12. Abendbilder

[267] 1786.


Wenn der Abend

Kühl und labend

Sich auf Thal und Waldung senkt;

Wenn die Wolken röter werden

Und der Hirt des Dorfes Herden

Am beschilften Teiche tränkt;


Wenn der Hase

Leis' im Grase

Nascht und im betauten Kraut;

Wenn der Hirsch aus dem Gehege

Wandelt, und das Reh am Wege

Steht und traulich um sich schaut;


Wenn mit Blüten

Auf den Hüten,

Sens' und Rechen auf dem Arm,

Unter spätem Festgeleier,

Heimwärts kehrt der Zug der Heuer

Und der Schnitterinnen Schwarm:


Wonneträumend

Staun' ich, säumend,

Dann vom Damm die Gegend an;

Freu' so herrlich mich der hehren

Schönen Erd', und süße Zähren

Sagen, was kein Ausdruck kann.
[267]

Froh und bange

Lausch' ich lange

Auf der Amsel Abendlied:

Wie, umhüllt von Erlenblättern,

Nachtigallen ziehend schmettern,

Und der Kibiz lockt im Ried;


Bis nur Grillen

Noch im Stillen

Zirpen, und der Käfer streift,

Und der Landmann, wenn's noch dämmert,

Seine Sens' im Hofe hämmert

Und ein Mäherliedchen pfeift;


Bis der Liebe

Stern so trübe

In der Abendröte schwimmt;

Dann der perlenfarbne Himmel

Dunkelt, und das Glanzgewimmel

Der Gestirne sacht entglimmt.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 267-268.
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