§. 35. Im Allgemeinen.

[380] Wenn ich hier von den Burgen rede, so geschieht es nur, insoferne ich jene Sagen aufzunehmen habe, an[380] welche sich mythische Bezüge knüpfen. Von geschichtlichen Bemerkungen halte ich mich in der Regel um so ferner, als die Geschichte der Oberpfalz und ihrer Dynasten noch im Argen liegt.

Die Oberpfalz zählt eine solche Menge von Burgen, wie verhältnißmässig kein anderes Land, selbst nicht Tyrol, aufzuweisen hat. Nun liegen sie zumeist in Trümmern oder sind in Klöster, die nun zu Fabriken dienen, oder gar in Zuchthäuser umgestaltet, wie Wernberg, eine der besterhaltenen Burgen. Der Gegensatz der Bewohner von jetzt und früher kann zwar nicht greller hervortreten, liegt aber im Geiste des Jahrhunderts, wohl auch in der waltenden Nemesis. Jene Dynasten, so einst von ihren stolzen Edelsitzen mit Hochmut herabsahen auf das Volk, welches im Schweiße seines Angesichts sein Brod ißt, sie haben ihre prächtigen Schlösser nicht einmal an dieses, nein, an Proletarier und Verbrecher abgeben müssen, und jene Bäuerlein, welche im Frondienste die mächtigen Burgen aufbauen halfen, nehmen von den verfallenen Trümmern eben die Steine, die sie ehedem zufuhren, nun zum Baue ihrer Häuschen, zum Gehege ihrer Aecker. Die Prachtbauten der Gegenwart werden in späteren Jahrhunderten, wenn wieder eine andere Zeit ist, gleichfalls eine Verwendung erfahren, wie man sie in diesen Tagen nicht ahnt, und auch das wird Nemesis seyn für den Mangel aller Pietät, den die Gegenwart für die Mittelpunkte mittelalterlicher Herrschaft und Kultur, Macht und Gesittung kund gibt. Indessen hat in jüngster[381] Zeit die Kirche mit ernster Theilnahme der mittelalterlichen, christlichen Kunst sich wieder zugewendet und der Herstellung ihrer Dome. Dieses wird den Gedanken anregen, auch einzelne jener Dynastensitze, welche noch nicht ganz in Schutt versunken, vor dem völligen Untergange zu retten, diese Bilder vergangener Pracht und Macht, des Rittersinnes und der Frömmigkeit, der Nachwelt zu erhalten.

Fast jede Burg, welche in Trümmern liegt, gilt dem Volke als Fundort von Schätzen in gleicher Weise wie zerstörte oder verfallene Klöster. Der gemeine Mann ist mißtrauisch im Verkehre, und so es ihm gelungen, einiges Geld zurückzulegen, verbirgt er es lieber in einem alten Strumpfe unter dem Bette, als daß er es auf die Gefahr hin, sein Kapital zu verlieren, verzinslich anlegte. Den Burg- und Klosterherren traut er nun gleiche Klugheit im Verwahren ihrer Schätze zu, und nicht leicht mag er begreifen, daß sie diese vor gierigen Augen und langen Fingern nicht versteckt hätten.

So sucht das Volk in den Gewölben und unterirdischen Gängen der Burgen nach Schätzen, und glaubt sich noch mehr hiezu berechtiget, wenn Geister sich dort zeigen und als Lohn der Erlösung diese Schätze anbieten. Denn hat ein Mensch Gold und Goldeswerth vergraben, daß Niemand darum weiß, so kann er so lange nicht ruhen, bis es wieder in Menschenhände gekommen ist: er muß als Geist da umgehen, wo er den Schatz vergraben. Hier sind es denn vor Allen die geisterhaften Frauen und Jungfrauen, welche[382] dem Volke als Hüterinen der in den Burgen verborgenen Schätze gelten.

Je älter ferner die Burg, desto grösser das Vertrauen in sie, und geht daneben noch die Sage von Riesen als den Erbauern, wie bey Adlburg, Velburg, Lengenfeld, Parkstein, Haselstein, Flossenbürg, Falkenberg, Liebenstein, Leuchtenberg, Frauenstein, Reichenstein u.s.w., so ist die Zuversicht ganz fest begründet.

Auf den Burgen sind es neben den Gewölben übrigens auch die Brunnen, in welche die Schätze geworfen wurden. Merkwürdig ist von ihnen, daß das Volk für ihre Tiefe überall dasselbe Maß, nämlich achtzig Klafter, kennt. Mehrere dieser Brunnen heissen auch Eselsbrunnen, wenn sie am Fusse des Schloßberges sich befinden. Das Wasser wurde auf Eseln zur Burg gebracht.

