IX.

[69] Schon am nächsten Vormittage fand sich ein Hauptmann des Generalstabes in Begleitung eines Artillerieoffiziers in meiner Wohnung ein. Sie kämen, sagten die Herren, hinsichtlich des bedauerlichen Vorfalles, der gestern im Englischen Hof stattgefunden und welcher bereits zur Kenntnis der Militärbehörden gelangt sei. Man wünsche hohen Ortes, daß die Angelegenheit so rasch und einfach wie möglich beigelegt werde. Demnach wären sie infolge eines von seiten sämtlicher Beleidigten getroffenen Übereinkommens als Kartellträger des Herrn Leutnant Schorff ermächtigt, zu erklären, daß dieser im Namen aller übrigen die Sache zum Austrag bringen wolle.

Es kam also, wie ich es vorausgesehen, und obgleich sich bei ruhiger Betrachtung dieses Vorgehen auch wirklich als das vernünftigste erwies, so lag darin für Burda doch eine Art Geringschätzung, die ich wider Willen mitempfand.

»Ich glaube nicht, daß der Herr Oberleutnant Burda auf diese Proposition eingehen wird«, sagte ich.

»Er wird sich doch nicht mit jedem einzelnen schlagen wollen?« rief der Hauptmann, indem er, um seine Verwunderung auszudrücken, die Augen weit aufriß.

»Je nachdem.«

»Du mein Gott!« erwiderte er, die Achsel zuckend. »Indes, das wird sich ja ergeben. Fürs erste müssen wir aber an unserem Auftrage um so mehr festhalten, als Leutnant Schorff doch jedenfalls der Hauptbeleidigte ist.«[69]

Dagegen ließ sich nichts einwenden, und der Artillerist stellte zu dem Duell einen Fechtsaal zur Verfügung, welcher, wie er ankündigte, mit seiner Dienstwohnung auf dem Hradschin in Verbindung stehe und zu derlei Zwecken besonders geeignet sei. –

»Du hast ihnen sehr gut geantwortet«, sagte Burda, als ich ihm diese Unterredung mitteilte. »Ich danke dir. Was mich selbst betrifft, so werde ich die Sache jedenfalls zum Äußersten treiben. Allerdings laufe ich dabei Gefahr, zum Krüppel gehauen zu werden. Aber ich vertraue meinem Stern.«

Pistolenduelle waren damals in der Armee nicht üblich; man schlug sich fast durchgehends mit Säbeln, eine Kampfweise, welche die Tötung des Gegners in der Regel zwar ausschloß, aber immerhin einen sehr bedauerlichen Ausgang herbeiführen konnte. Dies erwog man jetzt auch im Regiment, woselbst die üble Stimmung gegen Burda plötzlich in rege Teilnahme umgeschlagen war. Sein mannhaftes Auftreten gegen die Kavalleristen, das eine Art gemeinsamen Stolzes wachrief, imponierte den meisten, und es fehlte nicht an Zeichen der Anerkennung, die Burda mit ernster Zurückhaltung entgegennahm. Man wünschte aufrichtig, daß er den Strauß siegreich bestehe, wobei man sich freilich nicht verhehlte, wie schwer dies einem Schorff gegenüber sein möchte.

Am nächsten Morgen – es war an einem Sonntage – fuhr ich mit Burda nach dem Hradschin, wohin sich der zweite Sekundant mit dem Wundarzte schon früher auf den Weg gemacht hatte. Wir wurden von dem Artillerieoffizier empfangen und in ein geräumiges Zimmer geführt, an dessen Wänden Papiere, Schläger, Masken und Plastrons hingen. In einer Ecke hatte man für alle Fälle ein niederes Feldbett aufgestellt; Eisbecken und Verbandzeug befanden sich in der Nähe. Der Hauptmann des Generalstabes war bereits anwesend; er prüfte, als wir eintraten, eben die beiden Duellsäbel, die auf einem Tische lagen. Auch ein zweiter Wundarzt war zugegen.[70]

Es dauerte nicht lange, so hörte man den Viererzug Schorffs heranrollen, und bald darauf erschien dieser in aufrechter Haltung und mit kurzem Gruß in unserer Mitte. Dann reichte er seinen beiden Sekundanten die Hand und begann sich zu entkleiden.

