte des Muselmanns Lebensfreude in Trauer, und sein Koranlesen erfüllte der Menschen Herzen mit Schauer. Eine Schar schuldloser Knaben und fleckenloser Mädchen waren in seine gewalttätige Hand gegeben, und durften sich nicht erlauben zu lachen, noch sich beikommen lassen zu sprechen; bald schlug er mit einer Ohrfeige die Silberwange des einen, bald folterte er mit Schlägen das Kristallbein des andern. Zuletzt wurde, wie ich erfuhr, ein Teil seiner Bosheit bekannt; man schlug ihn und jagte ihn fort, und gab seine Schule einem friedlichen, frommen, gutmütigen, sanftmütigen Manne, dem nur die äußerste Notwendigkeit ein hartes Wort abzwang, und dem nie eine beleidigende Rede über die Lippen drang. Die Furcht, welche die Kinder vor dem ersten Lehrer gehabt hatten, verschwand aus ihrem Kopfe, und da sie den Engelssinn des zweiten Lehrers sahen, so wurden sie untereinander zu Teufeln, und sich verlassend auf seine Güte, zogen sie sich das Lernen nicht mehr zu Gemüte; so daß sie mit Tändeln und Spielen die meiste Zeit verschleuderten, und einander die unbeschriebenen Schreibtafeln an die Köpfe schleuderten.
[244]

Läßt der Lehrer nicht den Kindern Strenge fühlen,

Gehn sie auf den Markt, um Reiterspiel zu spielen.


Nach vierzehn Tagen ging ich an der Türe jener Moschee vorüber, und sah den ersten Lehrer, mit dem man sich wieder vertragen und ihm die frühere Stelle wieder übertragen hatte. Ich war natürlich darüber entrüstet und entsetzt, und rief: Warum haben sie den Satan noch einmal zum Lehrer der Engel gemacht? Ein welterfahrener Greis, der es hörte, lachte und sprach: Hast du niemals dieses Wort gehört?


Als eines Königs Söhnlein zur Schule einst gegangen,

Hatt' er ihm eine Tafel von Silber umgehangen,

Darauf mit Gold geschrieben sich diese Inschrift fand:

Des Lehrers Streng' ist besser als Vaters Liebeshand.


*


Dem Sohne eines frommen Mannes fielen aus der Hinterlassenschaft seiner Oheime große Reichtümer zu; er überließ sich wüster Ausschweifung und ergab sich unsinniger Verschwendung, kurz, von allen Vergehungen und Sünden war keine, in die er nicht versunken, und von allen berauschenden Getränken keines, das er nicht getrunken. Einmal suchte ich ihn zu ermahnen und[245] sprach: O mein Sohn, die Einkünfte sind ein fließendes Wasser und der Lebensgenuß ist ein drehender Mühlstein, das heißt, große Ausgaben stehn nur dem frei, der feste Einnahmen hat.


Gib wenig aus, hast du nichts einzunehmen.

Es fällt sogleich der Schifferspruch mir ein:

Ist Regen im Gebirge nicht gefallen,

So kann aufs Jahr der Tigris trocken sein.


Wandle nach guter Sitte und Verstand, und entsage dem eiteln Spiel und Tand, denn wenn dein Geld und Gut dahin ist, dann wirst du dich in Not befinden und Reue empfinden. Der Jüngling, von der Lust der Musik und des Trankes berauscht, hörte nicht auf meinen Zuspruch, und erhob gegen meine Worte Widerspruch, indem er sagte: Den gegenwärtigen Genuß durch die Angst vor zukünftigem Verdruß stören, ist der Ansicht verständiger Leute zuwider.


Wozu soll, wer im Glücke sitzt und im Genuß,

Verdruß sich machen nur aus Sorge vor Verdruß?

Geh' hin, mein trauter Freund, sei fröhlich ohne Sorgen!

Es quäle heute dich der Kummer nicht von morgen!


Am wenigsten ziemt dieses mir, der ich mich zu dem Ehrenplatze des Edelsinns emporgeschwungen und den Knoten der Freigebigkeit zusammengeschlungen, so daß alles ertönt von dem Ruhme meiner großmütigen Spendungen.
[246]

Wer der Großmut Kranz davongetragen,

Darf dann nicht sein Geld in Fesseln schlagen.

