III.

[17] »Sie begreifen,« fuhr der Graf fort, »daß mir dieses Erlebnis einen großen Eindruck machte. Ich konnte den ganzen Tag über an nichts anderes denken und war beim Abschied von meinen Angehörigen sehr zerstreut. Auch während der Fahrt zum Regiment befand ich mich in jenem süßen Taumel,[17] den man sehr bezeichnend einen Seelenrausch nennt. Aber wie andere Räusche hielt er nicht vor. Schon als ich wieder den Dienst antreten mußte, begann er zu verfliegen. Dann kam der unglückliche Feldzug. Nach diesem verlor ich die Lust, das Soldatenspiel weiter zu spielen. Ich wollte ein größeres Stück Welt, wollte bedeutenderes Leben kennen lernen und beschloß, mich der Diplomatie zu widmen. Es war leicht durchzusetzen, daß ich einer Gesandtschaft attachiert wurde. So kam ich nach Madrid. Dort geschah, was so ziemlich jedem jungen Manne geschieht: ich verliebte mich in eine verheiratete Frau. Sie kennen sie nach dem Bilde, das über meinem Schreibtische hängt. Keine Spanierin, wie Sie vielleicht glauben könnten, sondern eine Italienerin. Ihr Gemahl, der in Madrid einen deutschen Mittelstaat vertrat, hatte die Komtessa als Legationsrat in Rom, seinem früheren Dienstposten, erehlicht. Er war ein hagerer, fadblonder und, wie es schien, auch blutloser Geselle, denn er benahm sich ungemein artig gegen die Liebhaber seiner Frau. Sie hatte deren, um es gleich zu sagen, sehr viele. Damals nahm ich ihr das höchst übel, heute ist es ihr längst verziehen. Denn sie war eine Frau, deren eigentümlich zarter Reiz alle Männer gleichmäßig anzog. Sie brauchte sich nur zu zeigen, mit ihren durchsichtig dunklen Augen zu lächeln und ein paar Worte zu sagen, so war jeder hingerissen. Konnte es da wundernehmen, daß sie, temperamentvoll wie sie war, von der Macht des männlichen Od, das ihr von allen Seiten so heiß entgegenströmte, leichter überwältigt wurde, als andere schöne Frauen, die man vielleicht bewundert, aber nicht sofort begehrt? Und sie verstand die große Kunst, sich mehrseitig hinzugeben, ohne dabei im Schlamm zu versinken. Sie tat es mit einer fast kindlichen Unbefangenheit und mit vollendeter Grazie. So mußte Josefine Beauharnais gewesen sein, die den großen Napoleon fesselte, obgleich er von ihrer Untreue überzeugt war. Nun, ich war kein Napoleon und verzieh ihr die Untreue nicht – mit Ausnahme der gegen ihren Gatten.[18] Ich wollte der einzige sein, und da mir das nicht gelang, quälte ich sie mit rasender Eifersucht. Mehr als einmal hatte ich unsere Beziehungen abgebrochen, um doch immer wieder zu ihr zurückzukehren. Aber es kam auch immer wieder zu den unerquicklichsten Szenen. Ich bedrohte – ja, ich beschimpfte sie sogar. Mit einer wahren Engelsgeduld ließ sie alles über sich ergehen, was mir doch hätte zeigen können, daß ich ihr mehr war, als meine gutmütigeren Nebenbuhler. Als ich mich jedoch eines deutschen Malers wegen, der nach Spanien gekommen war, um Velasquez zu studieren, zu einer Mißhandlung hinreißen ließ, da wies sie mir mit einem kalten Blick die Tür. Natürlich war jetzt ich der Beleidigte und schnaubte Rache. Ich dachte daran, den Maler zu fordern – und was derlei Ausgeburten einer verstörten Gemütslage mehr waren. Zum Glück war aber meine Vernunft schon damals stark genug, solch wahnwitzige Regungen zu besiegen. Aber ich litt unsäglich. Von Tag zu Tag wuchs meine Sehnsucht nach dem geliebten Weibe, aber auch die Erkenntnis, daß jetzt alles zu Ende sei. Ihren Anblick jedoch, dem ich täglich ausgesetzt war, ertrug ich nicht. Ich nahm, da ohnehin die Zeit der politischen Windstille herannahte, sofort Urlaub. Mein Vater und mein zweitältester Bruder, der nun auch schon tot ist, befanden