Als er sein buntgestreiftes Wollhemd ablegte, staunte ich über die Kraft und Fülle seiner Muskeln, die in auffallender Entwicklung hervortraten. Mit seinem breiten Nacken und dem gedrungenen Halse, auf welchem ein verhältnismäßig kleiner Kopf saß, hatte er etwas vom farnesischen Herkules, während Burda, der nun gleichfalls den Oberkörper entblößte, mit seiner zarten weißen Haut, seinen geschmeidigen, etwas weichlichen Formen an die Büste des Antinous mahnte. Eigentümlich war es zu sehen, wie jetzt die Gegner einander gegenübertraten und den üblichen Gruß austauschten. In den Mienen und Gebärden Schorffs lag Impertinenz, in jenen Burdas ritterliche Herablassung.

Wir gaben das Zeichen – und der Kampf begann. Schorff, sein Glas im Auge, schien die Sache leichtzunehmen; er glaubte offenbar, daß jeder seiner Hiebe, die er nur so obenhin führte, sofort sitzen müsse. Aber hierin irrte er. Burda verteidigte sich mit großer Ruhe und Sicherheit, die Schorff offenbar überraschte, aber auch reizte, und als er jetzt, vom Säbel seines Gegners gestreift, leicht am Ohre zu bluten begann, geriet er in Wut. Mit einem wahren Hagel von gewaltigen Streichen drang er auf Burda ein, so zwar, daß dieser Mühe hatte, standzuhalten, und bereits schwer zu atmen begann. Jetzt markierte Schorff eine Prim, führte aber in der Tat eine Terz, welche so mächtig traf, daß sofort auf der Brust Burdas ein langer, bluttriefender Spalt zum Vorschein kam.

»Halt! Halt!« schrien die Sekundanten und warfen sich dazwischen. Aber zu spät. Denn schon war ein gewaltiger Kopfhieb gefolgt. Burda taumelte, sein Säbel klirrte zu Boden – und gleich darauf folgte er selbst mit blutüberströmtem Antlitze nach.[71]

»Das ist Mord!« rief ich aus. Selbst der Hauptmann war ganz bleich geworden und stammelte: »Aber Schorff, was haben Sie getan?«

Dieser drehte sich auf den Hacken um und stieß durch die zusammengepreßten Zähne hervor: »Il l'a voulu!« Dann wusch er eine geringe Blutspur von der Wange, kleidete sich an, grüßte und ging.

Inzwischen hatte man den Schwergetroffenen auf das Feldbett geschafft. Dort lag er bewußtlos und stöhnte leise, während man die Wunden untersuchte. Sie schienen derart gefährlich, daß beide Ärzte, die um Burda beschäftigt waren, den Kopf verloren und erklärten, es sei das Schlimmste zu befürchten und sie könnten keine weitere Verantwortung auf sich nehmen. Der Herr Oberleutnant müsse sofort in das Militärspital gebracht werden. Der eine fuhr auch gleich mit dem Wagen, in welchem wir gekommen waren, dorthin voraus, um Vorbereitungen treffen zu lassen, während von seiten der Artillerie (in deren Kaserne wir uns befanden) eine Bahre samt Trägern beigestellt wurde.

Es war eine traurige Rückkehr, die wir jetzt, der öffentlichen Aufmerksamkeit möglichst ausweichend, nach der sonntäglich ruhigen Stadt antraten. Im Spitale hatte man ein kleines, abgesondertes Zimmer ermittelt, wohin man nun Burda brachte. Nach der ersten raschen Untersuchung erklärte der Chefarzt, mit der Brustwunde habe es nicht viel auf sich, aber die Schädeldecke sei schwer verletzt. Ob und wie tief der Hieb in das Gehirn eingedrungen, müsse noch genauer erforscht werden, jedenfalls stehe eine höchst gefährliche Entzündung in Aussicht. Dies teilte er auch dem Regimentsadjutanten mit, der im Auftrage des Obersten und in Begleitung anderer Offiziere erschienen war, um Erkundigungen einzuziehen. Auch von seiten der übrigen Garnison, in der sich die Kunde von dem unglücklichen Ausgange des Duells rasch verbreitet hatte, zeigte sich lebhafte Teilnahme. Der Doktor aber bat, man möge jetzt, um[72] jedes Aufsehen zu vermeiden, Nachfragen und Besuche einstellen; es würden zur rechten Zeit Nachrichten übermittelt werden. Da ich zu bemerken glaubte, daß ihm auch meine Gegenwart nicht sehr erwünscht sei, entfernte ich mich gleichfalls, nachdem ich als besonderer Freund des Verwundeten die Erlaubnis erbeten hatte, gegen Abend wiederkommen zu dürfen.

