4.

[322] Auf dem Wege von Riedenburg nach Buch, am Lintlberge, steht ein einzelner Felsblock, Frauenstein genannt, der Aehnlichkeit mit einer grossen Menschengestalt hat, welche einen Korb an der Seite trägt. Von ihm meldet die Sage: Die Weiber aus Buch trugen Tag für Tag ihren Korb voll Eyer und Schmalz auf diesem Wege nach Riedenburg zum Verkauf und jedesmal stand eine Bettlerin da und bat um eine kleine Gabe. Es war aber-die Mutter Gottes, welche die[322] erhaltenen Almosen mit doppeltem Segen den Armen der Umgegend wieder vertheilte. Einmal kam nun eine Bäuerin mit vollem Korbe des Weges und wurde von der Bettlerin flehentlich um die gewöhnliche kleine Gabe angesprochen. Das Weib aber war mürrisch und behauptete, nichts bey zu haben und als die Betterin es nicht glaubte, betheuerte sie ihre Worte mit dem Wunsche, sie wolle gleich zu Stein werden, so sie nicht wahr spreche. Da ward sie von U.L. Frau ihres Meineides und der bezeigten Hartherzigkeit willen in den Felsen verwandelt, der noch steht. Riedenburg.


An Vorstehendem mag es für jetzt genügen: ein grosser Theil der Marien-Legenden fällt der Natursymbolik anheim. Aber auch das Wenige, das hier ge boten wird, läßt den reichen mythischen Hintergrund durchschimmern. So befindet sich U.L. Frau wie Freyja auf der Wanderung, sie theilt mit Wodan das blaue Kleid, steht bey der Geburt wie eine Norne dem Kinde begabend zur Seite, hilft in Armut und Elend, belohnt reichlich und straft milde, und wohnt gleich den Göttern im Berge, in dessen zwölf goldenen Sälen mit dem geheimnißvollen Gemache die zwölf, vielmehr dreyzehen Himmelsburgen nicht zu verkennen sind. Rosen und Perlen sind ihr heilig und wenn sie die Jungfrau zum ehelosen Stande bestimmt, so mag an Freyja, die Führerin der jungfräulichen Walkyren, gedacht werden.

In seiner deutschen Mythologie weist Grimm darauf hin, daß auf Maria eine Fülle lieblicher Sage von[323] Holda und Frouwa, den Nornen und Valkyrien angewendet werde. »Wie zart«, fügt er bey, »duften diese Märchen von Maria und was hätte ihnen irgend eine andere Poesie entgegenzustellen!« – Wohl, denn waren die heidnischen Germanen in ihrer Naturfrische und unverderbten Jugendkraft von der Vorsehung berufen, die Träger des Christentumes und christlicher Weltordnung zu werden, so waren sie anderseits durch die hohe Achtung, in der bey ihnen das Weib stand, geneigt gemacht, Alles, was ihre Mythologie des Anmutigen und Huldvollen darbot, auf die göttliche Mutter und Jungfrau überzutragen.


Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 3, Augsburg 1857/58/59, S. 322-324.
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