sich noch in Wien, mein anderer Bruder jedoch war schon in den ersten Frühlingstagen nach Blansek gezogen. Dorthin wollte ich, denn große Städte mit ihrem Highlife waren mir jetzt gründlich verhaßt. Dabei kam mir mit einem Mal Olga in den Sinn, die ich im Laufe der Ereignisse gänzlich vergessen hatte. Wie greifbar trat mir die Gestalt des schönen Mädchens vor die Seele – und sehen Sie: in diesem Augenblick faßte ich den Entschluß, es zu heiraten. Ich war immer etwas romantisch angehaucht gewesen. Und trotz aller weltmännischen Genußfähigkeit – und wenn Sie wollen, Genußsucht, auch immer mit einem unbestimmten Hange nach stiller, beschaulicher Zurückgezogenheit in irgendeinem Erdenwinkel behaftet. Das konnte ich jetzt[19] haben, wenn ich mir auf unserem Grund und Boden – etwa zwischen Roggendorf und Blansek – ein komfortables Blockhaus mit waldigem Hintergrund und weiter Fernsicht erbauen ließ, um dort an der Seite eines schlichten, mir ganz ergebenen Weibes ein unabhängiges, wenn auch keineswegs müßiges Dasein zu führen. Denn ich hatte – auch das will ich Ihnen anvertrauen – zu jener Zeit schriftstellerische Neigungen. Montaigne und Larochefoucauld reizten mich zur Nachahmung. Auch als Familienvater dachte ich mich bereits und entwarf nach Rousseaus Emile weitgehende Erziehungspläne für meine präsumtiven Kinder. Daß man mir Schwierigkeiten machen könnte, sah ich wohl ein, ich achtete sie aber gering. Meine Brüder kannte ich als ziemlich vorurteilslos – und mein Vater, der allerdings zu fürchten war, mußte schließlich nachgeben. Es war ja damals nichts geradezu Horrendes, daß ein Fürst oder Graf eine Försters- oder Schafferstochter heiratete. Auch Wäschermädchen kamen vor. Heutzutage werfen sich meine Standesgenossen mehr auf Sängerinnen und Tänzerinnen, was wohl ein Zeichen höheren Geschmacks sein soll. Nun, ich erkor die Tochter des Worel. Papa und Mama waren nun freilich nicht besonders erwünscht, aber es waren brave Leute – und man konnte mit ihnen einen modus vivendi vereinbaren. Also mein Entschluß stand fest. Daß das Mädchen selbst einen Strich durch die Rechnung machen könnte, fiel mir nicht ein. Daß sie mich damals geliebt, darüber konnte kein Zweifel sein. Warum sollte sie es nicht auch jetzt – und mir etwa einen Korb geben, wenn ich ihr meine Hand antrug? Daß sie vielleicht inzwischen schon geheiratet haben könnte, kam mir gar nicht in den Sinn. So sicher war ich der ganzen Sache.

Mit diesem Gefühle fuhr ich durch das Schloßportal in Blansek ein. Da fiel mir gleich als sehr seltsam auf, daß Vater Worel in einer Art von Schlafrock, den Kopf mit einem türkischen Fez bedeckt, auf der Bank vor seiner Wohnung saß und eine lange Pfeife rauchte, die er jetzt, indem er gravitätisch aufstand[20] und mit einer Verbeugung die rote Mütze lüftete, bei Fuß nahm. Von der übrigen Familie, die doch sonst bei ähnlichen Anlässen immer Spalier bildete, war niemand zu sehen. Als ich später meinem Bruder mein Befremden über dieses Verhalten äußerte, sagte er mißmutig: ›Ach ja, der Worel! Der hat mir den Dienst gekündigt.‹ Ich war sehr überrascht. ›Ja,‹ fuhr mein Bruder fort, ›in den Mann ist der Hochmutsteufel gefahren. Und eigentlich bin ich selbst schuld daran.‹ ›Wieso?‹ fragte ich. ›Wirst es gleich hören. Du kennst meine Lust an alten Sachen und weißt, daß ich ab und zu nach solchen alle Rumpelkammern durchstöbere. Das tat ich nun wieder einmal und fand dabei unter wertlosem Zeug ein ganz hübsches Treppengeländer aus Eichenholz mit geschnitztem Laubwerk. Ich freute mich sehr darüber und wollte es gleich an einer Mansardenstiege anbringen lassen. Da zeigte sich aber, daß es nicht langte und überdies eines kurzen Kniestückes bedurfte.