Läuft sein guter Name auf den Straßen,

Kann die Tür' er nicht verschlossen lassen.


Ich sah, daß mein guter Rat bei ihm keinen Eingang fand, und daß der heiße Hauch meiner Rede auf sein kaltes Eisen keinen Eindruck machte; ich ließ daher ab von meiner Ermahnung, und wandte mein Angesicht weg von seiner Gesellschaft, und setzte mich in den Winkel der Sicherheit nieder, und folgte dem Worte der Weisen: »Sage, was an dir liegt, und wenn man es nicht annimmt, was liegt dir daran?«


Wenn sie dich auch nicht hören, mußt du doch,

Was du von gutem Rat hast, ihnen bringen.

Mit beiden Füßen ist der eitle Tor

Gefangen bald in des Verderbens Schlingen;

Dann ruft er jammernd aus: O ließ ich doch

Des Weisen Rat zu meinem Ohre dringen!


Nach einiger Zeit sah ich das, was ich vorher gedacht hatte, durch die Versunkenheit seines Zustandes zur Wirklichkeit geworden; denn er flickte Lappen auf Lappen und sammelte Brocken um Brocken. Sein elender Zustand ging mir zu Herzen, und ich hielt es nicht für edel, die Wunde des Armen durch Vorwürfe zu erneuen und Salz hineinzustreuen; ich sagte daher zu mir selbst:


Der Niedrige in seiner Trunkenheit

Gedenket nie der Armut schwerer Zeit.[247]

Im Frühling streut der Baum der Blüten Fülle,

Drum ist er auch im Winter ohne Hülle.


*


Ein Fürst übergab einen Knaben einem Lehrer und sagte zu diesem: Erziehe ihn ganz wie einen deiner eignen Söhne. Der Lehrer bemühte sich ein Jahr mit ihm und brachte es zu nichts, während seine Söhne sich in Talent und Beredsamkeit auszeichneten. Der König stellte den Gelehrten deshalb zur Rede, machte ihm Vorwürfe und sprach; Du hast deiner Zunge zuwider gehandelt und dein Versprechen nicht gehalten. Jener erwiderte aber: O König, die Erziehung ist dieselbe, aber die Fähigkeit ist verschieden.


Wird Silber auch und Gold im Steine nur gefunden,

In jedem Stein trifft man nicht Gold und Silber an.

Es sieht zwar alle Welt den Stern Kanopus glänzen;

Hier macht er Leder nur, dort macht er Saffian.


*


Einen Ordensscheich hörte ich einst zu einem Novizen sagenl: Wenn das Gemüt des Menschen, wie es an dem täglichen Brote hängt, ebenso an dem Geber des täglichen Brotes hinge, er würde auf einer höhern Stufe stehn als die Engel.
[248]

Vergessen hat auch Gott dich damals nicht,

Als du ein Tröpflein warst, verhüllt und klein.

Das Leben hauchte er, Gefühl, Verstand,

Gedanke, Schönheit, Redekraft dir ein.

Zehn Finger reiht' er deinen Händen an,

Zwei Arme knüpft' er an das Schulterbein.

Und nun, kleingläub'ge Seele, denkst du wohl,

Du könntest je von ihm vergessen sein?


*


Ich sah einst einen Araber, der zu einem Knaben sagte: »Mein Sohn, du wirst am Tage der Auferstehung gefragt werden: was hast du dir errungen? nicht: woher bist du entsprungen?« das heißt, man wird dich fragen: was ist dein Verdienst? nicht: wer ist dein Vater?


Das Kabakleid, das sie so eifrig küssen,

Hat nicht vom Seidenwurme seinen Ruhm:

Beim Heil'gen durft' es ein'ge Tage liegen,

Und ward dadurch nun selbst ein Heiligtum.


*


In den Schriften der Weisen wird berichtet, daß die Skorpionen nicht auf die gewöhnliche Weise wie die andern Tiere geboren werden, sondern sie fressen die Eingeweide ihrer Mutter und zerreißen ihren Bauch und kommen heraus und gehn ins Freie; die Häute, die man in der Skorpionenhöhle sieht, sind eine Spur davon. Einst sprach ich von dieser Eigentümlichkeit in Gegenwart[249] eines Großen; er bemerkte: Mein Herz legt von der Wahrheit dieser Erzählung Zeugnis ab, ja es kann nicht anders sein: weil sie in der Kindheit gegen Vater und Mutter so gehandelt haben, darum sind sie auch, wenn sie groß geworden, so beliebt und angenehm.


