11. Gott in der Natur

[345] 1786.


Wer gab mir, was ich hab' und bin?

Wer schuf die weite Erde?

Wer pflanzte Felsenberge hin?

Wer sprach zum Himmel: Werde!

Wem strahlt so flammend, groß und hehr

Der hohen Sonne Feuermeer?
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Wem brausen mit so starker Macht

Des Waldstroms Silberwellen?

Wer läßt den Blitz, die Wetternacht

Der fahlen Wolken hellen?

O sagt mir: Wessen Boten sind

Der Donner, der Gewitterwind?


Er ist's! Er ist es, dessen Hand

Die Abendröte malet!

Er hat den Bogen ausgespannt,

Der siebenfarbig strahlet.

Er tränkt mit Regen und mit Tau

Die ausgedörrte Halmenau.


Er hüllt die Saat in wallend Gold,

Er schwellt die vollen Garben.

Er schmückt den Frühling bunt und hold

Mit glänzendlichten Farben.

Er läßt im Frühling frisches Grün

Die Haine und den Wald umziehn.


Es reift die Frucht auf sein Gebot

Am schwerbeladnen Baume;

Er färbt die süßen Kirschen rot,

Violenblau die Pflaume.

Den Apfel schuf er voll und rund,

Die Birne saftig für den Mund.


Er streute, wie ein Säemann

Ins Furchenfeld die Körner,

Die Sterne aus auf ihre Bahn;

Des Mondes Silberhörner

Hing er leichtschwebend, wie ein Kahn,

An das Gewölk des Himmels an.


Die ganze heilige Natur

Ist seiner Allmacht Zeuge;

Anbeten, staunen kann ich nur –

Ich sinke hin und schweige.

Tief, tief im Staube bin ich hier

Du Großer, Gütiger, vor dir!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 345-346.
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