So groß auch die Zahl der Burgen der Oberpfalz ist, haben sie doch zwey Eigentümlichkeiten gemeinsam, in der Benennung und in den Burgjungfrauen. Jene erscheint zumeist der örtlichen Lage entlehnt, und mit Stein, Berg, Fels zusammengesetzt, nicht aber mit persönlichen Eigennamen, was hervorzuheben ist, wenn man die Menge der Riesenburgen heranzieht. Die Burgjungfrauen hinwider hausen fast auf jeder Burg, besonders den von Riesen erbauten; ob sie Arme Seelen seyen oder übermenschliche Geister, entscheidet das Volk nicht. Da sie nun überall zutreffen, gehören sie nicht einem bestimmten Geschlechte von Burgherren ausschliessend an. Die schwarzweisse Farbe, in welche sie[383] sich kleiden, die Thiere, Hund und Schlange, welche in ihrer Nähe weilen, die unterirdischen Schätze, deren sie hüten, theilweise auch die geheimnißvollen unterirdischen Gänge und Schachte ihres Aufenthaltsortes weisen vielmehr darauf hin, daß es überall eine und dieselbe Erscheinung sey, und zwar die verhüllte Erdenmutter, heisse sie nun Nerthus, Hel oder Freyja, welche hier ihren Dienst hatte. Die Erde ist die Mutter aller Germanen – Tuisco terra editus – umsomehr die gemeinsame Ahnfrau aller Adeligen, der auf den Burgen herrschenden edeln Geschlechter. Diese göttliche Ahnfrau erscheint auch jetzt noch, obschon die Geschlechter erloschen, die Burgen verfallen sind. Sie kann nicht lassen von der Stätte, wo ihre Söhne gelebt und sie verehrt haben. Das Christentum hat später ihre Kinder gewonnen: nun will auch sie durch dasselbe Erlösung und bietet ihre Schätze dem Christen als Preis, um zur Ruhe der Toden, zu den Ihrigen, zu gelangen, ein Zug, der auch im skandinavischen Norden bey mythischer Wesen erzählt wird.

Die Menge der Burgen aber, welche solche Jungfrauen aufweisen, deutet zugleich auf weitverbreiteten Dienst der Erdengöttin und begünstiget die Annahme, daß ihre Verehrung die aller anderen Götter weit hinter sich zurückließ, daß sie als oberste, älteste Gottheit gegolten habe.

Neben die schwarzweissen Burgjungfrauen stellen sich ebenbürtig die schwarzweissen waschenden Frauengeister an Wassern. Nun wird klar, warum der schwarzen[384] Berge und Wasser so viele in der Oberpfalz vorkommen.

Die Burgjungfrauen erscheinen ferner auf manchen Burgen zu Zweyen und Dreyen; dabey ist es dann eigentümlicher Zug, daß die Eine davon, die blinde, als von den Anderen übervortheilt, sich und ihre Schwestern durch Fluch und Verwünschung um die Ruhe der Toden gebracht hat. Wenn nach meiner Aufstellung die Oberpfälzer dem Gothischen Stamme angehören, der mit den Sueven den Dienst der Vanen gemein hatte, so läßt sich, gestützt auf Tacitus, der den Dienst der Nerthus den meeranwohnenden Sueven zuschreibt, annehmen, daß die Burgjungfrau ursprünglich die Nerthus sey. Als sich dann Asen- und Vanendienst in einander verschob, trat zu Nerthus von Seite der Asendiener noch die Hel, riesigen Geschlechtes, und von Seite der Vanendiener die Tochter der Nerthus, die schöne Freyja, als dritte Personifikation der Mutter Erde.

Ich möchte überhaupt von der Voraussetzung ausgehen, daß dem Volke der Oberpfalz als ursprünglichen Vanendienern sich später der Asendienst aufgedrungen habe. Wodan erscheint noch heut zu Tage als eigentlicher Gott der Adeligen, wie schon nach Herodotos Hermes als jener der Könige bey den Thrakern, während die gemeinen Freyen ihrem alten Wagenthor und den Vanengöttern treu verblieben; im wilden Heere jagen vorzugsweise die Geister gebietender Herren; der wilde Jäger ist Todfeind den vanischen Holzfräulein; in manchen Strichen tritt der Mond als Feind der Sonne[385] auf; stellenweise ist bald der Donnerstag, bald der Mittwoch der grosse Tag, und muß am Freytage die Sonne sich wenigstens einmal schauen lassen, während dieses in der Regel vom Samstage gilt. So schliesse ich mit dem Satze: wo die Burgjungfrau einzeln erscheint, ist sie Nerthus, wo mehrfach, tritt Hel und Freyja hinzu. Dadurch ist aber der Dienst der alten Nerthus beschränkt, und sie flucht denen, welche in ihr Gebiet sich eindrängten, der Hel und der eigenen Tochter.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 2, Augsburg 1857/58/59, S. 380-386.
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