Zum Sohne sprach ein Vater mahnend:

Dies präge deinem Herzen ein:

Wer seines Lebens Stamm nicht ehret,

Wird nicht geliebt, nicht glücklich sein.


Zu dem Skorpion sagte man: Warum kommst du im Winter nicht heraus? Er antwortete: Welche Achtung erzeigt man mir im Sommer, daß ich auch noch im Winter herauskommen sollte?


*


Die Frau eines Derwischs war schwanger; als die Zeit ihrer Schwangerschaft zu Ende ging, gelobte der Derwisch, dem sein ganzes Leben noch kein Sohn geboren worden war: Wenn mir Gott der Allmächtige einen Sohn schenkt, so werde ich mit Ausnahme dieser Kutte, die ich trage, alles, was ich besitze, den Derwischen zum Geschenk machen. Es traf sich, daß seine Frau einen Sohn zur Welt brachte; er war hocherfreut, und gab seinen Freunden zur Erfüllung seines Gelübdes ein Mahl. Als ich einige Jahre darauf von der Reise nach Damaskus zurückkam, ging ich durch das Stadtviertel dieses Derwischs und erkundigte mich nach seinem Befinden. Man sagte mir, er sei[250] im Gefängnisse des Statthalters; als ich nach der Ursache fragte, antwortete man: Sein Sohn ist in ein Weinhaus gegangen und hat Händel angefangen, hat einen umgebracht und sich aus dem Staube gemacht; um seinetwillen hat man seinen Vater eingezogen, und ihm eine Kette an den Hals und schwere Fesseln an den Fuß gelegt. Ich sagte: Dieses Unglück hat er sich im Gebete von Gott dem Allmächtigen erfleht.


Wenn schwangre Weiber, o vernünft'ger Mann,

Zu ihrer Zeit gebären eine Schlange,

Doch besser ist es, nach der Weisen Wort,

Als wär' ihr Kind ein ungezogner Range.


*


Als ich noch klein war, fragte ich einen Großen über die Mannbarkeit. Er antwortete: In den Büchern werden der Zeichen der Mannbarkeit mehrere angegeben, in Wahrheit aber gibt es nur ein einziges, daß man sich nämlich an das Wohlgefallen Gottes mehr binde, als an die eignen sinnlichen Begierden; bei wem diese Eigenschaft nicht gefunden wird, den sehen die Wahrheitskenner nicht als mannbar an.


Als Mensch gestaltet sich ein Wassertropfen,

Der vierzig Tage bleibt im Mutterleibe.

Wer vierzig Jahre lebt im Unverstande,

Ziemt sich's, daß man ihn zu den Menschen schreibe?

Der Mensch zeigt sich in Edelmut und Güte,[251]

Nicht Mensch ist jene sinnliche Gestalt.

Die Tugend fehle nicht: denn Menschenbilder

Die werden leicht mit Farben hingemalt.

Ist nicht Verdienst und Liebe bei dem Menschen,

So hat das Mauerbild gleichviel Gehalt.

Verdienst ist's nicht, das Erdengut gewinnen;

Vermagst du's, bring' ein Herz in die Gewalt.


*


Eines Jahres entstand Streit unter den Pilgern, die zu Fuß nach Mekka wallfahrteten, auch meine Wenigkeit machte die Reise unter jenen Fußgängern mit; die natürliche Folge war, daß wir uns übereinander her machten, und uns reichlich mit den Gaben des Haders und Zankes bedachten. Da hörte ich einen, der in einer Kamelsänfte saß, zu seinem Gefährten sagen: O Wunder, die Läufer von Elfenbein, wenn sie das Feld des Schachbretts durchlaufen haben, werden zur Königin, das heißt, sie werden besser als sie vorher waren, und die Läufer der Wallfahrt haben das Feld der Wüste durchlaufen und sind schlechter geworden.


