1066. Der einäugige Venediger.

[120] Mündlich.


Es gingen einmal mehrere Bauern vom Wirthshaus heim; da blies ihnen ein mächtiger Wirbelwind entgegen. Einer, Hans mit Namen, nahm sein Messer heraus und warf es in die Windsäule. Da sahen die Bauern auf einmal einen Venediger darin, dem Hans das Auge ausgeworfen hatte. Wohl verbargen sie sich gleich, der Wälsche hatte aber den böswilligen Thäter erkannt. Dieser sah sich eines Tages plötzlich in eine große, fremde Stadt versetzt, er wußte nicht wie. Als er die Häuser verwundert beschaute, wurde plötzlich laut sein Name gerufen, ein Mann kam aus einem Hause heraus, und gebot ihm, zu folgen. Sie traten hinein, da glänzte Alles von Gold und Silber, der Mann aber hatte nur ein Auge. Mit diesem schaute er den Hans starr an; dann sagte er: »Sieh, ich könnte dich jetzt strafen für deinen Leichtsinn, denn du warst es, der mir im Fichtelgebirge muthwillig das Auge genommen. Das sei jedoch ferne von mir. Hier, nimm' dies zum Andenken an mich!« Und der erstaunte Bauer fühlte sich mit reichen Schätzen beladen, konnte aber vor Scham und Schrecken kein Wort reden. Alles verschwand wieder im Augenblick, der Bauer sah sich in seine Hütte zurückversetzt und nur die Schätze waren ihm geblieben. Er war jetzt ein reicher Mann.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 120.
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