Als ich am späten Nachmittag das schmale, längliche Gemach betrat, in welchem Burda lag, herrschte dort melancholisches Düster. Schon im Inspektionszimmer hatte ich erfahren, daß es schlecht stehe. Er habe zwar wiederholt die Augen aufgeschlagen und zu sprechen versucht, aber immer wieder sei er in Bewußtlosigkeit zurückgesunken. Nun sah ich ihn auf dem dürftigen Bette, Brust und Haupt mit Eiskompressen bedeckt, die Augen geschlossen. Ihm zur Seite befand sich ein Wärter, der durch mein Erscheinen aus jener stumpfsinnigen Langeweile aufgeschreckt wurde, die ein solcher Dienst mit sich zu bringen pflegt. Er machte mir Zeichen des Bedauerns, wechselte die Umschläge und sagte dann mit leiser Stimme, er wolle jetzt frisches Eis holen – und auch, mit meiner Erlaubnis, sein Abendbrot einnehmen, das eben jetzt zur Verteilung kommen werde.

Ich war froh, fürs erste ungestört zu sein, und hieß ihn gehen. Dann setzte ich mich in einiger Entfernung von dem Bette nieder und betrachtete meinen armen Freund, der in der Tat schon wie ein Sterbender, wie ein Toter aussah. Tiefer Schmerz überkam mich, und dazu gesellte sich etwas wie ein Gefühl von Schuld. Hätte ich nicht verhindern können, daß es so weit gekommen? Hätte ich nicht schon längst alles anwenden sollen, um ihn, koste es, was es wolle, von seinen Täuschungen zurückzubringen? Aber hätt' ich es, nach allem, was ich an ihm erfahren – mit ihm erlebt, auch wirklich vermocht? Wäre es überhaupt möglich gewesen, ihn von seinem Wahne zu heilen? Nein, es war nicht möglich! Es mußte alles so kommen, wie es kam: er war, wie jeder, dem unerbittlichen[73] Schicksale seiner Natur verfallen. Und doch – trotz seiner Schwächen und Mängel, trotz seiner Irrtümer – welch ein vortrefflicher Mensch war er! Welche vornehme Seele! Welch tapferes Herz! Er hatte ein besseres Los verdient ...

Da schien es mir plötzlich, als rege er sich. Und in der Tat, es war so. Mit leichtem Stöhnen schlug er die Augen auf.

Ich trat leise an das Bett und beugte mich über ihn.

»Wer ist – wer ist da?« hauchte er.

Ich hatte alle Mühe, mich zu erkennen zu geben.

»Ach du – du!« brachte er mühsam hervor, während ein Strahl der Freude seine bleichen Züge umflog. »Ich glaube, ich bin verwundet«, fuhr er fort und machte einen schwachen Versuch, die Hand nach seinem Kopfe zu bewegen.

»Leider«, erwiderte ich, »und zwar nicht ganz unerheblich. Indessen – –«

»Aber wo bin ich denn?« fuhr er fort, die Augen mühsam hin und her bewegend. »Das ist ja nicht mein Zimmer –«

»Allerdings nicht; du bist – du bist im Spital – –«

»Im Spital!« wollte er aufschreien, vermochte es aber nicht und ächzte nur: »Im Spital – im Spital – und wenn jetzt – –« Er konnte nicht vollenden; sein Kinn sank zur Brust herab, und er verstummte.

Ich aber wußte, was er meinte. Mit der Besinnung war auch jener unselige Wahn wiedergekehrt. Er hatte sagen wollen: Und wenn jetzt die Prinzessin von meiner Verwundung erfährt – und hierhereilt –

»Wo sind meine Kleider?« fragte er mit einemmal hastig, meinen Gedankengang unterbrechend.

