I.

Ich sehe ihn noch vor mir, wie er ins Regiment kam: eine stramme Gestalt über Mittelgröße, knochig, sehnig, mit breiten Schultern und einem wahren Stiernacken, aus welchem ein verhältnismäßig kleiner Kopf saß. Das Gesicht kräftig gefärbt, hervorragende Backenknochen, stark entwickelter Unterkiefer und eine zwar nicht niedrige, aber schmale und zurückweichende Stirn. Ein mächtiger, fuchsroter Schnurrbart verlieh diesem Gesicht ein höchst martialisches Ansehen, bei näherer Betrachtung jedoch erkannte man, daß die Züge, die sich beim Sprechen stets zu einem freundlichen Grinsen zusammenzogen, sehr sanftmütig waren und daß die kleinen vergißmeinnichtblauen Augen ungemein wohlwollend, ja zärtlich blickten. Auch die Stimme des neu angekommenen Hauptmanns hatte durchaus nichts Kriegerisches, Rauhes. Sie klang vielmehr in einem weichen, modulationsfähigen Tenor, der sich besonders im Italienischen sehr angenehm anhörte. Und das Italienische war ja die Muttersprache des Conte Gasparo Nardini, der als letzter Sproß eines verarmten Adelsgeschlechtes im ersten Dezennium dieses Jahrhunderts zu Bologna das Licht der Welt erblickt hatte. Über seinem bisherigen Leben lag ein gewisses Halbdunkel, das selbst der hartnäckigste Vorwitz nicht vollständig aufzuhellen vermochte. Jedenfalls hatte er bereits gegen Ende der dreißiger Jahre als Offizier in einem Kavallerieregimente gedient, aber – wahrscheinlich infolge einer unangenehmen Affäre – seine[205] Charge quittiert. Hierauf war er in päpstliche Dienste getreten. In welcher Eigenschaft, stand dahin. Soviel aber war gewiß, daß er sich während der italienischen Wirren im Jahre achtundvierzig als Kommandant einer Gendarmerieabteilung um eine sehr hohe österreichische Persönlichkeit in außerordentlicher Weise verdient gemacht. Die Tatsache selbst war nicht recht bekannt; man sprach von Entdeckung und Vereitelung eines mörderischen Anschlages. Wie dem auch gewesen sein mochte: durch Vermittelung jener Persönlichkeit wurde Nardini als Oberleutnant wieder in die Armee übernommen und im Laufe der fünfziger Jahre als Hauptmann in das venezianische Regiment versetzt, bei welchem ich diente.

Der Empfang, den er fand, war in Ansehung des erwähnten Protektors äußerlich weit zuvorkommender, als es sonst, ähnlichen »Einschüben« gegenüber, der Fall zu sein pflegte; im übrigen wartete man ab, wie sich der Ankömmling in seinem Wesen entpuppen würde. Und da zeigte sich denn sofort, daß er nicht etwa, auf jene Beziehungen pochend, hochfahrend und selbstbewußt auftrat, sondern im Gegenteil eine fast übertriebene Bescheidenheit an den Tag legte. Allerdings verstand er vom Infanteriedienst soviel wie gar nichts und mußte in seinen Wirkungskreis erst eingeführt werden, wobei er überdies keine sehr hervorragende Intelligenz verriet. Da er sich aber als liebenswürdiger Vorgesetzter und guter, ehrlicher Kamerad erwies, so erfreute er sich bald allgemeiner Beliebtheit. Außer seiner Gage bezog er von dem hohen Gönner eine intime Zulage, welche dem vermögenslosen Grafen sehr zustatten kam. Dennoch trieb er keinerlei Aufwand; er hatte, wie die meisten Italiener, nur sehr geringe Bedürfnisse, ja er rauchte nicht einmal. Dabei war er keineswegs ein Knauser; bei ihm fand jeder offene Hand, und manchem von uns hatte er wiederholt aus arger Not geholfen. Aber er befand sich oft genug selbst in Geldverlegenheit, was mit einer persönlichen Schwäche im Zusammenhang stehen mochte, welche ihn nach und nach[206] in Verruf zu bringen drohte. Er wurde nämlich von einem ungewöhnlich starken Hange zum anderen Geschlecht beherrscht, dem er gewissermaßen im allgemeinen, das heißt fast ohne jede Auswahl, sehr augenfällig huldigte. In der kleinen mährischen Stadt, wo wir uns befanden, wurde dies natürlich sehr bald bekannt und man fing an, über den ältlichen Hauptmann zu spötteln, der auf der Straße jeder Schürze nachschmachtete. Zuweilen gab sein Benehmen in dieser Hinsicht auch Ärgernis, und es mußte dahin kommen, daß man ihm eine zwar wohlwollende, aber immerhin ernste Verwarnung zuteil werden ließ. Diese schien auch Wirkung zu tun; Conte Gasparo – so wurde er von uns genannt – schlich eine Zeitlang sehr niedergeschlagen und kleinlaut umher, ohne seine Blicke nach den mehr oder minder verführerischen Schönen zu werfen, welche an ihm vorüberkamen, so daß sich manche von ihnen über diesen plötzlichen Wandel sichtlich verwundert zeigte.