Sage von mir jenem Pilger, der die Menschen peinigt,

Der der Leute Fell zerreißt und Zank und Streit erregt:

Du bist wahrlich nicht ein Pilger, dein Kamel ist's, weil es

Mühsam sich von Dornen nährt und schwere Lasten trägt.


*
[252]

Ein Hindu lernte das Naphtawerfen; ein Weiser sagte zu ihm: Für dich, dessen Haus aus Schilfwerk, ist dies kein Spielwerk.


Sobald du weißt, daß deine Rede nicht völlig recht ist, sag' es nicht,

Und wenn du weißt, daß auf die Frage die Antwort schlecht ist, frag' es nicht.


*


Ein Mann, der an einem Augenübel litt, ging zu einem Vieharzt und verlangte von ihm ein Heilmittel; der Vieharzt strich ihm auf das Auge von der Salbe, die er den vierfüßigen Tieren aufzulegen, pflegte, und der Mann wurde blind. Sie brachten die Sache vor den Richter; dieser sprach: Jener ist zu keinem Schadenersatz verbunden, denn wäre der Mann nicht ein Esel, so wäre er nicht zu dem Vieharzt gegangen. Aus dieser Erzählung soll man lernen, daß, wer einem Unerfahrnen ein wichtiges Geschäft anvertraut, außer der Reue, die er empfindet, auch noch von den verständigen Leuten des Leichtsinns beschuldigt wird.


Ein kluger Mann wird wichtige Geschäfte

Niemals dem Ungeschickten übergeben.

Wer Matten webt, der ist wohl auch ein Weber,

Allein man nimmt ihn nicht zum Seidenweben.


*
[253]

Ein Großer hatte einen ausgezeichneten Sohn; dieser starb und man fragte den Vater, was man auf sein Grabmal schreiben solle. Er antwortete: Die Verse der Heiligen Schrift sind zu erhaben, als daß es passend wäre, sie auf Örter hinzuschreiben, wo die Zeit sie verwischt, die von den Menschen betreten und von den Hunden beschmutzt werden; wenn ihr durchaus etwas schreiben wollt, so begnügt euch mit diesen Versen:


Ach! wie hab' ich überall, wo Grünes sproßte,

In dem Garten meines Lebens Lust genossen.

Geh' vorüber, Freund, du siehst vielleicht im Frühling

Junges Grün hervor aus meinem Staube sprossen.


*


Ein frommer Mann ging bei einem Reichen vorbei und sah, wie dieser einen an Händen und Füßen gebundenen Sklaven züchtigte. O mein Sohn, sprach er, Gott der Allmächtige hat ein Geschöpf gleich dir deinem Willen unterworfen und dir Macht über ihn gegeben; beweise dich dankbar gegen Gott für diese Wohltat und erlaube dir gegen diesen keine solche Gewalttat, damit nicht einst bei der Auferstehung dieser Sklave besser sei als du und du beschämt dastehest.


Am Sklaven übe strenge Ahndung nicht,

Erdrück' ihn nicht mit deines Zorns Gewicht:[254]

Für zehn Direms kannst du dir ihn verschaffen,

Doch deine Macht ist's nicht, die ihn erschaffen.

Wozu die Willkür, Stolz und Zorn wozu?

Ein Herr ist da, der größer ist als du.

Gewalt'ger Herr, kannst du dich je vermessen,

Den eigenen Gebieter zu vergessen?


In der Überlieferung von dem Propheten, ihm sei Heil! heißt es: Der größte Schmerz am Tage der Auferstehung wird sein, daß man den guten Sklaven in das Paradies und den schlechten Herrn in die Hölle führt.


Beim Sklaven, der im Dienst dir treu gehorcht,

Verleite dich der Zorn nicht zum Vergehn.

O Schimpf, muß man am Tag der Rechenschaft

Den Sklaven frei, den Herrn in Ketten sehn!


*


Eines Jahres reiste ich von Balk nach Bamian, und da der Weg durch Räuber sehr unsicher war, nahm ich zum Schutze einen Jüngling als Reisegefährten mit, der es verstand, den Bogen zu führen und den Schild zu regieren, die Waffe zu schwingen und den Gegner zu zwingen, so daß zehn kräftige Männer die Sehne seines Bogens nicht schnellen machten, und die Gewaltigsten der Erde seinen Rücken nicht auf den Boden brachten. Aber er war an Wohlleben gewöhnt und im Schatten aufgezogen, hatte die Welt nicht[255] gesehn und war nicht auf Reisen ausgezogen; der Donner der Heertrommel der Streiter war nicht vor seinem Ohr erklungen, und der Blitz des Schwertes der Reiter war nicht in sein Auge gedrungen.