‹ ›Na,‹ sagte ich zu Worel, der mich bei meinen Forschungen immer begleitete, ›du bist ja ein Tausendkünstler!‹ – Ich erwähne hier, daß wir damals zu allen unseren Bediensteten noch Du sagten. – Also: ›Du bist ja ein Tausendkünstler – wie wär' es, wenn du das Ding da vollständig machen und dich dabei auch einmal als Holzschnitzer versuchen würdest?‹ Der Mensch, der immer ziemlich eitel gewesen ist, wurde ganz rot vor Stolz. ›Das werd' ich schon machen, Erlaucht,‹ erwiderte er, ›wenn ich das richtige Holz bekomme.‹ Er bekam es und brachte wirklich nach einer gewissen Zeit das Geländer derart ergänzt, daß man, nachdem es gleichmäßig gestrichen und gefirnißt war, kaum einen Unterschied zwischen dem alten und neuen Teil wahrnehmen konnte. Ich belobte und entlohnte ihn für diese Arbeit, die ihm doch genug Mühe und Schweiß gekostet haben mochte. Seit diesem Tage dachte er nur mehr an derlei Leistungen. Er kramte nach Bruchstücken von Rokokomöbeln und vermorschten Wandtäfelungen, die er nachmachen wollte. Ich hatte ihm einmal zwei alte Quartbände geschenkt,[21] die kunstgewerbliche Kupfer enthielten. Er hatte, sie früher kaum angesehen, jetzt vertiefte er sich in ihr Studium. Darüber vernachlässigte er seine eigentlichen Arbeiten. Ich ließ es ihm hingehen, da ich wußte, daß er sehr empfindlich war; auch stand ja der Winter vor der Tür, den wir in Wien zubrachten. Zurückgekehrt, trafen wir im Schlosse auf ungenügende Vorkehrungen. Als ich Worel zur Rede stellte, warf er sich in die Brust und erklärte, daß er es an nichts habe fehlen lassen. Da ich mit meinen Leuten nicht gern hadere, schwieg ich und beschloß, sein weiteres Verhalten abzuwarten. Da zeigte sich sehr bald, daß aus einem ergebenen und beflissenen Diener ein starrköpfiges, von Größenwahn erfülltes Individuum geworden war, das die ihm zukommenden Verrichtungen unser seiner Würde hielt. Er hatte den Winter benützt, um in der Bibliothek, zu der er die Schlüssel hatte, allerlei Bücher zu lesen, und sich derart gebildet, daß er in einem geselligen Verein, der im Orte entstanden war, Vorträge hielt. Dieser Verein verfolgte tschechische Parteizwecke. Es war mir also höchst unangenehm, daß einer unserer Bediensteten daran teilnahm. Und mit dem Oberhaupt hat sich auch die ganze Familie verändert. Die Frau, deren Mutter inzwischen gestorben ist, scheint keine Lust mehr am Hauswesen zu haben. Sie überläßt alles der buckligen Maruschka und legt die Hände in den Schoß. Die Olga geht als junge Dame einher. Sie liest auch alle möglichen Bücher und bezeigt sich sehr hochnasig gegen unsere Minka. Meine Frau wollte sie als Kammerjungfer zu sich nehmen; daran war nicht mehr zu denken. Und der jüngste Sproß, der eben die Volksschule hinter sich hat, lümmelt den ganzen Tag müßig herum oder kratzt jämmerlich auf einer Geige. Dabei verlottert die ganze Wirtschaft. Der Garten ist verwildert, und das Stück Feld liegt brach da, von Unkraut überwuchert. So entgeht den Leuten ein gut Teil ihres Einkommens, und ich weiß nicht, wie sie ihr Auskommen finden. Alle diese Wahrnehmungen verstimmten mich, und ich sann hin und her, was ich nun mit dem Worel[22] anfangen sollte. Ihn Knall und Fall zu entlassen, ging doch nicht an. Denn er hatte uns ja zwanzig Jahre hindurch treue und ersprießliche Dienste geleistet. Und eigentlich Übles konnte ich ihm nicht vorwerfen. Da brach er selbst das Eis, indem er bei mir – wie er sich jetzt ausdrückte – um eine Audienz nachsuchte. ›Ich komme,‹ sagte er, ›um Eurer Erlaucht eine Bitte vorzutragen. Mein Franz hat eine sehr gute Klassifizierung erhalten, und ich habe die Absicht, ihn das Gymasium machen zu lassen. Auch Olga will sich zu irgendeinem Berufe vorbereiten. Ich möchte also beide Kinder bei Bekannten in der Stadt unterbringen. Dazu fehlen mir aber die Mittel. Ich bitte daher, Erlaucht möchten die Gnade haben, für den Franz einen Erziehungsbeitrag zu bewilligen.