59. Salis' Antwort auf J. R. Wyß des Jüngern Zuruf

[327] Mein Saitenspiel hing längst an Weidenzweigen,

Und mein Gemüt verschloß, was ich empfand,

Als deine Muse, mir im Schwesterreigen

Die freundlichste, an ferner Aare Strand

Wohlwollend rügte mein zu tiefes Schweigen,

Und Alpenblumen mir zum Kranze wand;

Dann lockte, wie mit Nachtigallenschlägen

Zum Abendlied den Landmann zu bewegen.


Mein Sommertag schwand bei Gewitterschwüle,

Sein heitres Abendrot ist bald erreicht.

Gleich Philomela sang ich nur Gefühle,

Und mein Gesang hat schon sein Ziel erreicht;

Auch sie verstummt schon vor des Herbstes Kühle. –

Wenn früh sie jungen Sängerchören weicht,[327]

Birgt sie sich gern in stillen Finsternissen,

Wo Menschen sie nicht kränken, noch vermissen.


Es schwebet stets, nach alter Dichtung Sagen,

Um des Vergessens Strom ein Schwanenchor;

Wo auf der Flut ein Name sinkt, den tragen

Sie zu des Nachruhms Tempel sanft empor;

Doch müssen oft die Retter Kämpfe wagen,

Es grinst der Hohn, die Scheelsucht drängt sich vor,

Bis an des Ruhmes Kranz nur Dornen blieben: –

Mein bester Ruhm ist, daß mich Edle lieben.


Ihr edlen Sänger an der Aare Wogen,

Ihr an der Limmat und des Rheines Strand,

Ergreift die Harfen, spannt den goldnen Bogen!

Die Eintracht schling' um euch ihr Bundesband,

Durch milden Sinn stets enger angezogen!

Die Schweizermuse hat ein Vaterland,

Vielleicht, daß beim Erwachen deiner Telle

Ich einst, o Freund, zum Chore mich geselle! –

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 41, Stuttgart [o.J.], S. 327-328.
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Anthologie aus den Gedichten von Matthisson und Salis