»Deine Kleider? Die werden wohl in jenem Schrank sein. – – Da sind sie.«

»Bitte – sieh in meinem Rocke nach – ob sich ein kleines Etui – darin findet –«

»Hier ist es!«

»Gib! Gib!« drängte er.[74]

Ich reichte es ihm. Er war aber nicht imstande, es zu öffnen, und ich mußte es für ihn tun. Ein vertrocknetes Veilchenbukett lag darin. Er nahm es in die bleiche, kraftlose Hand, senkte das Haupt und betrachtete es lange. Dann sagte er mit überraschend leichter und freier Stimme: »Lieber Freund du hast mir sehr oft mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben – daß ich in einer argen Täuschung befangen gewesen.« Er seufzte tief auf. »Mein Gott! Wenn es sich wirklich so verhielte – wenn alles nur Traum – Einbildung –«

Er verstummte wieder und atmete unruhig.

Es war zu viel! Dieser Strahl von Erkenntnis, der in dieser bangen Stunde plötzlich in ihm aufleuchtete, war von erschütternder Wirkung. Ich mußte an mich halten, um nicht in Tränen auszubrechen.

»Nein! Nein!« rief er jetzt, all seine Kraft zusammennehmend, »es kann nicht sein! Diese Veilchen – das mußt du selbst zugestehen – denn du weißt es – diese Veilchen sind von ihr

Wer wäre so grausam gewesen, es zu bestreiten?

»Ja, ja«, sagte ich, »ich weiß es, sie sind von ihr.«

Er brachte mit letzter Anstrengung den Strauß vor das Antlitz und küßte ihn. »Er sollte mir ein Talisman sein – aber er hat mich nicht beschützt.«

Seine Hände sanken herab – er war wieder bewußtlos. Gleich darauf trat auch der Wärter ein; ich schickte ihn um den diensttuenden Arzt. Dieser, ein noch sehr junger Mann mit intelligentem, aber etwas barschem Gesichte, erschien sofort.

»Nun?« fragte er mit einem Blick auf Burda.

»Er war zu sich gekommen«, sagte ich.

»Hat er mit Ihnen gesprochen?«

»Ja.«

»Vernünftig?«

»Ganz vernünftig«, erwiderte ich nicht ohne Verlegenheit.

»Und jetzt ist er wieder bewußtlos?« Er trat an das Bett,[75] langte nach dem Arme Burdas und fühlte den Puls. »Heftiges Fieber. Das ist der Anfang vom Ende. Übrigens, wer weiß – vielleicht –«

Dieses »vielleicht« bestätigte sich nicht. Noch in derselben Nacht verstärkte sich das Fieber, Delirien traten ein; am nächsten Tage folgten Paroxismen – und als ich das Krankenzimmer wieder betrat, war Burda eine Leiche. Bei den letzten traurigen Vorbereitungen, die man in meiner Anwesenheit traf, suchte ich überall nach dem Veilchenstrauße – doch umsonst: niemand wollte ihn gesehen haben. Man hatte ihn offenbar in den Kehricht geworfen.

Zum Schlusse machte sich der Zufall, der im Leben Burdas eine so große Rolle gespielt, noch einmal geltend. Fast am selben Tage, an welchem drei Ehrensalven über das Grab des Verblichenen hinwegdonnerten, war in den Zeitungen die Nachricht zu lesen, daß sich Prinzessin Fanny L ... mit dem Prinzen A ... verlobt habe.

Gegen Schorff aber kehrte sich jetzt allgemeiner Unmut, und man trachtete sogar, eine ehrengerichtliche Untersuchung des Falles wider ihn durchzusetzen. Da jedoch der junge Graf Z .... in die Angelegenheit mit verwickelt erschien, so wurde alles weitere niedergeschlagen und Schorff bloß nach Ungarn zu seinem Regiment versetzt. Einige Jahre später war er aus den Listen der Armee verschwunden. Was aus ihm geworden, habe ich nicht in Erfahrung gebracht.[76]

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 9, Leipzig [1908], S. 69-77.
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