‹ ›So?‹ sagte ich, ›du willst also – ich sah, wie sehr ihn das du verschnupfte – deinen Sohn studieren lassen? Ich hatte gedacht, du würdest ihn in dein Handwerk einführen, und er würde einst dein Nachfolger werden. Und die Olga wollte meine Frau als Kammerjungfer nehmen.‹ ›Das geht nicht, Erlaucht‹, versetzte er. ›Es sind geistig sehr begabte Kinder.‹ ›Das will ich nicht bestreiten‹, sagte ich. ›Aber einen Erziehungsbeitrag bewillige ich entschieden nicht.‹ Er wurde puterrot vor Zorn. ›Dann muß ich Euer Erlaucht bitten, mich meines Dienstes zu entheben. Ich habe schon vor einiger Zeit von einer großen Kunsttischlerei in der Stadt einen sehr vorteilhaften Antrag erhalten. Den würde ich jetzt annehmen und dort eintreten.‹ ›Das ist deine Sache‹, erwiderte ich. ›Und da du solange bei uns in Dienst gestanden, erhältst du eine Pension von jährlich vierhundert Gulden. Du kannst also in der Stadt deine Kinder ausbilden lassen.‹ Damit war die Sache im reinen. Zu Neujahr ziehen die Leute ab.

Ich war natürlich über all das sehr erstaunt, aber doch begierig, die Olga zu sehen. Daß sie sich auf die junge Dame hinausspielte, konnte mir ja nicht wider den Strich gehen – und daß sie Bücher las, auch nicht. Es traf sich, daß sie, als wir nach Tisch auf der Terrasse den Kaffee nahmen, in einiger Entfernung[23] an uns vorüberschritt. Es kam ihr zu, uns zu grüßen. Sie tat es auch. Aber so, daß sie ganz komtessenhaft nur das Kinn anzog. Sie hatte sich in den letzten Jahren voll entwickelt und war sehr groß geworden. Ihre Züge kamen mir härter und schärfer vor; auch hatten ihre Haare eine dunklere Kupferfarbe angenommen. Aber sie war jetzt ein wahres Prachtgeschöpf, dessen Erscheinung meine Absichten keineswegs erschütterte.

Da geschah es, daß ich mich erkältete und ein paar Tage die Zimmer hüten mußte. Eines Nachmittags – es war Sonntag und mein Bruder mit den Seinen nach Roggendorf hinübergefahren – stand ich an einem Fenster, das auf einen Seitenpfad des Parkes hinausging. Ein mächtiger alter Ahornbaum stand davor und verdeckte es. Wie ich nun so durchs Gezweig hinuntersah, gewahrte ich Olga, die mit einem anderen, wahrscheinlich ihr befreundeten Mädchen vorüberkam. ›Na, du hast ja jetzt wieder deinen Grafen da‹, hörte ich das andere Mädchen sagen. ›Ach was, der!‹ erwiderte Olga wegwerfend. ›Heiraten würde er mich doch nicht, und nur so‹ – sie machte eine verächtliche Handbewegung.

Noch niemals war es mir so deutlich geworden, daß, wie man zu sagen pflegt, der Ton die Musik mache. Gegen ihre Äußerung war ja nicht das geringste einzuwenden. Sie war vielmehr sehr löblich und hätte mich überzeugen können, wie ehrenwert ihre Gesinnung war. Aber die Art und Weise, wie sie ihre, noch dazu tschechisch gesprochenen Worte vorbrachte, wirkte auf mich erkältend wie Eis. Denn sie zeigte mir, daß meine Erkorene nicht die geringste Empfindung für mich hege. Es war bei ihr damals eben nichts anderes gewesen als eine vorübergehende Emotion der Pubertät, wie sie jeder Backfisch durchzumachen hat. Diese Erkenntnis stimmte mich plötzlich ganz froh, und von diesem Augenblick an war auch Olga für mich Luft. Ich machte noch die Jagden mit und kehrte dann auf meinen Posten nach Madrid zurück.«

Quelle:
Ferdinand von Saar: Sämtliche Werke in zwölf Bänden. Band 12, Leipzig [1908], S. 17-24.
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