12.

[36] Sieh, schon wirbeln die Flocken um ragende Dächer; es sausen

Eisige Winde mit Macht durch die rings offene Stadt.

Ja, der Winter ist da! Mit ihm erschienen die Freuden,

Welche der Städter schon längst sommerverdrossen ersehnt.

Alle Theater gefüllt, Applaus erschüttert den Tonsaal –

Und so bewegt sich auch Wien wieder im alten Geleis.

Amt und Geschäft durchkreuzen die Straßen, auf glitschigem Pflaster

Humpelt der Omnibus, rast der Fiaker dahin;[37]

Equipagen dazwischen, von stolzen Trabern gezogen,

Halten vor jedem Palast, wo man Besuche empfängt;

Stattliche Leute zu Fuß vereint der gewohnte Spaziergang,

Wohlig in Pelze gehüllt, schreiten sie über den Ring.

Aber vergnüglicher noch hineilen die Schönen zum Eisplatz,

Wo der geschmeidige Wuchs sich am geschmeidigsten zeigt.

Knapp umschließt ihn die wärmende Jacke; auf braunen und blonden

Häuptern sitzen kokett Mützen mit Zobel verbrämt.

Hui, wie fliegt sich's dahin auf leicht einritzendem Schlittschuh,

Den mit bebender Hand kniend der Jüngling geschnallt!

Sieh nur den zierlichen Reigen! Es trennen und flieh'n sich die Paare,

Aber in reizendem Bug kehren sie wieder zurück.

Liebliches Meiden und Finden – gemeinsam wonniges Kreisen,

Bis die Dämmerung webt um das lebendige Bild.

Aber da zuckt auch empor das elektrische Licht und umschimmert[38]

Magisch den spiegelnden Plan und die Gestalten darauf.

Ach, wer entfernte sich jetzt? Erstarren die Finger im Müffchen,

Spürt auch das Näschen den Frost – lodert in Flammen das Herz.


Quelle:
Ferdinand von Saar: Wiener Elegien, Heidelberg 1893, S. 36-39.
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