I.

»Ich danke sehr – nein wirklich, bemühen Sie sich nicht«, sagte ich, während ich mich auf die Bank vor dem Pächterhause niederließ. »Ich fühle nicht das geringste Bedürfnis, etwas zu mir zu nehmen. Möchte mit Ihrer Erlaubnis nur ein wenig ausruhen und eine Zigarre rauchen. Kann ich Ihnen vielleicht auch – –?« Ich hielt ihm die offene Tasche hin.

»Muß nun meinerseits danken. Ich rauche nicht.«

»Sie rauchen nicht? Das nimmt mich wunder. Ein Landwirt ohne Pfeife und Tabak ist fast so selten, wie einer ohne Weib und Kind.«

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als sich auch schon das Gesicht des großen, breitschultrigen Mannes, der in einer abgenützten Lodenjoppe und hohen, die Spuren der Ackerscholle tragenden Stiefeln vor mir stand, schmerzlich verzog und helle Tränen aus seinen blauen, sanftmütigen Augen quollen.

»Mein Gott,« sagte ich bestürzt, »hab' ich da vielleicht an etwas gerührt – –«

»Ja«, erwiderte er, sein Taschentuch hervorziehend. »Aber es tut nichts. Und wie hätten Sie wissen sollen, daß gerade ich es bin, der sein junges Weib verloren hat. Denn von dem Fall selbst haben Sie bei Ihrem er sten Aufenthalt in dieser Gegend gewiß gehört.«

Nun dämmerte es in mir auf. Ja, ich hatte von einer Pächtersfrau gehört, die einen plötzlichen Tod gefunden. Aber einige Jahre waren seither vergangen und meine Erinnerungen nicht mehr zuverlässig.[11]

»Ich entsinne mich allerdings«, sagte ich. »Es waren, glaub' ich, seltsame Umstände dabei –«

»Ja, sehr seltsame Umstände.«

»Ihre Frau ist – erschossen worden«, fuhr ich zögernd fort.

»Ja, von meinem Bruder. Eigentlich war es ein Zufall – aber sie ist an meiner Statt gestorben.«

»Das ist in der Tat merkwürdig. Wenn ich nicht fürchten müßte, daß es Sie zu sehr angreift, so würde ich Sie bitten, mir näheres –«

»Das will ich gern. Sie haben ja Verständnis für Unglückliche, und ich bin der Fügung dankbar, daß Sie von der Jagd ab und hierher geraten sind. Verwundern Sie sich nicht. Ich bin ja kein ganz ungebildeter Mensch, kein Bauer, wenn Sie mich auch hinter dem Pfluge angetroffen haben. Ich habe immer gern gelesen – und auch in letzter Zeit daran gedacht, wohl oder übel aufzuschreiben, was ich Ihnen jetzt mitteilen soll. Aber ich müßte weit zurückgreifen, müßte Ihnen zeigen, wie mein Bruder seit jeher das Unglück meines Lebens gewesen ist – und das dürfte Sie vielleicht ermüden.«

»Gewiß nicht.«

»Nun, dann will ich das Gespann nach Hause schicken, es ist morgen auch ein Tag.«

Er rief den halbwüchsigen Burschen an, der bei den Zugtieren stand und nunmehr die Pflugschar hob. Während die stattlichen Rinder langsam auf dem feuchten Sturzacker herumgelenkt wurden, ließ sich der Pächter neben mir nieder und blickte in Gedanken nach einem fernen Höhenzuge, der über dunklen, aus dem Waldtal aufragenden Fichtenwipfeln zum Vorschein kam. Die Sonne glänzte noch hoch im wolkenlosen Blau des Herbsthimmels. Schimmernde Gespinste der Wanderarachne schwebten in der klaren Luft, die hin und wieder von fern verhallenden Schüssen durchzittert wurde. Sonst kein Laut. Endlich nahm der Mann das Wort.

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 11, Leipzig [1908], S. 7-8,11-12.
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