III.

[165] Eine lange Zeit war verstrichen. In der Kunst und in der Literatur hatten sich inzwischen die verschiedenartigsten Wandlungen vollzogen. Manch glänzender Stern war verblichen oder erloschen. Auch der Makarts. Er selbst war nicht lange nach meinem Zusammentreffen mit dem Hellenen gestorben; der Wiener Festzug im Jahre 1879, dessen Gruppen und Kostüme er entworfen, war sein letzter Triumph gewesen. Und seltsam: so überwältigend der Einfluß seiner Kunst während seines Lebens sich erwiesen – er hörte auf, sobald ihm der Pinsel entsunken war. Denn schon war aus Frankreich die Freilichtmalerei herübergekommen; ihr folgte der Verismus, der Impressionismus und wie all die Richtungen hießen, die sich nun mit kaum mehr übersehbaren Gruppen von neuen Künstlern geltend machten. Und nebenher begannen Böcklins lang unbekannt gebliebene Schöpfungen aufzuleuchten. Die Erwartung des Hellenen aber, daß man auf seine Bilder zurückgreifen werde, hatte sich nicht erfüllt: er war und blieb verschollen – für mich wenigstens, der noch immer fern von Wien lebte.

Endlich war ich dorthin zurückgekehrt. Bei einem Gange auf die Wieden, den ich eines Nachmittags unternahm, kam mir in der Nähe des alten Schikanedersteges ein kleiner, gedrungener Mann entgegen, in dem ich beim ersten Anblick den Wasserspeier erkannte. Er sah noch ganz so aus wie früher, es war als trüge er noch denselben abgegriffenen Schlapphut, dieselbe spiegelnde Samtjacke; nur sein straffes Haar hatte sich bis zu völligem Weiß entfärbt. Er achtete nicht auf mich und wollte an mir vorüberhasten. Ich hielt ihn an. Er betrachtete mich forschend. »Was!« rief er endlich aus, »Sie leben auch noch?«

»Wie Sie sehen.«

»Und was machen Sie?«

»Nichts«, erwiderte ich gewohnheitsmäßig. »Und Sie?«

»Ich? Ich steinmetze«, versetzte er mit seinem alten giftigen[166] Zynismus. »Freilich nicht mehr an der Votivkirche, sondern wo man mich gerade brauchen kann. Als Künstler bin ich von Tilgner in den Grund gebohrt worden. Er hat getroffen, worauf ich zielte. So geht's, wenn man mit einer Sache zu früh kommt. Und so hat auch der Hellene mir gegenüber recht behalten. Sie erinnern sich doch noch seiner?«

»Gewiß.«

»Aber auch ich habe recht behalten. Denn er ist der höhere. Schildermaler geblieben bis an sein Ende.«

»Ist er gestorben?«

»Ja, vor zwei Jahren. Die Zeitungen haben ihm nicht einmal einen kurzen Nekrolog angedeihen lassen, so sehr war er in Vergessenheit geraten. Er hat einen recht üblen Ausgang genommen.«

»Wieso?«

»Nun sehen Sie. Er hatte immer auf den Niedergang Makarts gewartet, der sollte ihn emporbringen, meinte er. So sagte man mir wenigstens, denn ich verkehrte ja nicht mehr mit ihm. Nun war Makart wirklich tot, er aber wurde dadurch nicht lebendig. Einmal aber schien ihm doch ein Glücksstern leuchten zu wollen. Er hatte ausnahmsweise ein sehr hübsches Bild gemalt, eine Nausikaa oder so was, – ich selbst hab' es mir nicht angesehen. Es wurde im Künstlerhause ausgestellt und gleich von der Wand weg zu einem hohen Preise gekauft, so daß der Hellene schon im siebenten Himmel schwebte. Aber gerade dieses Bild wurde sein Unglück. Denn er hatte dazu seine Schülerin, die er heiraten wollte, als Modell benützt, für das man sich jetzt um so mehr zu interessieren begann, als der Meister die reizende Anfängerin in Künstlerkreisen zu poussieren trachtete. Und da hatte sie ihm auch im Handumdrehen eine junger Freilichtler weggeschnappt. Die schöne Helena war mit dem neuen Paris nach München durchgegangen, wo sie die Klassizität des Meisters aufgegeben und sich aufs Tierfach geworfen hat. Sie soll jetzt ganz vortrefflich Hunde und Katzen malen.[167] Der alte Menelaos aber raufte sich das Haar. Dazu kam noch, daß die Bilder, die er später pinselte, wie seine früheren waren, und so wurden sie wieder ohne Schonung zurückgewiesen. Was wollen Sie? Die Kunsttrödler mußten herhalten, und nach und nach stellten sich auch körperliche Gebrechen ein, die ihm das Arbeiten erschwerten. Schließlich versagten die Augen. Er kam in Gefahr, zu verhungern. Ein plötzlicher Herzschlag hat ihn vor diesem Schicksal bewahrt.«

»Das ist sehr traurig«, sagte ich.

»Ja, sehr traurig«, wiederholte der Wasserspeier. Aber es klang etwas wie Schadenfreude hindurch. »Übrigens«, fuhr er fort, »hat es ja eigentlich keiner von allen denen, die sich einst im ›Goldenen Sieb‹ versammelten, zu etwas Rechtem gebracht. Ein paar sind schon jung gestorben, wie der vielversprechende Schlachtenmaler, der schöne Maly. Und von den anderen hat sich höchstens der Schindler, der jetzt auch schon tot ist, mit seinen Landschaften durchgesetzt. Freilich hat's lang genug gedauert, und kaum eingetreten, waren seine Erfolge auch schon vorüber. Die Herren Sezessionisten sind über ihn hinweggeschritten. Bin neugierig, was nach denen kommen wird. Wir können noch vieles erleben. Denn heutzutage gibt es keine Übergänge mehr, sondern nur Übersprünge. Schließlich kommt man zur Erkenntnis, daß alles Modesache ist. Ich sage Ihnen: die ganze Kunst ist nicht einen Pfifferling wert!«

Damit schritt er, flüchtig an seinen Schlapphut greifend, von dannen.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1908], S. 165-168.
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