Da aber ereignete sich etwas, das die übelsten Folgen nach sich zu ziehen schien.

In dem Hause, in welchem Nardini wohnte, war eine Rasierstube eröffnet worden. Der Eigentümer, ein verlebt aussehender junger Mensch hatte aus der benachbarten größeren Stadt, wo er sich früher aufgehalten, ein weibliches Wesen mitgebracht, das als seine Frau galt. Diese Person saß zu gewissen Tagesstunden an der Kassa, was dem Geschäft einen höheren Anstrich verleihen – und wohl auch Kunden heranziehen sollte. Denn sie konnte eigentlich für hübsch gelten, hatte ein fein geschnittenes, sehr blasses Gesicht, auffallend reiches nußbraunes Haar und große dunkle Augen. Aber man erkannte bald, wie verblüht sie bereits war und daß sie eine bewegte Vergangenheit hinter sich haben mochte, daher man sie auch nicht weiter beachtete und ihr höchstens beim Kommen und Gehen einige Artigkeiten sagte. Auf Nardini jedoch schien sie Eindruck gemacht zu haben. Er war weit öfter, als es Bart- und Haarwuchs erforderte, in dem Laden anzutreffen[207] und benahm sich, wenn er sich vor beobachtendem Blick sicher glaubte, als feuriger Anbeter. Schließlich kam es auch dahin, daß ihm eine Zusammenkunft in seiner Wohnung bewilligt wurde. Nardini hatte seinen Diener weggeschickt und den Eingang abgesperrt. Plötzlich erhob sich draußen heftiges Gepolter. Es war der Gatte, der an die Tür pochte und Einlaß begehrte. Da nicht aufgetan wurde, steigerten sich seine eifersüchtigen Wutausbrüche derart, daß das ganze Haus zusammenlief. Nun aber, da schon die Tür gesprengt zu werden drohte, öffnete sich diese, und der Hauptmann erschien auf der Schwelle, die blanke Waffe in der Hand. Der betrogene Ehemann wollte trotzdem eindringen, wobei er einen Säbelhieb über den Arm und einen anderen in das Gesicht erhielt, der sich allerdings später als belanglose Schramme herausstellte, in diesem Augenblick aber die versammelte Nachbarschaft Blut erblicken ließ. Nun brachen allgemeine Verwünschungen und Drohungen los, und wer weiß, was noch geschehen sein würde, wenn nicht jetzt die Treulose, dicht an ihrem Ritter vorüber, mit aufgelösten Haaren hervor und an die Brust des Verwundeten gestürzt wäre, der sich auffallend rasch beschwichtigen und von ihr fortziehen ließ. Nicht so leicht gab sich die Entrüstung der übrigen zufrieden; es wurden noch immer gegen den sittenlosen Gewalttäter, der sich inzwischen wieder eingeschlossen hatte, Schmähworte laut, bis man endlich mit dumpfem Murren das Feld räumte.

Die Kunde von diesem Vorfalle verbreitete sich natürlich sehr rasch nach allen Seiten hin, und es erübrigte nichts, als eine militärgerichtliche Untersuchung einzuleiten. Dabei aber stellte sich durch die Zeugenschaft eines verräterischen Lehrjungen unzweifelhaft heraus, daß das saubere Pärchen alles von vornherein abgekartet habe, um an dem verliebten Grafen Erpressungen verüben zu können. Um weitere kompromittierende Verhandlungen niederzuschlagen, zahlte dieser nun freiwillig als Schmerzensgeld für den körperlich Verletzten eine nicht unbeträchtliche[208] Summe, welche die aufgeregten Gemüter vollständig beruhigte – und somit nahm das Abenteuer für Nardini noch einen leidlichen Ausgang. Trotzdem konnte seines Bleibens am Orte nicht länger sein; er wurde zum vierten Bataillon versetzt, das sich damals in Treviso befand.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 10, Leipzig [1908], S. 201-202,205-209.
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