1. Auftritt.

[37] Dr. Neumeister. Auguste. Emil Sterneck.


NEUMEISTER am Schreibtisch arbeitend.

AUGUSTE durch die Mitte, eine Karte abgebend. Ein Herr ist draußen!

NEUMEISTER lesend. Emil Sterneck, Schauspieler? Kopfschüttelnd.

AUGUSTE. Auf der andern Seite steht auch was.

NEUMEISTER. Ach so! Wendet die Karte um und liest. »Hinter dem dir gänzlich unbekannten E. Sterneck verbirgt sich dein alter Kommilitone Emil Groß« – Freudig zu Auguste. Emil Groß? laß ihn gleich eintreten! – Auguste ab. Neumeister liest weiter. »der dich in Erinnerung an unsere vergnügte Studienzeit in Leipzig um eine wichtige Unterredung bittet.«[37]

STERNECK durch die Mitte eintretend, trägt eine kleine Mappe.

NEUMEISTER auf Sterneck zueilend. Junge, ist es möglich? Du, mein flotter Leibfuchs, bist unter die Priester Thaliens gegangen?

STERNECK. Ja, Gott sei's geklagt! Gegenwärtig jugendlicher, schüchterner Liebhaber, Naturbursche, Operettentenor und Regisseur bei der Direktion Emanuel Striese.

NEUMEISTER. Wie bist du nur dahin gekommen?

STERNECK. Wie man zu allen Dummheiten kommt, – durch eine glückliche Vereinigung von Liebe und Leichtsinn – – – du weißt ja, daß ich damals in die Tochter unseres Rektors verliebt war. Wir tauschten dreiviertel Jahr lang Briefe, Händedrücke und schließlich sogar Küsse.

NEUMEISTER. So weit war die Geschichte, als ich von der Universität abging.

STERNECK. Und weiter ist es auch nicht gekommen. Ich war nur ihre erste Liebe, sozusagen der Chambregarnist in ihrem Herzen, auf vierzehntägige Kündigung. Eines Tages wurde ich hinausgeworfen, ein Rechtsanwalt zog ein, und der wohnt heute noch darin, mit Familie, denn sie hat ihn geheiratet und ihm zwei Kinder geschenkt.

NEUMEISTER. Und du?

STERNECK. Ich verliebte mich aus Verzweiflung in eine kleine Schauspielerin.

NEUMEISTER. So seid Ihr alle! – Eine Liebesgeschichte nach der anderen. Da kann ich mich natürlich nicht wundern, wenn meine Frau mich unausgesetzt quält, ich soll ihr meine Jugendstreiche erzählen.[38]

STERNECK. Und nun komme ich zu der traurigen Geschichte, aus der du mich herausziehen sollst. Die Belege dazu werde ich dir aus dieser Mappe ordnungsgemäß vorlegen. – Also jene kleine Schauspielerin war ein reizendes Wesen, siehe Beilage A. Zieht eine Photographie aus der Mappe. Hier ist ihr Bild!

NEUMEISTER. Ah! Betrachtet das Bild.

STERNECK. Mit blauen Augen und rabenschwarzen Locken. Beilage B. Zieht eine lange schwarze Locke aus der Mappe.

NEUMEISTER. Oh!

STERNECK. Wir lernten uns eines schönen Sonnabends kennen, und sie schenkte mir eine Rose als Symbol ihrer jungfräulichen Neigung. Beilage C. Zieht eine verwelkte Rose aus der Mappe.

NEUMEISTER. Sehr sinnig!

STERNECK. Als wir den ersten, seligen Kuß tauschten, schenkte ich ihr zum ewigen Andenken einen Ring. Beilage D. Zieht einen Ring aus der Tasche und putz ihn am Rockärmel. Sieht aus wie Gold.

NEUMEISTER. Du hast ihr das ewige Andenken also wieder weggenommen?

STERNECK. Um es zu den Akten meines Romans zu legen. – Was mich aber am schwersten drückt, ist Beilage E. Zieht Rechnungen hervor. Hier dieses Paket Rechnungen.

NEUMEISTER. Unbezahlt?

STERNECK. Leider! – Papa wollte kein Geld mehr schicken. – Darüber grämte sich meine Angebetete so tief, daß sie mir schrieb, wir müßten uns trennen, sie wolle ins Kloster gehen. Später erfuhr[39] ich, daß sie sich die Beilage B Ergreift die Locke. eidottergelb gefärbt habe und in Stargard als Boccaccio unerhörte Triumphe feierte.

NEUMEISTER schüttelt Sterneck die Hand. In Stargard – das ist schmerzlich.

STERNECK. Das übrige kannst du dir laicht denken. – Ich versilberte meine goldene Uhr – hier ist der Pfandschein Zieht einen Pfandschein aus der Mappe. und lief Verzweiflung zum Theater. Da habe ich mich bald überzeugt, daß ich keine Spur Talent besitze, und nun bin ich das Zigeunerleben satt und übersatt, und möchte mich sobald als möglich mit meinem Vater aussöhnen. Meine Briefe schickt er uneröffnet zurück, aber auf dich hält er große Stücke, denn du warst ja immer der Solideste und Tugendhafteste von uns allen – und wenn du ihm also schreiben wolltest –

NEUMEISTER. Aber gewiß, mein Junge, das will ich sofort tun. Ich schicke ihm die Mappe mit einem vernünftigen Brief, und du legst einige reuevolle Zeilen bei. Legt die verschiedenen Beilagen in die Mappe und schließt dieselbe in seinen Schreibtisch. Beide stehen auf.

STERNECK. Die will ich sofort schreiben, ich bringe sie dir noch heute.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 37-40.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Raub der Sabinerinnen
Der Raub der Sabinerinnen: Schwank in vier Akten