Noch nie war er in Feindes Hand gefangen,

War unter Pfeileregen nie gegangen.


Indem wir beide miteinander davoneilten, riß er jede alte Mauer, die sich zeigte, mit kräftigem Arm auf den Boden, und jeden großen Baum, den er sah, mit starker Faust aus dem Boden, und rühmte sich, indem er sprach:


Wo ist der Elefant, daß er die Kraft des Männerarms gewahre?

Wo ist der Löwe, daß er vor des Tapfern Faustschlag sich bewahre?


So gingen wir weiter; auf einmal sahen wir zwei Hindus hinter einem Felsen stehn, die es auf unser Leben abgesehn; der eine hatte in der Hand einen Stock, der andere unter dem Arm einen Pflock. Ich sagte zu dem Jüngling: Was zauderst du?


Lege nun von deiner Stärke Proben ab;

Sieh', es stürzt der Feind sich selber in das Grab.


Aber ich sah Pfeil und Bogen aus der Hand des Jünglings fallen und Zittern seinen Körper überfallen.


Nicht jeder, der mit scharfem Pfeil vermag ein Haar zu spalten,

Vermag auch bei dem Überfall der Feinde standzuhalten.
[256]

Es blieb uns nichts anderes übrig, wir mußten Gepäck und Waffen und Kleider hingeben, und retteten so noch unser Leben.


Die wicht'ge Sache übergib nur dem erfahr'nen Mann,

Der auch den grimm'gen Löwen weiß geschickt ins Netz zu jagen.

Hat auch der Jüngling starken Bau und Elefantenkraft,

Es sind doch vor dem Feind vor Furcht die Glieder ihm zerschlagen.

Dem kriegserfahr'nen Mann allein ist so der Kampf bekannt,

Wie der Gelehrte Antwort weiß auf die Gesetzesfragen.


*


Eines reichen Mannes Sohn sah ich auf dem Grabe seines Vaters sitzen, und gegen den Sohn eines Armen im Wortstreite seine Zunge spitzen: Das Grabmal meines Vaters, sagte er, ist von hartem Fels und die Inschrift prangt mit der Farben Schmelz, es ist mit einer Platte von weißem Marmor belegt und mit Türkissteinen eingelegt; aber wie sieht das Grab deines Vaters aus? zwei drei Ziegelsteine aneinandergereiht und eine Handvoll Erde darauf gestreut. Der Arme hörte ihn an und sprach: Schweige, denn bevor dein Vater unter diesem schweren Steine sich nur rühren kann, kömmt mein Vater schon[257] im Paradiese an, und in der Überlieferung heißt es: »Der Tod der Armen ist Ruhe.«


Legt man dem Esel leichte Bürde auf,

Vollbringt er um so leichter seinen Lauf.

Der arme Mann, der stets des Elends Last geschleppt,

Wird an des Todes Tor leicht nackt und bloß erscheinen.

Doch wer in Überfluß und Ruhe stets gelebt,

Dem muß das Sterben wohl ein hartes Los erscheinen.

Befreit von Fesseln wird der Arme glücklicher

Als der gefangne Fürst im Grabesschoß erscheinen.


Ein Großer, welcher über die Bedeutung dieses Spruches der Überlieferung gefragt wurde: »Dein ärgster Feind ist die Begierde, die in deinem Innern wohnt«, antwortete: Es ist darum, weil jeder Feind, dem du Gutes erzeigst, zum Freunde wird, die Begierde aber, je mehr du dich ihr freundlich erweisest, dir um so mehr widerstrebt.


Der Mensch, der wenig ißt, wird an Gestalt ein Engel,

Doch frißt er wie das Vieh, so schrumpft er kraftlos ein.

Wem du den Wunsch erfüllst, der ist dir auch gehorsam:

Befriedigt wird die Gier nur widerspenst'ger sein.
[258]

Quelle:
Sa'dî, Musliheddîn: Der Rosengarten. München 1923, S. 238-259.
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